Franz Müntefering macht Boxenstopp in Lemgo und referiert zur Geschichte „seiner“ SPD

Lemgo. Er kann begeistern und mit allen reden: Franz Müntefering. Nach dem überzeugenden Wahlsieg bei der Bundestagswahl 1998 löste Rot-Grün unter Bundeskanzler Gerhard Schröder die Regierung Kohl ab. Die beiden Wahlgewinner Parteichef Lafontaine und Kanzler Schröder waren sich aber nicht einig, wie regiert werden soll. Es schlug die Stunde von Franz Müntefering. Der Sauerländer wurde später Generalsekretär, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und Parteivorsitzender. Am Wochenende war ihm Lemgo einen Boxenstopp wert.

Die Kreis-SPD hatte ihn nach einer Idee von Heino Rinne aus Rott auf dem Kieker und konnte den nunmehr 85-jährigen Sauerländer überzeugen, für eine Stunde in Lemgo vorbeizuschauen. Müntefering startete morgens in seiner Heimat, fuhr mit dem Bus nach Dortmund, mit dem Zug nach Bielefeld, wurde dort mit einem roten SPD-Bulli abgeholt und später wieder zum ICE nach Berlin gebracht. Dort lebt der umtriebige Politiker.

Funkstille mit Schröder In der &bdquo;Me-Lounge“ am Marktplatz hatte die SPD zum großen Rückblick eingeladen. Unter dem Titel &bdquo;Ein Nachmittag zur Geschichte der SPD“ ging es um die Phase von der Arbeiterbewegung bis zur Gegenwart. Müntefering hatte dabei rund 30 Minuten Zeit, um seine Erinnerungen, wie sich die Partei seit 1974 entwickelte, mit allerlei bekannten Polit-Gesichtern wie Ina Meise-Laukamp, Volker Aust, Manfred Behrend oder Gerd Schemmel zu teilen.

Natürlich lässt sich ein &bdquo;Namedropping“ bei so einem Rückblick kaum vermeiden. Vogel, Brandt, Schmidt - an denen kommt ein Müntefering kaum vorbei. Und auch an Ex-Kanzler Schröder nicht. Wobei der Sauerländer jüngst im Fernsehen nicht unerwähnt ließ, dass zwischen ihm und Schröder eine gewisse Funkstille herrsche. Der Auslöser: Schröders pro-russische Haltung zum Ukraine-Krieg. Spätestens seit dem Konflikt gilt das Verhältnis zwischen Schröder und der SPD als zerrüttet. Die Sozialdemokraten luden ihren früheren Vorsitzenden bekanntlich nicht mehr zu Parteitagen ein. Andererseits hatte Schröder 1998 die Wahl mit mehr als 40 Prozent gewonnen und Kohl abgelöst. Sieht man das Ergebnis von Scholz 2025 (16,4 Prozent) dürften sich die Sozialdemokraten auch heute noch täglich fragen, was in den vergangenen Jahrzehnten &bdquo;schiefgelaufen“ ist.

Vom alten Schlag Müntefering wiederum gilt nicht nur als ein Gesicht der damaligen Regierung Schröder, er ist auch noch ein Politiker vom alten Schlag. Latent knorrig, aber diszipliniert, taktisch gut ausgebildet und glaubhaft von A bis Z. In Lemgo erinnerte er sich an seine ersten Jahre, den rauchenden Wehner, den rauchenden Brandt, den rauchenden Schmidt. Geraucht wurde damals quasi im großen Stil. Und Müntefering schlägt auch Brücken zur Gegenwart, wenn er in der &bdquo;Me Lounge“ den großen medialen Wechsel thematisiert. &bdquo;Wenn ich in Berlin im Bus sitze, bin ich der Einzige, der noch eine Zeitung liest.“

Trotz der in der Feststellung innewohnenden Skepsis gegenüber der Tik-Tok-Generation sagt auch Müntefering: &bdquo;Wir müssen lernen, mit den neuen Medien umzugehen.“ Szenenapplaus bekam der Senior allerdings für seinen Aufruf: &bdquo;Europa ist aktuell die größte demokratische Einheit auf der Welt. Das müssen wir nutzen.“

&bdquo;Zur Sonne, zur Freiheit“ Emotional besonders interessant war indes das Liedgut von Solist Nis Jesse aus Höxter. Stimmte er doch zwischendurch &bdquo;Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ an. Rund ein Drittel der Gäste versuchte sich sodann im &bdquo;Gesang“ - das Stück ist der Titel der deutschen Nachdichtung eines russischen Arbeiterliedes, das 1895 von Leonid Petrowitsch Radin im Moskauer Taganka-Gefängnis entstanden ist. Ein Gast meinte sich zu erinnern, dass das Lied 1976 zuletzt bei einem Besuch Willy Brandts in Oerlinghausen von der SPD gesungen wurde. Potzblitz.

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