Bielefeld. Es klingt wie ein Traum für viele Menschen, die täglich sieben bis acht Stunden arbeiten: Künftig nur noch Fünf-Stunden-Tage in der Firma, aber hoch konzentriert und ohne Pause – und dafür das gleiche Gehalt und den gleichen Urlaubsanspruch wie zuvor bekommen. „Wo muss ich mich bewerben?", fragten spontan einige Fachleute, die um einen Kommentar gebeten wurden. Die Bielefelder Rheingans GmbH, ein Kommunikations- und Beratungsunternehmen mit zwölf Mitarbeitern, experimentiert seit einigen Wochen mit der stark verkürzten Arbeitszeit. LASSE RHEINGANS Unternehmer Lasse Rheingans (37) nennt persönliche Motive für die Einführung der Fünf-Stunden-Tage mit Arbeit zwischen 8 und 13 Uhr. Weil er Kinder und eine berufstätige Frau hat, nahm er sich einige Jahre lang zwei freie Nachmittage. Seine These: „Ich schaffe ganz viel in fünf Stunden und habe dann noch viel Freizeit." Bei Kopfarbeit könne man nicht acht Stunden konzentriert arbeiten. Zudem werde im normalen Berufsalltag viel Zeit verbummelt – etwa nach dem Mittagessen oder bei Gesprächen an der Kaffeemaschine. Die Mitarbeiter stimmten dem Versuch zu. Die Vorgabe: „Aufträge müssen pünktlich erfüllt werden." Notfalls wird länger gearbeitet. Dies sei seit November nur zweimal geschehen. Rheingans selbst arbeitet nun zwölf Stunden am Tag und holt zweimal pro Woche die Kinder von der Schule ab. DIETER KÜHNEL Das Arbeitszeitmodell trifft auf große Skepsis. „Wenn der Arbeitgeber den gleichen Output erwartet wie bei längerer Arbeitszeit, dann ist der Fünf-Stunden-Tag mit großem Leistungsdruck verbunden", sagt Dieter Kühnel vom Metallindustrie-Verband Ostwestfalen (Bielefeld, Herford, Minden). Er bezweifele, dass Mitarbeiter ohne Pausen die geforderte hochkonzentrierte Leistung bringen könnten. Vor allem aber sei es sehr fraglich, ob das Modell etwa auch auf Industriebetriebe mit verknüpften Arbeitsgängen übertragen werden könne: Viele Aufgaben könnten eben nicht beliebig schneller erledigt werden – zum Beispiel, weil Maschinen ihr Maximaltempo nicht überschreiten könnten. UTE HERKSTRÖTER Kühnels Argument lässt auch Ute Herkströter gelten, Geschäftsführerin der IG Metall in Bielefeld. „In der Industrie ist so ein Arbeitszeitmodell nicht so leicht ohne zusätzliche Mitarbeiter umsetzbar", räumt sie ein. Grundsätzlich aber streitet die Gewerkschaft derzeit für die Möglichkeit zur „kürzeren Vollzeit" und 28-Stunden-Wochen. So werde Zeit frei für Kinderbetreuung, Pflegeaufgaben oder einfach eine verbesserte Work-Life-Balance. Ein Vorteil sei die erhöhte Motivation der Mitarbeiter: „Mit Konzentration wird in kürzerer Zeit oft mehr geschafft als an langen Tagen", weiß Herkströter. FRED G. BECKER Mehrere Probleme sieht Fred G. Becker, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Uni Bielefeld. Bei kreativen Aufgaben wäre bei verkürzter Arbeitszeit zwar ein konstanter Output ohne zusätzliche Mitarbeiter möglich – „mit lauter Genies vielleicht, mit jungen Leuten eine Zeit lang". In der Produktion aber sei dies beinahe undenkbar. Würden jedoch zusätzliche Mitarbeiter eingestellt, müssten die „am Markt schlicht nicht vorhandenen Arbeitnehmer" erst einmal gefunden werden. Hinzu kämen neue Kosten für die Koordination und Verwaltung der zusätzlichen Arbeitskräfte: „Eine solche Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich, gar vollem, wäre ein ökonomischer Irrsinn", folgert Becker. Am Ende würde auch die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland geschwächt. UTA WALTER „Das ist ein interessanter Versuch", sagt die Gesundheitswissenschaftlerin Uta Walter von der Uni Bielefeld. Karriere und Beruf stünden für viele Beschäftigte nicht mehr an erster Stelle. Vielen gehe es um Work-Life-Balance. „Sind beide Partner berufstätig, müssen sie flexibler sein." Allerdings steige in der kurzen Arbeitszeit die Arbeitsbelastung. Ist dies ein Dauerzustand, „erhöht dies das Risiko, gesundheitliche Beeinträchtigungen davon zu tragen". Auch das soziale Miteinander könne auf der Strecke bleiben. DIETER SCHOON „Wir haben Vertrauensarbeitszeit", sagt Dieter Schoon, Personalchef des Bielefelder SAP-Dienstleisters Itelligence. Dem Mitarbeiter wird vertraut, dass er seine Arbeit gut erledigt – so könne er sich auch (zeitliche) Freiräume eigenverantwortlich erschließen: „Das ist Teamgeist." Dabei stünden nicht die Arbeitszeit oder die Quantität der Arbeit im Vordergrund, sondern die Qualität. Schoon erkennt an, dass die Freiheit des Mitarbeiters seine Motivation mitbestimmt. Am Ende seien aber die Kunden und ihre Erwartungen der Maßstab.