Im Doppelsitz Richtung Innenstadt: Wer wird Rikscha-Pilot in Lemgo?

Lemgo. Wer auf einem der komfortabel gepolsterten Vordersitze Platz nimmt, darf hinter dem Sicherheitsbügel bei schneller Fahrt ein wenig Karussell-Gefühl erwarten - freudige Juchzer inklusive: Die neue Fahrrad-Rikscha mit Elektromotor des Lemgoer Vereins &bdquo;Freundeskreis St. Loyen“ ist mit ihrem knallroten Verdeck nicht nur ein Hingucker. Sie bietet den Mitfahrenden neben Fahrtwind im Gesicht und Freiheitsgefühl auch eine Menge Spaß.

&bdquo;Und, wie fährt sie sich so den Berg hinauf?“, möchte Johanneswerk-Geschäftsführerin Elisabeth Klennert, zuständig für die Seniorenheime St. Loyen Zentrum, Stift und Schloss, während der Testfahrt vom ehrenamtlichen &bdquo;Piloten“ Thomas Laag wissen. Der sportliche Rentner aus Bad Salzuflen nimmt den Anstieg zum Stift im kleinsten Gang. &bdquo;Geht schon“, sagt er leicht außer Atem und lacht. Die Rikscha Nummer eins mit dem Anhänger sei deutlich schwerer fortzubewegen, zumal sie drei Personen befördern kann. Wenn dann niemand mit in die Pedale tritt, wird jeder Hügel gefühlt zur Bergetappe.

Im Kern geht es bei dem Projekt &bdquo;Auf Achse“, das von Horst Kays ins Leben gerufen wurde , um einen Weg aus der Isolation. Als seine Mutter ins Seniorenheim umzog, erlebte er mit, wie sehr sie unter dem Gefühl litt, nun verstärkt außen vor zu sein. Im Frühjahr 2024 startete er mit den Ausfahrten, und zwar mit dem ersten Gefährt, einer mit Leader-Mitteln angeschafften Tandem-Rikscha - als Gespann rund vier Meter lang.

Solides Gefährt aus den Niederlanden Da die Senioren dafür jedoch noch recht eigenständig im Sattel sitzen müssten, war für Kays von vornherein klar, dass eine zweite Rikscha für stärker bewegungseingeschränkte Mitfahrer her müsste. Er stellte einen Förderantrag bei der &bdquo;Aktion Mensch“. Das war im Dezember letzten Jahres. Bereits im März kam ein Vorschuss, sodass er das sogenannte Therapie-Transportfahrrad bestellen konnte. Ende Juli wurde es geliefert. Es trägt den Namen &bdquo;Chat“, da es so aufgebaut ist, dass die beiden Passagiere gut miteinander plaudern können.

Das Gefährt kommt aus den Niederlanden, dem Fahrradland schlechthin, sei sehr solide gebaut und stark gefedert: &bdquo;kopfsteintauglich“, freut sich Kays, schließlich sollen die Senioren nicht durchgerüttelt werden. Jeder Ehrenamtliche bekomme eine Einweisung für die entsprechende Rikscha, so Kays. Bei dem neuen Modell sei vor allem die Breite von zwei Metern und das ungewohnte Lenkverhalten zu beachten.

Defensive Fahrweise macht Sinn Es mache Sinn, eher langsam und defensiv zu fahren. &bdquo;Wenn man auf dem Wall zum Beispiel klingelt, erwarten die Fußgänger ein Fahrrad - und keine derart breite Rikscha“, so Kays. Kurvenfahren wird genau so geübt wie das allgemeine Handling. Es sei zwar nicht schlimm, mal eine Bordsteinkante mitzunehmen - doch den Passagieren möchte man keine Schrecksekunden zumuten.

Rund 20 Personen umfasst der Pool der Piloten derzeit, doch nur drei bis vier Ehrenamtliche führen regelmäßig. &bdquo;Die Nachfrage der Senioren ist größer als das Angebot“, so Kays. Der Großteil des Teams seien &bdquo;aktive Rentner“. Allerdings lasse sich der Einsatz im Prinzip auch gut neben einer Erwerbstätigkeit unterbringen, denn: Alles läuft unbürokratisch und spontan ab. Schließlich muss auch das Wetter in die Planungen miteinbezogen werden - bei strömendem Regen macht ein solcher Ausflug keinen Sinn.

Um die Wälle und zur Eisdiele &bdquo;Die meisten Senioren wünschen sich eine Fahrt über den Wall, durch die Mittelstraße oder zur Eisdiele“, weißt Elisabeth Klennert. In den drei Einrichtungen von St. Loyen werden die Wünsche der Bewohner gesammelt, die Piloten melden dann eigenständig ihre Verfügbarkeiten. Ein Online-Kalender hilft bei der Koordination. In Zukunft sollen die beiden Rikschas auch verstärkt all jenen Lemgoern zur Verfügung stehen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, unabhängig von ihrem Alter. Die Rikscha ist haftpflichtversichert, kutschieren könne nach Einweisung jeder, erklärt Kays. Auch könnten sich weitere Seniorenresidenzen dem Projekt anschließen.

Thomas Laag kam über seine Fahrradleidenschaft zu dem &bdquo;abgefahrenen“ Ehrenamt. Gleich zu Beginn stelle er stets einige Fragen, um das Eis zu brechen: Wie alt sind Sie? Wo haben Sie gewohnt? &bdquo;Ich habe da richtig Spaß dran.“ Und da er sich nun zum Mitplaudern nicht mehr nach hinten drehen müsse, würden die &bdquo;Chats“ sicher noch entspannter.

Wer &bdquo;Pilot“ werden oder mehr über das Projekt erfahren möchte: https://freundeskreis-stloyen.de

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