Stadtwerke stoßen per Zufall auf sechs illegale Wohnungen

Bielefeld. Seit Mitte Oktober läuft der Prozess wegen Brandstiftung und Versicherungsbetrugs gegen den Besitzer einer Autowerkstatt an der Stadtheider Straße. Obwohl der Mann bereits in Untersuchungshaft sitzt, kosten die Machenschaften des 56-Jährigen jetzt 23 Menschen das Obdach. Sie wohnten in Wohnungen, die es offiziell gar nicht gibt.

Am Dienstagmorgen wird eine Kettenreaktion in Gang gesetzt: Weil der Inhaftierte offenbar über Jahre seine Stromrechnung für sein Gewerbe nicht beglichen hat, wollen die Stadtwerke im dreistöckigen Haus, das zur Werkstatt gehört, den Strom abstellen. Als die Mitarbeiter am Dienstagmorgen anrollen, treffen sie dort zu ihrer Verblüffung die Bewohner von sechs nicht gemeldeten Wohnungen an: Angehörige des Werkstattbesitzers sind ebenso darunter wie ein alleinstehender Mann mit Flüchtlingsstatus, außerdem eine Flüchtlingsfamilie aus dem Irak mit fünf schulpflichtigen Kindern sowie eine vierköpfige Familie mit pflegebedürftigem Vater. Einige sprechen kein oder kaum Deutsch, alle verstehen die Welt nicht mehr.

"Wir haben unseren Strom gezahlt", beteuert Maria Hamid (Name von der Redaktion geändert). Als Sprecherin der Bewohner hat sie sich an die Stadtwerke gewandt und herausgefunden: "Unsere monatlichen Abschlagszahlungen hat der Vermieter nicht weitergeleitet." Laut Polizeisprecher Michael Kötter kam so offenbar über mehrere Jahre eine Schuldensumme von 20.000 Euro zusammen. Familie Hamid wohnt bereits seit vier Jahren in dem Haus, in dem sie gar nicht wohnen dürfte. Dass die Wohnungen nicht angemeldet seien, hätte niemand gewusst, sagt sie. "Wir haben alle Mietverträge."

Betrug und Unterschlagung Die Polizei ermittelt jetzt wegen Betrugs und Unterschlagung, sagt Kötter. "Es gibt Anzeigen von drei der sechs Mietparteien." Bei den Hamids wird es unterdessen am Dienstagabend wieder warm in der Wohnung. Nach Gesprächen mit der Polizei haben die Stadtwerke den Strom vorübergehend wieder angestellt. Zwei Tage später wird erneut gesperrt. Diesmal dauerhaft. Und das Sperren geht schnell, denn es gibt nur einen Stromzähler und viel Kabelsalat - einen einzigen Zähler für Werkstatträume und Wohnungen. Die Sperrung sei mit der Stadt abgestimmt worden, betont Stadtwerke-Sprecherin Yvonne Liebold. "Wir drehen nicht einfach so den Strom in Wohnungen ab." Die Familien haben einen Termin bei der Stadt, Abteilung Wohnungsnotfälle.

Zuvor gewähren die Bewohner noch einen Blick in ihre Wohnungen an der Stadtheider Straße: Risse in den Fensterscheiben sind mit Klebeband verklebt, die Bäder sind verschimmelt, Wasser sickert aus einer undichten Stelle in der Decke in die Wände rund um den Zählerkasten. Auch ein Großteil der Heizungen sei kaputt, sagt Maria Hamid. Ihr Vater zeigt den Föhn, mit dem er sich unter einer Wolldecke immer warmhalte. Hamid sagt, sie sei verzweifelt. "Wir suchen seit Jahren nach einer geeigneten Wohnung und sind nur aus Not hier eingezogen. Mein Bruder ist in der Ausbildung, mein Vater ist pflegebedürftig, muss dreimal die Woche zur Dialyse. Wir wissen nicht, wie es weitergeht."

Plätze in Unterkünften Termin im Sozialamt der Stadt: Wohnungsnotfälle steht auf dem Türschild. Herr Seth hat eine Liste mit den 23 Bewohnern vor sich liegen, erklärt geduldig, was die Familien erwartet. Für alle seien übergangsweise Plätze in Unterkünften, die die Stadt für Wohnungsnotfälle vorhalte, sowie in Flüchtlingsunterkünften gefunden worden.

Für die irakische Familie mit fünf schulpflichtigen Kindern gibt es eine leerstehende Wohnung in Brake. Zu weit vom Schulort, klagt der Vater. Der Umzug könne vom Amt erst in ein, zwei Tagen geregelt werden, sagt Seth. "Das ist alles nicht ideal, aber das ist das, was wir haben." Der Markt für günstige Wohnungen sei leer gefegt, weiß Seth. Die Familien stehen erst am Anfang einer Odyssee.

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus

0,99 € im ersten Monat

Angebot: Jahresabo nur 99 €

Weiterlesen mit LZplus