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Die Rolex des Mittelalters

Geschichten und Vorführungen zur Knochenbearbeitung im Freilichtmuseum

VON SYBILLE KEMNA

Lennart (v.l.) und Dirk Kessemeyer, Görg Baus und Uwe und Jonas Schulte lauschen den Erklärungen von Söhnke Raimann. - © FOTO:SYBILLE KEMNA
Lennart (v.l.) und Dirk Kessemeyer, Görg Baus und Uwe und Jonas Schulte lauschen den Erklärungen von Söhnke Raimann. (© FOTO:SYBILLE KEMNA)

Oerlinghausen. Wie spannend die Bearbeitung von Knochen sein kann und dass man an der Geschichte der Knochen ein großes Stück Kulturentwicklung erzählen kann, erfuhren die Besucher gestern im Archäologischen Freilichtmuseum. Dort zeigte Söhnke Raimann die Beinbearbeitung von der Steinzeit bis zum Mittelalter und erzählte spannende Geschichten.

Knochen sind ein hervorragendes Material zur Bearbeitung. Sie sind ein sehr stabiler Grundstoff, der in der ganzen Welt zu allen Zeiten genutzt wurde, nicht so leicht zu formen ist wie Holz, aber dafür unverrottbar. "Das ist ja unglaublich vielseitig", findet Besucher Manfred Fuest, der mit seiner Videokamera die Vorführungen von Raimann festhielt. "Wenn man vergleicht, wie Produkte aus Kunststoff schnell unbrauchbar sind, ist die Haltbarkeit beeindruckend", sagt er und staunt.

"Alles, was früher aus Knochen hergestellt wurde, ist heute aus Kunststoff", sagt Experte Raimann. Er hatte auf einem großen Tisch im Museum zahlreiche Produkte aus Knochen, Geweih oder Horn ausgebreitet: unter anderem gehörten Nadeln, Haar- und Kleiderspangen, Spielscheiben, Klöppel, Flöten, und Würfel. dazu "Die habe ich alle selbst angefertigt", berichtet er und zeigte wie man mit einer "Dreule", einem Vorläufer des Bohrers, Löcher in das harte Material macht. Der elfjährige Lennart Kessemeyer aus Hamburg durfte es auch ausprobieren – und wunderte sich, wie lange er brauchte, bis ein Ergebnis zu sehen war. "Ich finde es spannend, was man aus den Knochen so bauen kann. Das sieht ziemlich schwierig aus."

Doch Raimann ermutigte den Jungen, es ruhig zu Hause einmal an ein paar Knochen auszuprobieren: "Mit ein paar Feilen und einem scharfen Messer kannst Du schon schöne Dinge herstellen." Auch wie man diese verziert, führte der Museumstechniker vor: Mit einem kleinen Dreizack fräste er Kreise in die Knochen und färbte sie mit einer Paste aus Ruß und Bienenwachs.

Eines der auffälligsten Objekte auf dem Tisch war ein Eisgleiter: Deutlich sah man hier noch den ursprünglichen Knochen, der mit Lederschnüren an einen Schuh gebunden war und im Winter das unfallfreie Überqueren von Eisflächen ermöglichte. "Darum heißt es auch Eisbein", erklärt Museumstechniker Raimann. "Weil diese Gleiter für das Eis aus dem Mittelfußknochen des Schweines oder Rindes gemacht wurden."

Fast zu jedem Ausstellungsstück entspann sich ein munterer Dialog zwischen Vorführer und Zuschauern. Die erfuhren, dass der Kamm die Rolex des Mittelalters war: Ein Luxusgut, das vom sozialen Stand seines Besitzers kündete. "Sogar König Karl der Kahle besaß einen Kamm, obwohl er keine Haare hatte – als Zeichen seiner Würde", berichtet Raimann. Im frühen Mittelalter hätten die Männer lange Haare getragen. "Da kann man gut nachvollziehen, dass ein Kamm wichtig war", bekundet Manfred Fuest.

Bei archäologischen Funden ist Holz verrottet, die Objekte aus Knochen überdauern jedoch die Zeit. Raimann zeigt die Rekonstruktion einer Speerschleuder, von der man nur die Spitzen von Speer und Schleuderstab gefunden hatte. Erst bei den Inuit und den Aborigines wurde den Forschern klar, was die steinzeitlichen Jäger da gebaut und wofür sie es eingesetzt hatten. Raimann führte es vor. "So konnte der Speer viel weiter fliegen und flog zielgenauer."

Als Familie Schulte sich näherte, mussten sie Hund Kira in 100 Meter Entfernung anleinen. Denn Hunde sehen in den Objekten bereitliegende Nahrung. "Sie fressen die Knochen komplett auf", sagt Raimann, der seine Schätze schon öfter vor der Gefräßigkeit von Vierbeinern schützen musste.

Also gibt es doch etwas, was die Haltbarkeit von Produkten aus Knochen reduziert: die eigenen Haustiere.

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