Warum in OWL keine Corona-Toten obduziert werden

Bielefeld. Der Bundesverband deutscher Pathologen und die Deutsche Gesellschaft für Pathologie haben in einer gemeinsamen Presseerklärung mehr Obduktionen von Corona-Toten gefordert. Es sei notwendig "weitere Erkenntnisse über die Erkrankung und deren oft erstaunlich fulminanten Verlauf zu gewinnen". Im besten Fall ließen sich daraus sogar zukünftige Behandlungsmöglichkeiten von Covid-19 ableiten. Auch der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) hat in einer Pressekonferenz explizit auf die Wichtigkeit von Obduktionen hingewiesen.

Dennoch: In OWL wurde keiner der bislang 35 mit Corona infizierten Verstorbenen obduziert - weil es nicht für notwendig erachtet wurde oder weil die entsprechende Anweisung fehlte. Doch wer müsste eigentlich die Obduktion anordnen?

Pathologen werden auch für lebende Patienten gebraucht "In erster Linie die klinisch tätigen Ärzte, die gegebenenfalls Rücksprache mit den Pathologen halten", sagt Wolfgang Schmidt-Barzynski, ärztlicher Direktor am Klinikum Bielefeld. "Die Zustimmung muss von den nächsten Angehörigen eingeholt werden, sofern keine entsprechende Patientenverfügung vorliegt. Außerdem ist immer zu klären, ob religiöse Gründe gegen eine Obduktion sprechen oder ob der Betroffene seinen Leichnam als Körperspende in die Anatomie einer Universität gegeben hat."

Das gilt zumindest unter normalen Umständen. "Prinzipiell begrüßen wir am Klinikum Lippe die Option einer klinischen Obduktion als Mittel der Qualitätssicherung ausdrücklich", sagt Pressesprecher Christian Ritterbach. "Wir besprechen regelmäßig in klinisch-pathologischen Fallkonferenzen interessante oder lehrreiche Fälle." Angesichts der Corona-Pandemie allerdings müsse vor allem der Krankenhausbetrieb funktionieren. "Auch der Pathologe hat im in puncto Diagnose deutlich mehr mit den lebenden Patienten zu tun als mit den Verstorbenen." Selbst in Coronazeiten: "So hatten wir beispielsweise schon die ein oder andere Gewebeprobe von Corona-Patienten bearbeitet - Formalin-fixiert, sodass keine Gefahr mehr vom Material ausging."

Gesundheitsämter ordnen keine Obduktionen an - obwohl sie dürften Aus Sicht der Pathologenverbände wären Obduktionen gerade jetzt von Bedeutung: "Wir wissen nicht, ob nur die Lunge vom Virus betroffen war oder auch andere Organe", sagt Udo Kellner vom Verband deutscher Pathologen. "Wir wissen nicht, wie weit sich das Virus im übrigen Körper verteilt hat oder wie groß der Teil der Lunge ist, der durch das Virus geschädigt wurde."

Nur in besonderen Fällen können Obduktionen auch unabhängig von der Ärztemeinung und entgegen dem Willen des Verstorbenen oder der Angehörigen angeordnet werden. "Bei einer ungeklärten Situation - also der Frage natürlicher oder nicht-natürlicher Tod - entscheidet die Staatsanwaltschaft", sagt Schmidt-Barzynski. Im Rahmen des deutschen Infektionsschutzgesetzes wären außerdem die Gesundheitsämter befugt. Damit würden allerdings auch persönliche Grundrechte, wie das der körperlichen Unversehrtheit eingeschränkt.

Die Gesundheitsämter in OWL haben von der Möglichkeit bislang nicht Gebrauch gemacht. "Die Leichensäcke werden nur auf Anweisung des Gesundheitsamtes geöffnet und das sieht dazu keine Veranlassung", sagt zum Beispiel Jan Focken, Pressesprecher des Kreises Gütersloh. Wesentliche Aufgaben seien "die Eindämmung der Pandemie, die Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung und die Bekämpfung starker lokaler Ausbrüche", so Focken. "Das Gesundheitsamt ist kein wissenschaftliches Institut, das sich der Ursachenforschung verschrieben hat, sondern eine Behörde, die nach den Vorgaben des RKI arbeitet."

RKI reagiert auf Kritik Das RKI hatte bis vor wenigen Tagen in seinen "Empfehlungen zum Umgang mit SARS-CoV-2-Infizierten Verstorbenen" explizit von inneren Leichenschauen abgeraten. Denn die Arbeit an den infizierten Verstorbenen ist nicht ungefährlich. So gilt laut RKI schon bei äußeren Leichenschauen: "Tröpfchen können entstehen, wenn Druck auf den Brustkorb ausgeübt wird, sodass Luft entweicht oder bei hautdurchtrennenden Maßnahmen." Über diese Tröpfchen könnten sich die Pathologen selbst infizieren.

"Wir als Pathologen sind immer gefährdet", sagt dazu Kellner. Der BDP nennt frühere Beispiele gefährlicher Obduktionen: "Schon bei Ausbruch des Marburg-Virus, bei HIV, bei SARS, MERS und BSE haben Befunde aus der Pathologie und Neuropathologie geholfen, die klinischen Krankheitsbilder zu verstehen und haben damit auch therapeutische Konzepte beeinflusst."

Inzwischen hat das RKI auf die Kritik der Pathologen reagiert. Seinen Hinweis, Obduktionen an Corona-Toten auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren, hat es aus den "Empfehlungen" gelöscht. Ein neues Dokument "Hinweise zu Autopsien und Probenahmen am SARS-CoV-2 infizierten Verstorbenen" sei noch in Bearbeitung.

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