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Altenpflege muss menschlich bleiben

Gruppe "Geronto Pro" startet provokante Fotokampagne / Wanderausstellung soll aufrütteln

Kai-Sören Kerkhoff

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Provozierende Szene: Für das Pony von Stephan Zessel wird Geld gespendet. Ein älterer Mann (gespielt von Werner Brakensiek), der auf seinem Rollator sitzt, und sein Pfleger (Leo Sieker) gehen dagegen leer aus. - © Kerkhoff
Provozierende Szene: Für das Pony von Stephan Zessel wird Geld gespendet. Ein älterer Mann (gespielt von Werner Brakensiek), der auf seinem Rollator sitzt, und sein Pfleger (Leo Sieker) gehen dagegen leer aus. (© Kerkhoff)

Enger. Kreativ und äußerst provokativ ist ihr Protest: In einer Fotokampagne greift die Gruppe "Geronto Pro" das Thema Altenpflege auf - in einer Gesellschaft, die künftig immer älter wird. Die Szene ist gestellt: Vor einem Engeraner Supermarkt spenden zwei Kinder Geld für ein Pferd, das von seinem Halter an der Leine geführt wird. Gleich daneben sitzt auf seinem Rollator ein älterer Mann, neben ihm steht ein Pfleger. Der alte Mann - gespielt von Werner Brakensiek - geht leer aus.

Die krasse Botschaft lautet: "Der Gesellschaft ist die Versorgung und Pflege ihrer Alten nicht einmal mehr das Gnadenbrot wert, das selbst Tieren für ihre geleistete Lebensarbeit gewährt wird." "Wir gestalten unsere Bilder so provokativ, weil sonst niemand hinschaut", sagt Sabine Zessel von "Geronto Pro". Der dargestellte Zustand einer Gesellschaft, die mehr Geld für Tiere als für die Altenpflege aufbringt, sei stark zugespitzt. "Und er soll natürlich auch nie eintreten", merkt ihre Kollegin Jill Kamphöner an. In manchen Pflegeheimen sei die finanzielle Situation allerdings schon jetzt angespannt: "Teilweise sind die Kassen so leer, dass nicht einmal ein kleiner Obstkorb für Bewohner drin ist", beklagt die 28-Jährige.

Information
Die Gruppe

In der Gruppe „Geronto Pro“ sind 25 Personen aus Enger, Spenge und Herford aktiv. Alle Beteiligten sind in sozialen Berufen tätig. Sie arbeiten an der Fotokampagne „Zwischen Wahn und Sinn in der Altenarbeit“. Ziel ist es, Probleme in der Altenpflege in Bildern und Kurzfilmen auszudrücken. Geplant ist eine Wanderausstellung. Auf Facebook unter #WahnSinnAltenarbeit, unter der E-Mail-Adresse gerontopro@aol.de oder unter Tel. (0 52 24) 7 91 46 71 steht die Gruppe für Fragen bereit.


Mitglieder: Sabine Zessel (v.l.), Anna Deutschmann und Jill Kamphöner sind in der Gruppe "Geronto Pro" aktiv. Mit einer außergewöhnlichen Fotokampagne möchten sie auf die Probleme in der Altenarbeit aufmerksam machen. - © Kerkhoff
Mitglieder: Sabine Zessel (v.l.), Anna Deutschmann und Jill Kamphöner sind in der Gruppe "Geronto Pro" aktiv. Mit einer außergewöhnlichen Fotokampagne möchten sie auf die Probleme in der Altenarbeit aufmerksam machen. (© Kerkhoff)

Der Fachkräftemangel sei in der Altenarbeit ein ernsthaftes Problem, berichtet Zessel: "Die Pflegekräfte sind überfordert. In Heimen müssen sich wenige Pfleger um viele Bewohner kümmern." Ihnen bleibe kaum Zeit, um auf die Bedürfnissen der Bewohner einzugehen. Es sei eine Arbeit wie am Fließband, sagt sie: "Essen, Waschen, Anziehen - das muss jeweils in wenigen Minuten vonstatten gehen. Dann geht es zum nächsten Zimmer. Das Zwischenmenschliche fällt unter den Tisch." Zur Altenarbeit gehöre aber nicht nur die körperliche, sondern auch die emotionale Pflege. "Mit unserer Kampagne wollen wir aber keineswegs einzelne Pflegeheime oder ihr Personal kritisieren. Wir richten uns an die Politik", betont Kamphöner.

Die Qualität einer Gesellschaft messe sich daran, wie sie mit ihren Alten umgehe. Und in der modernen Gesellschaft, sagt Anna Deutschmann, würden sie auf einen bloßen Kostenfaktor reduziert werden: "Die älteren Menschen sind nicht mehr leistungsfähig, nicht mehr produktiv. Deshalb werden sie einfach abgeschrieben." Zukünftig würden sich die Probleme in der Altenpflege weiter zuspitzen. So verschärfe der demografische Wandel den finanziellen Druck auf die Sozialsysteme. "Mit unserer Kampagne wollen wir zeigen, was passiert, wenn sich die Gesellschaft diesen Problemen nicht annimmt", sagt Kamphöner.

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