Bringt die Zwangsversteigerung die Wende fürs ehemalige Café Kracht in der Lemgoer City?

Lemgo. Vor Jahren war es schon mal zum reinen Grundstückspreis angeboten worden, jetzt kommt es sogar zur Zwangsversteigerung. Wie der Übersicht des in dieser Sache zuständigen Lemgoer Amtsgerichts zu entnehmen ist, soll die alte Traditionsbäckerei Kracht in der Breiten Straße Ende April unter den Hammer kommen. Oder besser gesagt das, was davon übrig ist.

Der Sanierungsstau im Gebäude, in dem seit Sommer 1997 keine Semmel mehr gebacken werden, ist nämlich gewaltig. Wie bei Zwangsversteigerungen üblich gibt es auch hier ein Wertgutachten. Darin kommt Expertin Sabine Seeger zu dem Schluss, dass man fairerweise nur den Grundstückswert abzüglich der Abrisskosten aufrufen könne: 86.000 Euro.

Schieferplatten fallen von der Fassade Karl Wessel, Geschäftsbereichsleiter Stadtplanung und Bauen, weiß denn auch von mehreren Sicherungsmaßnahmen in den vergangenen Jahren zu berichten. Schieferplatten hätten sich schon häufiger von der Fassade gelöst, teils wurden sie vom Eigentümer befestigt, teils vom städtischen Bauhof, der diese Notfallmaßnahme dann in Rechnung gestellt habe.

Ob sich also am Donnerstag, 27. April, - angesetzt ist die Zwangsversteigerung für 9 Uhr im Amtsgericht am Lindenhaus - für knapp 90.000 Euro ein Käufer finden wird? Schließlich ist da noch die Sache mit dem Denkmalschutz. Denn deshalb ist ein Abriss, so einfach er auf dem Papier auch aussähe, im Grunde nur als allerletztes Mittel denkbar, wie Karl Wessel bestätigt.

Steht doch die alte Strohsemmel-Bäckerei nicht nur nah am Waisenhausplatz und auf einem historisch bedeutenden Stückchen Lemgoer Erde, nämlich dort, wo einst die Alt- in die Neustadt überging. Auch das Gemäuer an sich kann eine respektable Denkmal-Kartei vorweisen, auf die der städtische Denkmalschützer Ralf Niemeyer verweist.

Als zweigeschossiges Fachwerk mit einem Steinsockel zeige es die Baugeschichte Lemgoer Bürgerhäuser. Beispielhaft ist außerdem noch die Mode des 19. Jahrhunderts zu sehen, das Fachwerk durch Schieferplatten zu verkleiden. Helmut Strüßmann, Vorvorgänger von Karl Wessel als Baudirektor und jetzt Beauftragter für Denkmalpflege , taxiert den Bau auf das 16. Jahrhundert.

Café im alten Wohnzimmer der Familie Kracht Nicht mehr vorhanden sei, mit Blick in zwei Nachschlagewerke, ein Saal entlang der Neuen Straße - er wurde Ende des 18. Jahrhunderts durch eine Scheune ersetzt. Kurzum, zieht Strüßmann einen Strich darunter: "Das Haus ist ein Beispiel für die Entwicklung der bürgerlichen Wohn- und Lebensbedürfnisse der vergangenen Jahrhunderte." Das Café wurde übrigens 1955 in den Räumen eingerichtet, die Familie Kracht bis dato selbst als Wohnzimmer nutzte.

Bevor ein möglicher Käufer Hand anlege, sollte aus Sicht der Denkmalpfleger die Historie genauer erforscht werden, fordert Strüßmann. Ebenso aufmerksam blicken Baudirektor Wessel und die Führungsriege im Rathaus auf die Immobilie. Nicht nur, weil die Entwicklung der Breiten Straße ( Stichwort: Hanse-Center ) immer Priorität hat.

So war die alte Traditionsbäckerei nach LZ-Informationen bereits Thema im Leitungskreis, in dem Bürgermeister, Beigeordneter und Geschäftsbereichsleiter regelmäßig zusammensitzen. Tenor: Die Bedeutung des Gebäudes ist uns bewusst. Doch das Vorkaufsrecht ausüben und selbst in die Bütt steigen? Dafür fehlt dann doch eine schlüssige Idee, das Haus städtischerseits mit Leben zu füllen.

Eine Idee hatte dagegen mal der Arbeitskreis Stadtgeschichte im Verein "Alt Lemgo". Ausgerechnet vor dem seinerzeit schon geschlossenen Café Kracht organisierten die "Alt Lemgoer" zum Strohsemmelfest im Jahr 2000 eine öffentliche Strohsemmel-Backvorführung mit den Bäckermeistern Herbert und Heinz Kracht, wie sich Hobbyhistoriker Hermann Hentschel erinnert.

In guten Zeiten 1000 Semmel täglich Er weiß auch noch, wie in guten Zeiten die Krachts ein florierendes Straßencafé auf dem Waisenhausplatz betrieben und täglich 1000 Semmel aufs Blech brachten: die Königsdisziplin in der Backstube . Tradition und Rezept zufolge müssen Strohsemmel nämlich bei extrem hohen Temperaturen und daher als erstes in den Ofen. Daher auch das Stroh, das den Boden vorm Verbrennen schützt.

Am 28. Februar 1998 gab Herbert Kracht allerdings Bäckerei und Café auf, die seit 1856 in Familienhand gewesen waren. Als Grund nannte die LZ seinerzeit finanzielle Streitigkeiten innerhalb der Erbengemeinschaft. Apropos Geld: 2009 wurde das Gebäude von Herbert Kracht schon mal zum Grundstückspreis angeboten . Seinerzeit 170 Euro pro Quadratmeter.

Ende April soll es dann immerhin die rechnerischen Abrisskosten als Nachlass geben. Allerdings haben die Grundstückspreise in Lemgo seit 2009 im Gegenzug deutlich angezogen. Die 170 Euro haben sich laut Gutachterin Sabine Seeger auf 377 Euro mal eben mehr als verdoppelt.

Bringt die Zwangsversteigerung die Wende fürs ehemalige Café Kracht in der Lemgoer City?

Großprojekt: So könnten Seniorenwohnungen in die Lemgoer Laubke kommen

Warum die Arbeit des Lemgoer Denkmalpflegers nie endet

Weindorf, Live-Musik und Kunsthandwerk: Das erwartet die Lemgoer beim Strohsemmelfest

Dieser Händler zieht in die ehemaligen Räume von „dm“ in Lemgo

16-Jähriger in Lemgo getötet: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage im Mordfall Edeka

Sommerreifen verschwinden aus Lemgoer Garage

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus

0,99 € im ersten Monat

Angebot: Jahresabo nur 99 €