Düsseldorf/Hameln. Die Vernehmung von weiteren Zeugen im Untersuchungsausschuss des Landtags zum Kindesmissbrauch von Lügde zeigt immer deutlicher: Das Jugendamt des niedersächsischen Landkreises Hameln-Pyrmont hat offenbar alle noch so dringlichen Hinweise auf eine Gefährdung des Kindeswohls bei dem Pflegekind des Haupttäters Andreas V. in den Wind geschlagen.
Das Pflegekind, ein kleines Mädchen, war eines der Hauptopfer von Andreas V. auf dem Campingplatz „Eichwald" in Lügde. Insgesamt – so stellte sich bei den Ermittlungen der Polizei später heraus – wurden von Andreas V. und seinem Komplizen Mario S. mehr als 30 Kinder missbraucht. Andreas V. ist vom Landgericht Detmold inzwischen zu 13 Jahren, Mario S. zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Vor allem die Außenstelle Aerzen des Heilpädagogischen Kindergartens „Wirbelwind" Hameln hat offenbar alles, was in ihrer Macht stand, versucht, um zu verhindern, dass das Hamelner Jugendamt Andreas V., alleinstehender Dauergast auf dem Campingplatz in Lügde, als Pflegevater für das Mädchen einsetzte. Das Mädchen ging von August 2014 bis zum Sommer 2017 in den heilpädagogischen Kindergarten. Dann wechselte die inzwischen Sechsjährige auf eine Grundschule in Lügde.
Schon als sie in den Kindergarten aufgenommen worden sei, sei sie in ihrer Entwicklung zurück gewesen, berichtet Heilpädagoge Kai S., Leiter der Gruppe, zu der das kleine Mädchen gehörte. Es sei von ihrer Mutter vernachlässigt worden, habe damals bereits oft auf dem Campingplatz bei Andreas V. übernachtet. Immer wieder fehlte das Kind im Kindergarten. Wenn es kam, habe es oft schmutzige Windeln umgehabt. Für die Heilpädagogen sei die Mutter oft nicht erreichbar gewesen.
Im Oktober 2015 meldeten die Betreuer dem Jugendamt offiziell den Verdacht auf Kindeswohlgefährdung. Daraufhin wurde das Kind an Dauercamper Andreas V. zur Pflege gegeben. Empfohlen hatte ihn die überforderte Mutter selbst. Mit Andreas V. war sie seit langem bekannt.Die Heilpädagogen und eine Psychologin der Einrichtung marschierten im September 2016 sogar persönlich im Hamelner Jugendamt auf, um die Sachbearbeiter der Behörde davon zu überzeugen, dass diese Entscheidung falsch sei – doch vergeblich. Weil die Mutter es wollte und weil die zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes keine Bedenken hatten, wurde das kleine Mädchen schließlich an den 52-jährigen alleinstehenden Dauercamper übergeben.Die Heilpädagogen und die Psychologin dagegen waren der Auffassung, dass das Kind in stabile Pflegeverhältnisse, am besten in eine richtige Pflegefamilie, gegeben werden müsse. Außerdem forderten die Mitarbeiter des Kindergartens therapeutische Hilfen für das Mädchen und die Einsetzung eines Erziehungsbeistands. Beide Forderungen seien vom Jugendamt nicht erfüllt worden, berichtet der Hauptbetreuer des Mädchens. „Wir haben uns nicht ernst genommen gefühlt. Und ich hatte nicht das Gefühl, dass wir im Jugendamt irgendetwas erreicht hätten", sagt die Psychologin, die an dem Gespräch teilnahm, im Untersuchungsausschuss.
Zu diesem Zeitpunkt gab es auch bereits erste Informationen über eine mögliche pädophile Neigung von Andreas V. Bekannt war im Kindergarten, dass es im August 2016 Hinweise eines anderen Vaters auf pädophile Äußerungen an die Jugendämter Hameln-Pyrmont und Lippe sowie an die Polizei gab. Das habe Andreas V. im Kindergarten Wirbelwind sogar selbst erzählt, aber die Beschuldigungen abgestritten und gesagt, der Hinweisgeber sei nicht glaubwürdig. An die Behörden weiter gegeben hatte die Hinweise eine Mitarbeiterin des Kinderschutzbundes Pyrmont. Ihr hatte der Vater von den pädophilen Äußerungen des Andreas V. berichtet. Die Beschuldigungen gegen Andreas V. waren auch Thema beim Gespräch der Kindergarten-Abordnung im Jugendamt in Hameln. Doch die Mitarbeiter des Jugendamtes taten die Hinweise als unglaubwürdig ab – fatal, wie sich später herausstellte.