Herford. Schwarzes Hemd, beiges Sakko, grauer Mantel. Mit einem Aktenordner verdeckt Daniel B. auf dem Weg in den Saal 309 des Herforder Schöffengerichts sein Gesicht vor den Kameras. Der Ex-Ratsherr (44), angeklagt wegen Missbrauchs seines Neffens und überregional bekannt wegen seiner monatelangen Flucht mit dem Jungen, hat sich einen Bart stehen lassen.
Die Hände gefaltet, Blickkontakte mit den Zuhörern vermeidend, sitzt er neben seiner Strafverteidigerin Susanne Renner. Die übernimmt für den ehemaligen Jura-Studenten, Unternehmensberater, Ex-Vorsitzenden der Wählergemeinschaft und Ex-Ratsmitglied das Reden. „Mein Mandant räumt den Anklagevorwurf (Missbrauch eines Schutzbefohlenen, d. Red.) zu drei ein", so die Strafverteidigerin in der Erklärung.
Zwei Anklagevorwürfe, die sich auf das Erstellen von kinderpornografischem Material beziehen, weist B. zurück – vor dem 14. Geburtstag seines Neffen habe es weder Aufnahmen noch Intimitäten zwischen ihm und dem Jungen gegeben. Das Gericht lässt die Anklagepunkte fallen.Die Ermittler hatten belastendes Videomaterial mit Aufnahmen erhalten. Sie waren offenbar von dem Neffen erstellt worden. B. sei nicht bewusst gewesen, dass er über die Aufnahme verfügte, so Renner.
Die Beziehung zwischen dem Familienvater und seinem Neffen sei über Jahre entstanden. Über Ferienaufenthalte, Hilfe in der Schule und einen intensiveren telefonischen Kontakt, weil der Vater des Jungen schwer krank war. Beide hätten auf einer Wellenlänge gelegen. Ihr Mandant habe aber nicht auf seinen Kopf gehört und die Beziehung gestoppt, sondern auf sein Herz.
Hinweise auf die Beziehung fanden die Eltern des Jungen in E-Mails. Sie informierten die Polizei. Am 10. Juni 2016, als die Ermittler das Zimmer des Jungen und B.s Wohnung durchsuchten, machte sich ihr Sohn mit seinem Onkel aus dem Staub. 322 Tage lang waren sie abgetaucht. Die Eltern wussten nicht, wo ihr Sohn steckte. Der Junge, noch nicht volljährig, sagt aus Jugendschutzgründen unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus.
Kein Wort dringt nach außen – nur die Information, dass er seine Eltern nicht sehen will und seitdem er sich mit Daniel B. bei der Polizei in seiner Heimatstadt Hamm gestellt hat, den Kontakt mit seinen Eltern ablehnt.
Dafür beschreibt seine Mutter, wie es ihr nach dem Abtauchen ihres Sohnes erging: „Das ist so, als wenn man einem bei lebendigem Leib das Herz herausreißt", sagt sie. Sie habe sich auf B. verlassen. „Ich habe ihm mein Ein und Alles anvertraut. Er ist erwachsen, der Junge ist es nicht." Sie habe bis heute keine Antwort darauf, wie es so weit kommen konnte. Weil ihr Sohn minderjährig ist, finden auch die Plädoyers von Verteidigung und Staatsanwaltschaft unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Dabei folgt das Schöffengericht dem Antrag der Staatsanwältin. Wegen Missbrauchs eines Schutzbefohlenen sowie Herstellung jugendpornografischen Materials verurteilt das Jugendschöffengericht B. zu einer Haftstrafe von neun Monaten, ausgesetzt auf zwei Jahre zur Bewährung. B. muss 100 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.
Darüber hinaus verhängt das Gericht ein Kontaktverbot: B. darf zu seinem Neffen, bis dieser 18 Jahre alt ist, keinen Kontakt aufnehmen und muss jeden Kontaktversuch des Jungen abblocken. „Sie waren der Erwachsene, sie hätten sagen müssen: stopp. Sie haben es soweit kommen lassen", so Richterin Sykulla. Ob B. das Urteil annimmt, ist noch offen, so Verteidigerin Susanne Renner.