Bielefeld. Es gibt sie noch, die Geflüchteten, die versuchen aus ihrer afrikanischen Heimat übers Mittelmeer nach Europa zu kommen und die afghanischen Ortskräfte, die von den Taliban gejagt werden. Es gibt sie noch, aber sie sind unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung zu großen Teilen verschwunden nach Corona und nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine.
So will die Initiative „Seebrücke" sich und ihr Anliegen wieder in Erinnerung rufen bei einem Festival am Samstag, 2. Juli, auf dem Siegfriedplatz. Von 16 bis 22 Uhr heißt es bei ihrem Festival gegen Abschottungspolitik: „Music & Movement for Everyone".Ihr Anliegen steht auf der Homepage: „Wir möchten mit dieser Veranstaltung zum Ausdruck bringen, dass es nötig ist, sichere Fluchtwege, sichere Versorgung und eine sichere Aufnahme für Alle Geflüchteten zu schaffen, ganz gleich woher sie kommen".
Die Betonung liegt auf „Alle!"
Musik von anatolischem Folk über arabischen Rap bis harten Punk und „Music for hope"- Piano solo wird es geben, Theateraufführungen und Poetry-Slams. Info-Stände werden aufgebaut mit Flyern zum Mitnehmen und Spendenboxen um ihre Inhalte weiter zu verteilen an Geflüchteten-Organisationen.
Das mit der „Music" ist nun erwähnt beim Siggi-Festival. Aber was ist mit „Movement" gemeint? „Das Recht auf Bewegungsfreiheit für Alle" antwortet Ela vom Planungsteam der Bielefelder „Seebrücke". Diese Freiheit sieht die lokale Flüchtlingsinitiative arg eingeschränkt: „Bielefeld hat sich zum Sicheren Hafen erklärt, ist das nur eine Absichtserklärung?", stellt Ela die Frage in den Raum und fügt zu: „Bielefeld könnte ein sicherer Hafen sein, am Beispiel der Hilfesuchenden aus der Ukraine sieht man, dass es geht".
Der Hafen solle aber auch Platz haben für Menschen aus dem Nordirak, aus Afghanistan und aus Afrika. Ela hat einen Freund zum Gespräch mitgebracht: Abu, 32 Jahre jung, gebürtig aus Ghana war acht lange Jahre auf Flucht vor Repressalien wegen seiner „queeren" sexuellen Orientierung – sogar seine Familie hatte ihn verstoßen.
Seine Flucht führte ihn über Burkina Faso und Niger nach Libyen, wo er ein Jahr lang in einem Flüchtlingscamp lebte. Irgendwann landete er in Lampedusa und kam nach Pescara an der italienischen Adriaküste. Dort blieb er zwei Jahre. Mit einem Flixbus gelangte er schließlich über Österreich nach Kirchlengern (Kreis Bünde). Dort holte man ihn eines Nachts unangemeldet – wie er sagt – ab und verfrachtete ihn über den Airport Düsseldorf nach Mailand. Mit Hilfe eines Schleppers ging es mit dem Zug über Frankreich nach Belgien, wo er wiederum zwei Jahre verbrachte. Nun ist Abu zurück in Ostwestfalen und in Bielefeld ankommen.
Er lernt hier deutsch (kann es nach einem dreimonatigem Kurs schon sehr ordentlich) und will Altenpfleger werden.Abus Geschichte ist eine von vielen – Stichwort: „unter dem Radar": Seit Wochenanfang dümpeln 450 aus Seenot gerettete Flüchtlinge auf dem Schiff „Nadir" im Mittelmeer herum und warten auf Zuweisung in einem Hafen; 90 Männer, Frauen, Kinder und ein Baby befinden sich an Bord der „Ocean Viking" die im Charter der Organisation „S.O.S. Méditerranée" das Mittelmeer durchkreuzt, hinzu kommen weitere 59 Geflüchtete, die auf der, vom Künstler Bansky finanzierten „Louise Michel" ausharren.
Im Mittelmeer gibt es längst keine staatlich organisierte Seenotrettungsmission mehr. Noch eine erschütternde Zahl: Insgesamt haben sich nach Angaben des italienischen Innenministeriums seit Jahresbeginn 17.000 Menschen über das Mittelmeer gewagt, über 1550 davon sind gestorben oder werden vermisst.
Vor wenigen Tagen wurden zwei Leichen an den Strand von Lesbos gespült. Es handele sich, laut griechischer Küstenwache, um Migranten.
Auf dem Siegfriedplatz wird um 20.15 Uhr die Aktivistin Parwana Amiri sprechen. Sie hat ein Jahr im Lager Lesbos leben müssen.
Von arabischem Rap bis Punkrock
Zum Start des Festivals wird Moh-Karim aus Bielefeld auf arabisch und englisch rappen, um 17 Uhr wird ein „Theater zu Kriegserfahrungen" aufgeführt. Es folgt um 17.30 Uhr die Singer/Songwriterin Mina Richman, dem sich ein kurzer Poetry Slam anfügt. Das Duo „Bega & Hosam" ist um 18.45 Uhr zu höre, „Music for Hope" auf dem Piano von Aeham Ahmad gibt es um 19.15 Uhr. Anatolischen Folk spielt Eren Aksahin um 20.45 Uhr und das musikalische Finale bestreiten ab 21.30 Uhr die Bielefelder Punk-Rocker „Irritator".