Neuer Streit um Ferkelkastration

Berlin/Paderborn. Noch immer werden in Deutschland viele Ferkel ohne Betäubung kastriert. Damit soll bald Schluss sein. Weil aber zu wenige Veterinäre im Nutztierbereich arbeiten, um alle Höfe abdecken zu können, hat Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) eine neue Idee: sie will den Landwirten selbst das Betäuben der Tiere erlauben. Bedenken gegen den Vorstoß gibt es vor allem seitens der Tierärzte. Einig sind die sich aber mit den Bauern: die Narkose ist nicht das eigentliche Problem.

Die Verordnung, die Landwirten das Betäuben von Ferkeln für die Kastration mit einem Gas erlaubt, soll noch in diesem Jahr in Kraft treten. Das hat eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums am Freitag in Berlin bestätigt. Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) will, dass Bauern mit nachgewiesener Sachkunde das Inhalations-Narkosemittel Isofluran nutzen können. Dafür sollen sie einen Schnellkurs mit sechs Stunden Theorie plus Praxisteil absolvieren. Die Anschaffung der Narkosegeräte will das Ministerium fördern.

In Deutschland werden Millionen Ferkel wenige Tage nach der Geburt betäubungslos kastriert. Das soll verhindern, dass das Fleisch einen strengen Geruch und Beigeschmack bekommt. Ein Verbot der Methode, das 2019 in Kraft treten sollte, hatte die Große Koalition Ende des vergangenen Jahres auf 2021 verschoben.

Christoph Sudendey, Tierarzt aus Büren, hält die Übergangsfrist im Sinne des Tierwohls für unsäglich. &bdquo;Klar ist aber, hätten wir Tierärzte ab dem 1. Januar flächendeckend alle Ferkel narkotisieren müssen, hätten wir das niemals geschafft." Denn: Tierärzte führten die Betäubung der Ferkel bisher per Injektion durch. Ein aufwendiger Prozess, bei dem die Schweine erst nach drei Stunden auf einer Wärmeplatte wieder erwachen. Das erhöht die Kosten.

Die Betäubung mittels Gas dagegen ist ein schneller Prozess: Das Tier wird auf dem Rücken liegend im Gerät fixiert und atmet das Betäubungsmittel über eine Maske ein. Nach zehn bis fünfzehn Sekunden erschlafft der Körper, nach 90 Sekunden kann die Kastration erfolgen. Wenige Minuten danach sei das Tier schon wieder auf den Beinen. Ein geschlossenes System stellt sicher, dass die Ausatemluft der Tiere nicht in die Umgebung gelange und so Menschen schade. Rein technisch, so Sudendey, sei die Anwendung einfach zu erlernen.

Damit tritt der Veterinär Bedenken seiner Kollegen entgegen. Der Bundesverband Praktizierender Tierärzte – in dem auch Sudendey Mitglied ist – weist darauf hin, dass es bei der Narkose zu Zwischenfällen kommen könne. Das erfordere Fachwissen. Auch die Bundestierärztekammer sagt, die Vollnarkose gehöre in die Hand eines Tierarztes.

&bdquo;Natürlich ist das ein großer Schritt, wenn wir den Narkosevorbehalt abgeben", sagt Sudendey. &bdquo;Aber wenn wir darauf bestehen, das selbst zu machen und dazu personell nicht in der Lage sind, wird es illegale Lösungen geben. Dann wird sofort der ein oder andere Landwirt dem Tierarzt Geld bieten, dafür dass er ihm die Narkose bescheinigt. Wir brauchen einen Kompromiss im Sinne des Tieres."

Diese Meinung teilt Hubertus Beringmeier, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Bezirksverbandes OWL: &bdquo;Ich kenne keinen Landwirt, der wild darauf ist, Ferkel zu kastrieren." Die Diskussion um die Narkose würde ohne die Kastration überflüssig, glaubt Beringmeier, selbst Besitzer von 4.000 Schweinen. &bdquo;Aber dafür brauchen wir ein Bekenntnis des Lebensmitteleinzelhandel zum Eberfleisch."

Ebermast ist eine Alternative zur Mast von betäubungslos kastrierten männlichen Tieren, den Börgen – aber sie braucht mehr Platz. Der Deutsche Bauernverband schätzt, dass acht Prozent des in Deutschland verkauften Fleisches von Ebern stammt. Tierarzt Sudendey sagt, in OWL liege die Quote höher, bei 25 bis 30 Prozent, weil Westfleisch und Tönnies die Methode inzwischen unterstützen.

Er wirbt aber für einen weiteren Weg: die Impfung mit Improvac, die verhindert, dass der störende Geruch entsteht. Schon heute empfehle zum Beispiel der Bioverband Naturland seinen Mitgliedsbetrieben diese Methode. Transparent gemacht werde dies aber nicht. Sudendey: &bdquo;Obwohl eine Kastration einen viel größeren Eingriff in den Hormonhaushalt des Tieres darstellt, hat eine Impfung den schlechteren Ruf. Erst ein klares Bekenntnis des Lebensmittelhandels zur Abnahme der Erzeugnisse dieser Tiere kann das ändern."

59 Millionen Tiere geschlachtet Deutschland ist Europas größter Schweinefleischerzeuger und global nach China und den USA auf Platz drei. Nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums erzielte die deutsche Landwirtschaft mit Schweinen im Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2016 einen Produktionswert von knapp sieben Milliarden Euro. In Deutschland gibt es etwa 40.000 Betriebe mit Schweinehaltung. Jährlich werden 59 Millionen Schweine geschlachtet. Nach Angaben des Statistischen Landesamts IT.NRW gab es Ende 2018 in den rund 7.000 nordrhein-westfälischen Betrieben mit Schweinehaltung 6,94 Millionen Schweine. In OWL werden in 1.600 Betrieben etwa 1,5 Millionen Schweine gehalten.

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