Spatenstiel-Prozess: Witwe rührt Angeklagten zu Tränen

Bielefeld/Löhne. Mikhail Z. heißt jetzt S. und ist Vater eines kleinen Kindes. Der 28-jährige Bad Salzuflener aus der ehemaligen Sowjetunion hat ein gefestigtes soziales Umfeld, gilt gesellschaftlich als integriert und ist nach eigenen Angaben gläubig geworden. Christi Himmelfahrt, am sogenannten Vatertag, wird er aber wohl nie wieder so unbeschwert, feucht und fröhlich feiern wie am 14. Mai 2015. An diesem Tag verletzte der Angeklagte den sechsfachen Löhner Familienvater Harun Aydurmus offenbar so schwer, dass dieser später starb .

Damit er das nicht vergisst, redete ihm die Witwe Donnerstag ins Gewissen. Nach den mehr und weniger hörenswerten Plädoyers der Rechtsanwälte , die für die Familie die Nebenklage führten und unterschiedlich lange Haftstrafen forderten, gab der vorsitzende Richter Wolfgang Korte der Familie das Wort. Das war ein wichtiges Zeichen des Mitgefühls an die Löhner Familie, die sich wegen eines offensichtlichen Fehlurteils des Bielefelder Landgerichts in einem zweiten Prozess mit dem Tod des Familienvaters auseinandersetzen müssen.

Yasime Aydurmus rang um Fassung und sprach den Angeklagten direkt an: "Sie kennen jetzt das Gefühl, Vater zu sein", sagte sie. "Sie tragen eine schwere Last. Immer, wenn Ihr Kind Ihnen zum Vatertag gratuliert, werden Sie an diesen Tag denken." Bei diesen Worten schüttelte es den Angeklagte sichtbar, er schluckte schwer. Gefühlsregungen waren in den vorangegangenen Prozesstagen bei dem 28-Jährigen kaum zu beobachten. Meist saß er stumm, den Blick auf die eigenen Hände gerichtet auf der Anklagebank.

Angeklagter entschuldigt sich bei Familie Nun aber wandte er sich zu Tränen gerührt an die Familie und bat wie schon beim ersten Prozess in holprigem Deutsch um Entschuldigung. Staatsanwalt Christoph Mackel hatte zuvor in einem fulminanten Plädoyer sechs Jahre Haft wegen Nötigung und Totschlags für den Angeklagten gefordert. Strafmildernd erkannte er an, dass der 28-Jährige Vater geworden ist, keine Vorstrafen hat und "im Rahmen seiner Möglichkeiten Reue gezeigt" habe.

Mit erhobenen Fäusten ahmte Mackel nach, wie Aydurmus nach Darstellung des Angeklagten auf diesen zugestürmt sei. "Wie wollen Sie da jemanden an den Schläfen treffen?" Das sei nicht möglich, die Aussage des 28-jährigen unglaubwürdig. Mackel geht dagegen von Vorsatz aus. Bei bis zu 2,5 Promille Blutalkohol "könnten die meisten hier im Saal überhaupt nichts mehr machen", sagte der Staatsanwalt. Der Angeklagte habe dennoch mindestens zwei Mal gezielt zugeschlagen.

Der hohe Alkoholpegel war auch aus Sicht des ärztlichen Gutachters Christoph Veerkamp kein Grund, von einer alkoholbedingten Schuldunfähigkeit auszugehen. Für Vorsatz sprach nach Ansicht des Staatsanwalts auch die Szenerie vor den Schlägen. Die Deutschrussen und der Deutschtürke hätten hässliche Beleidigungen wie "Scheiß Türke" und "Scheiß Russe" ausgetauscht. "Aydurmus war nicht der sportlichste, er hatte einen Bauchansatz", sagte Mackel.

Kein Zeuge habe von Angriff berichtet Der Löhner Familienvater sei bis zu 27 Meter ohne Schaufelstiel zurückgewichen, bevor er rückwärts auf den Boden stürzte. Kein einziger Zeuge habe von einem Angriff des sechsfachen Familienvaters berichtet, so Mackel, da könne man nicht von einer Notwehr sprechen. Die Nebenklagevertreter schlossen sich weitgehend den Ausführungen des Staatsanwalts an. Andreas Stuke forderte sechseinhalb Jahre Haft, Ilhaniye Öztürk und Zeliha Evlice zehn sowie elf Jahre und drei Monate Gefängnis.

Verteidiger Detlev Binder dagegen forderte einen Freispruch für den Angeklagten und verwies auf die ungeklärte Frage, warum Aydurmus überhaupt den Schaufelstiel aus dem Auto geholt habe. Dazu habe ihn niemand genötigt. Von Aydurmus sei "eine gewisse Grundaggressivität" ausgegangen. "Das liegt in seinem Charakter, gewisse Dinge nicht zu dulden", sagte Binder. Es sei deshalb nicht auszuschließen, dass sein Mandant in Notwehr gehandelt habe.

Weil Richter Wolfgang Korte aber bereits hatte durchblicken lassen, dass auch eine Körperverletzung mit Todesfolge in Betracht komme, plädierte Binder für diesen Fall auf eine einjährige Bewährungsstrafe. Die Kosten für die fünf Nebenkläger sollten seinem Mandanten jedoch nicht aufgebrummt werden. Das Urteil wird am Donnerstag, 4. Mai, erwartet.

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