Bielefeld. Eigentlich herrscht in der Teestube, in der Mehmet Ali Ölmez mich begrüßt ein absolutes Gesprächsverbot über Politik. Doch für „Onkel Ölmez", wie der Vorsitzende des Bielefelder Integrationsrates genannt wird, macht der Besitzer eine Ausnahme.
Wir wollen an diesem Abend mit beiden Seiten ins Gespräch kommen. Denn die jahrzehntelang angespannte Lage zwischen den beiden Volksgruppen hatte sich durch den Einmarsch in Syrien Anfang Oktober verschärft. Wir besuchen zwei Teestuben: eine, die hauptsächlich von kurdischen Gästen besucht wird, und eine mit eher türkischem Klientel.
Im kurdischen Geschäft sitzen wir zunächst viel alleine. „Die Leute haben Angst davor, etwas gegen den Einsatz zu sagen", sagt Ölmez. Davor hatte mich auch die kurdischstämmige Übersetzerin Ciler F. (54) aus Köln schon vor dem Gespräch gewarnt. „Viele befürchten, nicht mehr in die Türkei einreisen zu dürfen oder sogar bei der Einreise festgenommen zu werden, wenn sie ihre Meinung sagen. Das betrifft auch besonders Türken."
Ölmez selbst ist Alevit und erschrocken über die breite Zustimmung für den Einmarsch in Syrien bei seinen türkischen Landsleuten. Doch dann setzt sich Erdal P. (48) zu uns. Er ist kurdisch und klarer Gegner des Syrieneinmarschs. „Wenn man mit Türken über Politik redet, kennen die oft unsere Grenzen nicht und wissen nicht, wann eine Aussage verletzend wird", sagt er.
Das Thema ist sichtbar emotional
„Ihnen fehlt auch oft das Hintergrundwissen, weil ihnen nicht die Bilder aus dem Krieg gezeigt werden." Dann zeigt er auf seinem Smartphone, wie er sich dank Social Media trotz gleichgeschalteter türkischer Medien über die Lage in Syrien und der Türkei informiert. Er nennt auch direkt einige Beispiele für Übergriffe gegen Kurden. Das Thema ist für ihn sichtbar emotional.
Ähnlich emotional, aber inhaltlich völlig anders wird es in der zweiten Teestube. Zur Begrüßung ruft uns ein Mann durch den Laden zu: „Hier guck mal! Er ist echt Kurde und ich bin echt Türke!" Darauf tauschen die beiden Männer einen Freundschaftskuss auf die Wange aus.
Wenig später setzen sich Torgot C. (48) und Mehmet Y. (46) zu Ölmez und mir. „Wir sind gegen die PKK, nicht gegen Kurden", sagt Torgot C. Sein Freund ergänzt: „Ich habe einen kurdischen Friseur. Da würde ich ja sonst gar nicht hingehen."
„Die Türkei verteidigt nur ihre Bürger gegen Terroristen. Das ist ihre Pflicht als Staat", sagt Mehmet Y. Beide wiederholen damit die Rechtfertigung der türkischen Regierung, in Syrien gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten der YPG vorgehen zu müssen, weil sie der kurdischen PKK nahestehen. Die wird auch von der EU als Terrororganisation eingestuft. Doch viele Kurden fühlen sich mit ihr verbunden.
"Es sind immer alle gegen die Türken"
„Die Medien hier berichten viel zu einseitig. Es wird nur die kurdische Seite gezeigt", sagt Mehmet Y. „Von deren Anschlägen in der Türkei bekommen die Deutschen gar nichts mit." Er informiere sich neben deutschen auch über türkische Medien. Die öffentliche Kritik empfindet Mehmet Y. sogar als eine Form von Rassismus. „Es sind immer alle gegen die Türken."
Davon dass Türken und Kurden Angst haben, ihre Meinung zu sagen, wollen sie nichts hören. „Das ist doch Quatsch", meint Torgot nur. Der Einwand von Ölmez, dass Kritiker des Einsatzes in der Türkei bedroht werden, scheint nicht durchzudringen.
Dafür können die beiden direkt mehrere Fälle von PKK-Gewalt nennen und beschweren sich, dass auf Antikriegsdemos vielfach PKK-Flaggen gehisst werden. Dass türkische Passanten die Demonstrierenden auch provozieren, sehen sie aber nach längerem und durchaus auch lauterem Diskutieren ein. „Es gibt Provokationen auf beiden Seiten", sagt Mehmet Y.
Am Ende des Abends steht fest: Alle Gesprächsteilnehmer beharren auf sehr gegensätzlichen Standpunkten. Und doch macht etwas Hoffnung: Als wir die zweite Teestube verlassen, erkennt Ölmez zwei Gäste aus dem kurdischen Lokal wieder. Die beiden Gruppen sind zumindest in Bielefeld nicht völlig voneinander getrennt.