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Corona sorgt für mehr Schönheits-OPs, und das beunruhigt selbst Chirurgen

Eike J. Horstmann

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Behandlungen und Eingriffe im Gesichtsfeld haben zugenommen. Man spricht gar von einem „Zoom-Boom". - © Robert Kneschke
Behandlungen und Eingriffe im Gesichtsfeld haben zugenommen. Man spricht gar von einem „Zoom-Boom". (© Robert Kneschke)

Bielefeld. Es ist Teil ihres Jobs, Falten verschwinden zu lassen. Doch ausgerechnet der Umstand, dass es 2021 einen regelrechten Ansturm auf Schönheitsoperationen und vor allem auf nicht- oder minimalinvasive Behandlungen gibt, sorgt bei den Ästhetisch-Plastischen Chirurgen selbst für tiefe Sorgenfalten. Überzogene Schönheitsideale sorgen seit längerem dafür, dass viele Menschen beim Blick in den Spiegel unglücklich sind. Und dann brachte Corona noch zusätzlich Dynamik in die Sache.

„Die Pandemie hat bei einigen Kollegen einen echten Boom verschafft", sagt der Bielefelder Mediziner Jörg Blesse, der am Wochenende die Präsidentschaft der in Bielefeld stattfindenden Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) übernommen hat. Die Patientinnen und Patienten hätten vor allem nach Eingriffen und Behandlungen verlangt, die das Gesicht betreffen. So hätten etwa 14,6 Prozent sich eine Straffung des Oberlides gewünscht, jeder zehnte Patient bat um eine Faltenunterspritzung.

Der Bielefelder Mediziner Jörg Blesse.  - © Privat
Der Bielefelder Mediziner Jörg Blesse.  (© Privat)

Corona ist aus mehreren Gründen die Ursache

Die sprunghaft gestiegene Nachfrage machen die Chirurgen direkt an den Folgen der Corona-Pandemie fest – aus mehreren Gründen. „Wenn wir eine Maske tragen, ist vom Gesicht oft nur die Augenpartie zu sehen", erläutert Harald Kaisers, Präsident der DGÄPC. Zudem hätten die zahlreichen Videokonferenzen zu einem „Zoom-Boom" geführt: „Wir sehen uns in den Meetings nicht wie im Spiegel, sondern so, wie wir wirklich aussehen", sagt Kaisers. „Das wirkt auf viele befremdlich."

Hinzu komme, dass die Webcams oft ungünstig positioniert sind und das Licht im Homeoffice nicht gerade wie bei einem Filmset ist. „Das führt dann oft dazu, dass man einen müden, übernächtigten Eindruck macht", sagt Jörg Blesse. „Viele denken sich dann: Oh, das bin ja ich! So kann ich doch nicht weiter rumlaufen!"

In der Mitte der Gesellschaft angekommen

Dieser Gedankengang fiel dann ausgerechnet in die Zeit der Lockdowns, so dass die Menschen sich nahezu zwangsläufig mehr mit sich selbst und damit auch mit ihrem Äußeren beschäftigten. Zudem hatten viele durch die Corona-Einschränkungen schlagartig Geld zur Verfügung, das sie im ausgefallenen Urlaub, in den geschlossenen Geschäften oder den Restaurants nicht ausgeben konnten.

„Da hat dann eine wirtschaftliche Verschiebung stattgefunden", sagt Blesse. „Zeit und Geld waren die entscheidenden Faktoren." Was die Mitglieder der DGÄPC dabei umtreibt, ist weniger der Umstand, dass sich ihr Metier in den vergangenen Jahren und durch die veränderten Rahmenbedingungen plötzlich deutlich mehr Nachfrage erfährt. Dass die Ästhetisch-Plastische-Chirurgie nicht mehr den ohnehin schon Schönen und Reichen vorbehalten, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, sorgt durchaus für eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung.

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Besorgt sind die Mediziner allerdings darüber, dass der Boom bei vielen zu einer gewissen Sorglosigkeit geführt hat. „Da findet eine Bagatellisierung statt", warnt Kaisers vor einer gesunkenen Hemmschwelle. Gerade die Influencer mit ihren sowohl chirurgisch als auch nachträglich am Computer auf Hochglanz polierten Fotos würden zum einen die Eingriffe zu einem Lifestyle-Produkt verklären und zum anderen eine unerfüllbare Erwartungshaltung provozieren.

Die "Schönheits-OP mal so nebenbei" gibt es nicht

„Auf den Bildern sieht das alles ganz easy aus", sagt Jörg Blesse. Er müsse dann aber – wenn etwa eine Patientin ein als Vorbild dienendes Foto von Instagram vorzeigt – gleich bremsen. „Wenn ich dann: ,So, wie Sie sich das vorstellen, geht das gar nicht!‘ sage, kommt dann gleich: ,Aber die anderen!‘" Genau von „den anderen" komme dann letztlich auch der Druck zur Selbstoptimierung, der Wunsch, makellos auszusehen.

„Das wird dann als wichtiger erachtet als tatsächliche Charakterbildung", kritisiert Kaisers. „Das, wofür man sonst lange Zeit an sich arbeiten müsste, soll dann mit einem schnellen Eingriff kaschiert werden. Hinzu komme, dass es eine Schönheits-OP „mal eben so nebenbei" nicht gibt. „Es wird dann nicht berücksichtigt, dass es Komplikationen geben kann", so Kaisers. Besonders das Aufspritzen von Lippen mit Hyaluronsäure berge immense Risiken.

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Dubiose Anbieter würden die wichtige Aufklärung und Beratung genau so wenig liefern wie die Youtube-Filme, in denen Do-it-yourself-Tipps gegeben werden. „Im ärgsten Fall kann man davon erblinden", warnt der Mediziner. Die „Katastrophen" würden dann, wenn es zu spät ist, wieder bei den Fachärzten landen.

Die Mediziner in der DGÄPC plädieren daher, dass die Behandlungen und Operationen nur von Fachärzten und mit einer entsprechenden Beratung und Aufklärung durchgeführt werden sollten. Zudem sollte daran gearbeitet werden, das vor allem der Social-Media-Markt reguliert wird – etwa dadurch, dass nachträglich bearbeitete Fotos als solche gekennzeichnet werden müssen.

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