Gewalt unter der Geburt: Bielefelderin erlebt schönsten Tag im Leben als Albtraum

Bielefeld. Der schönste Tag im Leben? Diese Frage beantworten viele Frauen mit der Geburt ihres Kindes. Doch die Freude über den Nachwuchs wird häufig getrübt, denn immer wieder erleben Frauen unter der Geburt Gewalt. So wird der schönste Tag im Leben zum Albtraum – mit fatalen Folgen. Die Erfahrungen können Frauen traumatisieren und die Mutter-Kind-Beziehung nachhaltig beeinflussen. All das erlebt auch Vanessa Zobel, als sie 2021 ihren Sohn Anton in einer Bielefelder Klinik zur Welt bringt.

Viele Erinnerungen an die ersten Monate mit ihrem Sohn hat Zobel nicht. &bdquo;Meine Wahrnehmung war in dieser Zeit verschwommen. Ich habe mich wie ein Roboter gefühlt", sagt die 36-Jährige. Der Grund: Zobel erkrankt an einer Wochenbettdepression. Davon sprechen Mediziner und Therapeuten, wenn Depressionssymptome in den ersten zwölf Monaten nach der Geburt oder vor einer weiteren Geburt auftreten. Anzeichen wie Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Antriebslosigkeit ähneln anderen Depressionsformen, doch peripartale Erkrankungen werden oft nicht erkannt.

Es gibt verschiedene Auslöser für Wochenbettdepressionen, bei Zobel ist es die Geburt ihres Sohnes, die sie als traumatisch erlebt. &bdquo;Ich habe mich gefühlt wie ein Käfer auf dem Rücken und nicht mehr wie ein Mensch, der Rechte hat, weil ich während des gesamten Geburtsvorgangs fremdbestimmt wurde", erklärt Zobel. Während der Geburt kommt es zu Komplikationen, doch niemand informiert die werdenden Eltern darüber. &bdquo;Zwischen uns und den Geburtshelfern fand so gut wie keine Kommunikation statt und wir wurden in keine Entscheidung mit eingebunden."

Keine Aufklärung über Risiken durch Wehentropf und Saugglocke Auch nicht bei medizinischen Interventionen wie der Nutzung eines Wehentropfes oder einer Saugglocke. &bdquo;Obwohl Risiken bestehen, wie wir heute wissen, wurden wir nicht darüber aufgeklärt. Wir wissen, dass bei Gefahr im Verzug schnell gehandelt werden muss, aber Zeit für Information sollte immer da sein und das Handeln wenigstens kurz erklärt werden", sagt Zobel.

Völlig überwältigt von den Schmerzen und dem Umgang mit ihr verkrampft die Bielefelderin während der Geburt. Diese Verunsicherung wird später als mangelnde Kooperation im Mutterpass festgehalten – als Grund für den letztlich erforderlichen Notkaiserschnitt. &bdquo;Ich war mit meinen Kräften völlig am Ende. Mit so wenig Respekt und Wertschätzung seitens der Geburtsklinik hätte ich nicht gerechnet", sagt Zobel. &bdquo;Doch offenbar haben die Profis vergessen, dass Geburten für sie Alltag, für Frauen und ihre Partner jedoch Ausnahmesituationen sind."

Frauen berichten von Kaiserschnitten ohne ausreichende Betäubung Immer wieder werden solche Erlebnisse als Einzelfälle abgetan, doch das sind sie in Deutschland nicht. Am heutigen Tag gegen Gewalt an Frauen legen seit 2011 zur " Roses Revolution " bundesweit Betroffene Rosen und Briefe an den Geburtsorten ab, in denen sie Gewalt erfahren haben. Als Zeichen für eine sichere und selbstbestimmte Geburtsbegleitung, heißt es von dem Verein Traum(a) geburt , der Betroffene unterstützt.

Zahlreiche schockierende Berichte zeigen, dass eine sichere und selbstbestimmte Geburtsbegleitung in Deutschland nicht selbstverständlich ist. Jedes Jahr öffnen sich mehr Frauen und berichten von psychischer und physischer Gewalt unter der Geburt, darunter unnötig schmerzhafte Behandlungen wie Kaiserschnitte ohne ausreichende Betäubung sowie Demütigungen, Vernachlässigung und Bevormundung.

Zahl der Geburtskliniken sinkt bei steigender Geburtenrate &bdquo;Was manche Frauen unter der Geburt erleben, wird oft als notwendiger Teil des Prozesses abgetan. Hauptsache, das Kind ist gesund, so das Argument. Doch auch werdende Mütter haben Patientenrechte, die nicht weiter so leichtfertig außer Acht gelassen werden dürfen", fordert Zobel. &bdquo;Das körperliche und mentale Wohlergehen einer gesamten Familie sollte mehr in den Fokus rücken."

Um für die besondere Situation unter der Geburt zu sensibilisieren, nimmt auch die Bielefelderin an der "Roses Revolution" teil. &bdquo;Die Geburtshilfe muss in Deutschland wieder Teil der Gesundheitsgrundversorgung werden, denn so wie jetzt darf es nicht weitergehen." Bundesweit sinkt die Zahl der Geburtskliniken bei einer aktuell steigenden Geburtenrate, weil sich der Betrieb für viele Krankenhäuser finanziell nicht rechnet. Zudem berichten Kliniken über einen massiven Mangel an Hebammen und Gynäkologen. &bdquo;Und damit verschlechtert sich natürlich auch die Versorgung von Neugeborenen und ihren Müttern", moniert Zobel.

Hebamme tut Depressionssymptome als unbegründet ab Persönlich geht es der 36-Jährigen inzwischen wieder gut. &bdquo;Die Zeit mit unserem Sohn kann ich jetzt endlich genießen. Doch die Verarbeitung dauert immer noch an, man braucht viel Geduld mit sich." Geholfen habe ihr dabei der Austausch mit einer Psychologin und anderen Betroffenen sowie ihr Engagement im Verein Schatten und Licht , der Mütter mit psychischen Erkrankungen nach der Geburt unterstützt.

Doch auch diese Hilfe ist laut Zobel nicht selbstverständlich. &bdquo;Ich hatte nach der Geburt das Gefühl, dass etwas mit mir nicht stimmt, doch als ich das meiner Nachsorgehebamme erzählte, tat sie meine Gefühle als unbegründet ab und fragte mich, was ich denn von einem Leben mit einem Neugeborenen erwartet hätte." Und das, obwohl psychische Erkrankungen nach der Geburt den Start eines neuen Lebens beeinflussen und die gesamte Familie betreffen.

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