Dramatischer Unfall in Bünder Waschanlage: 34-Jährige kämpft sich zurück ins Leben

Bünde. Eine Sekunde veränderte alles im Leben von Steffi Jonas. Die Sekunde, in der das Auto sie umfuhr. Auf ihrem Handy spielt die heute 34-Jährige das Video der Überwachungskamera ab. Sie konnte es sich erst ein halbes Jahr später ansehen.

Dort ist zu sehen, wie sie vor der Waschanlage um einen silbernen Mercedes herumgeht und diesen für die Auto-Wäsche vorbehandelt. Auf einmal fährt der dahinter wartende Golf los, weicht dem Mercedes nach rechts aus, reißt Steffi Jonas mit, schleudert sie gegen die Wand der Waschanlage und quetscht sie ein. Das Auto bleibt stehen, der Fahrer setzt nicht zurück. Er bleibt im Auto sitzen. Fahrer und Beifahrer des Mercedes eilen herbei, versuchen der eingeklemmten Frau zu helfen, kommen nicht an sie heran. Die Vorderreifen des Golf drehen durch und qualmen, der Fahrer versucht nun doch, zurückzusetzen. Er hat aber nach wie vor den Vorwärtsgang drin. Da zieht ihn der Mercedes-Fahrer aus dem Auto.

&bdquo;Es war wie eine Nahtod-Erfahrung"

&bdquo;Es war wie eine Nahtod-Erfahrung", erzählt Steffi Jonas. Sie sei bei Bewusstsein gewesen, habe die riesige Blutlache um sich gesehen, das große Loch im Knie und etwas Blaues, das herausragte. Wahrscheinlich eine Sehne. &bdquo;Aber ich hatte keine Schmerzen." Den Rest des Beins sieht sie zum Glück nicht. Sie sieht nicht, dass ihre Unterschenkel-Knochen aus dem Fußgelenk herausstehen, dass ihr Bein unterhalb des Knies abgetrennt ist.

Als die Helfer das Auto zurückschieben, merkt sie, wie ihr Bein herunterfällt. &bdquo;Leider bin ich nicht bewusstlos geworden, sondern habe alles mitgekriegt", sagt sie. Von ihren Kollegen lässt sie sich ihr Handy bringen und ruft ihren Partner Marcel Jonas an. &bdquo;Unfall, kümmer dich um mein Kind", stammelt sie. Mehr kann sie nicht sagen.

Erst nach Wochen steht fest, dass sie ihr Bein behalten wird

&bdquo;Schade um die schöne Jacke", denkt sie, als die Rettungssanitäter ihre Jacke aufschneiden. Der Notarzt liefert die 30-Jährige ins nahe gelegene Lukas-Krankenhaus ein. Nachdem die Ärzte sie untersucht haben, verlegen sie die junge Frau sofort nach Gilead in Bielefeld-Bethel.

Nach dem ersten Aufwachen sagen ihr die Ärzte dort, dass sie nicht wissen, ob sie ihr Bein erhalten können. Sechs Wochen bleibt sie dort, wird fünfmal operiert. &bdquo;Nach jeder OP habe ich geguckt, ob das Bein noch da ist", erzählt Steffi Jonas. Die Ärzte entnehmen Bänder aus dem rechten, gesunden Knie und flicken damit das linke wieder zusammen. Sie entnehmen ihr einen Streifen Haut aus dem Oberschenkel und transplantieren ihn an die Kniekehle. Dort, wo das Bein abgerissen ist. Erst nach der vierten Operation ist klar, dass Steffi Jonas ihr Bein behalten kann.

Jede Nacht erlebt sie den Unfall in ihren Träumen

Jede Nacht hat sie Albträume, erlebt den Unfall wieder und wieder. Ein halbes Jahr lang. Im Krankenhaus bekommt sie zunächst starke Beruhigungsmittel. Als sie die nach drei Wochen von einem auf den anderen Tag nicht mehr bekommt, erleidet sie Panikattacken. &bdquo;Ich wollte vom Balkon springen", erzählt Steffi Jonas.

Drei Monate nach dem Unfall wollten sie und Marcel Jonas heiraten. &bdquo;Bis dahin können Sie nicht laufen!", sagen ihr die Ärzte im Krankenhaus. Doch Steffi Jonas will die Hochzeit auf keinen Fall verschieben. Sie braucht ein Ziel, auf das sie sich fokussieren kann, auf das sie hinarbeitet. Zudem ist ihr Stief-Schwiegervater schwer krank. Sie wissen nicht, wie lange er noch lebt.

Bei der Hochzeit ist das Bein noch nicht wieder zusammengewachsen

Nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen ist, übt Steffi Jonas zu Hause mit einem Physiotherapeuten jeden Tag zu gehen, zwei Monate lang. Auf Krücken gestützt, kauft sie statt dem knielangen ein knöchellanges Brautkleid, das die große Beinschiene verdeckt. Am 5. August 2017 heiratet sie Marcel Jonas. Sie hat es geschafft. &bdquo;Das Bein war noch nicht wieder zusammengewachsen", erzählt sie. Aber sie konnte laufen. &bdquo;Wir haben sogar einen Hochzeitstanz geschafft", sagt sie und lächelt. Danach kann sie eine Woche nur liegen.

Heute, vier Jahre nach dem Unfall, hat Steffi Jonas 14 Operationen hinter sich. Sie kann weder lange stehen noch lange sitzen, weil das Knie dann steif wird und sich wie in einem Schraubstock anfühlt. Eine Schiene stützt das Gelenk immer noch. Auf dem linken Bein kann sie weder stehen noch hüpfen. Deshalb kann sie auch nicht mehr auf einen Stuhl oder eine Leiter steigen. Seit dem Unfall ist Steffi Jonas arbeitsunfähig und bekommt eine Erwerbsminderungsrente.

Sie fühlte sich "gefangen im eigenen Körper"

&bdquo;Dabei bin ich doch so ein Arbeitsmensch", sagt Steffi Jonas. Deshalb sei es ihr besonders schwergefallen, nichts tun zu dürfen, jahrelang. &bdquo;Gefangen im eigenen Körper" fühlte sie sich. Jeden Tag alleine zu Hause, da sei sie irgendwann verrückt geworden. Sie bat ihren Mann, sie mit in die Werkstatt zu nehmen, &bdquo;einfach, um andere Menschen zu sehen".

Neunmal wurde sie in Bielefeld operiert, fünfmal in Duisburg. Mit den Ärzten dort ist sie per Du, der Chefarzt ruft sie persönlich an, um den nächsten Schritt mit ihr zu besprechen: eine Reha – oder die nächste OP. Ist sie im Krankenhaus, kommen viele Ärzte zusammen, um sich ihr Knie anzuschauen. So ein total zerstörtes Gelenk bekommen die Mediziner sonst nicht zu sehen. Irgendwann soll Steffi Jonas ein künstliches Knie-Gelenk bekommen. Doch dafür halten sie die Ärzte mit 34 Jahren noch für zu jung. Die künstlichen Gelenke können mehrere Jahrzehnte halten, allerdings sind die Patienten meist über 70, wenn sie ein Kunstgelenk bekommen.

"Ich kann in keine Waschanlage mehr fahren"

Bei der vorerst letzten OP im Februar dieses Jahres wurde Steffi Jonas das Knie-Innenband eines Toten transplantiert. In acht Monaten wird neu beurteilt, ob sie wieder arbeiten kann. Dann sind fast fünf Jahre vergangen seit dem Unfall. Eventuell wird sie noch einmal operiert.

Früher ging Steffi Jonas gerne joggen, ihr Sohn fuhr mit dem Rad neben ihr her. Das wird sie nie wieder können. Auch die Wanderungen im Wald, die sie früher jedes Wochenende unternahmen, sind nicht mehr möglich. Seit dem Unfall sei sie eine schlechte Beifahrerin, erzählt sie. &bdquo;Ich bremse mit, halte mich im Auto fest." Wenn auf der Autobahn oder dem Supermarkt-Parkplatz ihr ein Auto zu nahe komme, habe sie sofort Angst und fange an zu schwitzen. &bdquo;Und ich kann in keine Waschanlage mehr fahren. Dann kommen sofort die Bilder vom Unfall hoch." Einmal in der Woche geht sie noch zur Therapeutin, um alles zu verarbeiten. &bdquo;Am Anfang wollte ich da nicht hin. Ich dachte meine Freunde denken dann, ich bin verrückt."

Seit vier Jahren trainiert sie jeden Tag, um wieder arbeiten zu können

Das Knie schmerzt chronisch, dagegen helfen keine Schmerzmittel. Es wird wohl so bleiben. Im Sommer schwelle es an und tue mehr weh. &bdquo;Deshalb mag ich den Sommer nicht mehr." Ihr Unterschenkel ist taub, sie spürt nichts, wenn sie ihr Bein anfasst. Die Nerven sind zerstört.

&bdquo;Wäre ich alleine und hätte meinen Mann und meinen Sohn nicht, wäre ich nicht so weit gekommen", sagt Steffi Jonas. Es gibt ihr Halt, die beiden zu versorgen, sich um andere zu kümmern. Das einzige, was sie im Moment tun kann. Neben der Physiotherapie. Jeden Tag trainiert sie, seit vier Jahren. Mit dem Ziel, dass sie wieder arbeiten kann. &bdquo;Ich würde mich gerne mit einem Imbisswagen selbstständig machen, den ich hier auf den Hof der Werkstatt stelle", erzählt die gelernte Köchin. Das ist ihr Traum. Wenn es so läuft wie mit dem Heiraten, serviert sie bald Pommes und Bratwurst aus dem Imbisswagen.

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