Nikotinbeutel an Schulen in OWL: Experten warnen vor dem neuen Hype

Herford/Gütersloh. Sie wirken schnell, stinken nicht und sind günstig zu haben. Nikotinbeutel sind der neue Rauschmittel-Hype unter Jugendlichen. Unbemerkt von außen schieben sie sich die kleinen Beutel hinter die Oberlippe und konsumieren dabei so viel Nikotin wie in mehreren Zigaretten. So steigt die Zahl der Jugendlichen in Deutschland, die aktiv Nikotin konsumieren, während die Zahl junger Raucher weiter zurückgeht. In Deutschland ist das Rauschmittel verboten – trotzdem aber auf Schulhöfen, Kinderzimmern und Sporthallen weit verbreitet, auch in OWL.

Was sind Nikotinbeutel? Nikotinbeutel sind neue Produkte der Tabakindustrie, die an den in Skandinavien weitverbreiteten Oraltabak-Snus erinnern. Snus besteht aus Tabak, Aromen und weiteren Inhaltsstoffen und wird als loses Pulver oder portioniert in kleinen Beuteln verkauft, die Konsumenten hinter die Oberlippe oder Unterlippe klemmen und für etwa 30 Minuten im Mund behalten. Das Nikotin gelangt dann über die Mundschleimhaut in den Blutkreislauf und von dort aus ins Gehirn. Nikotinbeutel werden genauso konsumiert und enthalten ebenfalls Nikotin, jedoch keinen Tabak.

Sind Nikotinbeutel legal? Nikotinbeutel dürfen in Deutschland nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums nicht verkauft werden. Da die Beutel keinen Tabak enthalten, fallen sie unter das Lebensmittelrecht. &bdquo;Über das Internet sind Nikotinbeutel aber leicht zu beschaffen. Zudem werden sie trotz des Verbots aufgrund fehlender Kontrollen und Strafen auch in Tabakgeschäften, Kiosken und Tankstellen verkauft“, erklärt Uwe Holdmann, der sich als Trainer zur Nikotinentwöhnung in der Suchtvorbeugung beim Diakonischen Werk Herford engagiert.

Nikotinbeutel werden in Geschmacksrichtungen wie &bdquo;Watermelon Ice“, &bdquo;Groovy Grape“ oder &bdquo;Peppermint Storm“ verkauft und sind deutlich günstiger als Zigaretten. Eine Dose mit 20 Nikotinbeuteln kostet zwischen 2 und 6 Euro, eine Portion ist also bereits ab 0,10 Euro zu haben. Zum Vergleich: 20 Zigaretten kosten im Durchschnitt 8,20 Euro.

Der Bundesverband der Tabakwirtschaft setzt sich für eine Legalisierung der Nikotinbeutel ein, um gegen den Schwarzmarkt vorzugehen und um Rauchern eine weniger schädliche legale Option für den Konsum von Nikotin anbieten zu können. In Österreich sind Nikotinbeutel frei verkäuflich, seit dem vergangenen Jahr sind die Produkte aber erst ab dem 18. Lebensjahr erlaubt.

Sind Nikotinbeutel gefährlich? Das Bundesinstitut für Risikobewertung sieht Gefahren für Kinder, Jugendliche, schwangere und stillende Frauen sowie Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Nichtraucher, weil sich Nikotin stark auf das Herz und den Kreislauf auswirkt und stark psychisch abhängig macht. &bdquo;Nikotinbeutel sind zwar weniger gefährlich als tabakhaltige Produkte wie Snus, aber sie enthalten Nikotin und das zum Teil in hoher Konzentration“, erklärt der Gütersloher Suchtmediziner Ulrich Kemper. Nikotin habe ein sehr hohes Suchtpotenzial, weil es innerhalb weniger Sekunden auf spezielle Rezeptoren im Gehirn wirke und so die Ausschüttung von Adrenalin, Dopamin und Serotonin stimuliere. &bdquo;Das sorgt bei Konsumenten je nach Situation zu einer aufputschenden Wirkung, die den Kreislauf aktiviert, die Konzentrationsfähigkeit steigert und das Hungergefühl verringert, oder zu einer entspannenden Wirkung.“

Kemper beobachtet, dass der Konsum von Nikotin und anderen Rauschmitteln zunimmt, um im Job oder der Schule mehr leisten zu können. &bdquo;Die Tabakindustrie nutzt diesen Trend und bietet immer mehr Alternativen zur Zigarette an, vor allem für junge Zielgruppen, weil die Zahl der jungen Raucher seit der Jahrtausendwende deutlich gesunken ist.“ Am Beispiel der Nikotinbeutel lasse sich das Vorgehen gut beobachten, erklärt der ehemalige Chefarzt der Klinik für Suchtmedizin des LWL-Klinikums Gütersloh, der nach seinem Ruhestand weiter in der Suchtambulanz tätig ist. &bdquo;Nikotinbeutel schmecken süß oder frisch, die Verpackungen in bunten Dosen erinnern an Kaugummis, den Konsum riecht und sieht man nicht und die Kosten sind niedrig. All das spricht Jugendliche an, weil die Produkte harmlos wirken, obwohl sie es nicht sind.“

Die Tabakindustrie wirbt zudem damit, dass Nikotinbeutel zur Tabakentwöhnung beitragen können. Dafür gibt es nach Angaben Kempers jedoch keine Belege. &bdquo;Rauchlose Produkte wie Nikotinbeutel oder auch Snus bringen keinen gesundheitlichen Gewinn und haben auch keinen Nutzen in der Tabakentwöhnung. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die Zahl der Menschen mit einer Nikotinabhängigkeit steigt und wieder mehr Menschen rauchen.“

Diese Gefahr sieht auch Suchtberater Holdmann. &bdquo;Wir beobachten, dass vor allem Jugendliche und vermehrt auch Kinder Nikotinbeutel konsumieren, die vorher noch keinen Kontakt zu Zigaretten oder anderen Tabakprodukten hatten.“ Schon Elfjährige konsumieren laut Holdmann Nikotinbeutel. &bdquo;Die Konsumenten sind sehr jung. Das macht uns Sorgen, denn in dem Alter ist die Abhängigkeitsgefahr sehr hoch und in der Jugend entscheidet sich, wer die nächsten 30 Jahre raucht.“ Zudem bestehe eine wechselseitige Beziehung zwischen Tabak- und Cannabiskonsum. &bdquo;So besteht die Gefahr, dass die Zahl der Raucher steigen könnte.“

.responsive23-FxWTeAhgcvkimdXS-ttc-linechart-stationaere { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-FxWTeAhgcvkimdXS-ttc-linechart-stationaere { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-FxWTeAhgcvkimdXS-ttc-linechart-stationaere { padding-top: 142.86%; } } Wie weit sind Nikotinbeutel verbreitet? Eine Befragung im Auftrag der DAK zeigt, dass fünf Prozent der Jugendlichen der fünften bis zehnten Klasse bereits Nikotinbeutel ausprobiert haben, obwohl sie in Deutschland verboten sind. Unter den 16- und 17-jährigen Jungen sind es bereits 15 Prozent, bei den Mädchen zehn Prozent. Nach Angaben Holdmanns sei das Rauschmittel auch in OWL an fast jeder Schule Thema. &bdquo;Schulleiter und Lehrer melden sich bei uns in der Suchtberatung und bitten um Aufklärung.“

Was können Eltern tun? Holdmann sieht neben Schulen vor allem Eltern in der Pflicht, ihre Kinder über die Gefahren von Nikotinbeuteln aufzuklären. &bdquo;Nicht alle Schüler konsumieren Nikotinbeutel und nicht alle Schüler, die sie ausprobieren, werden süchtig. Doch der Konsum birgt Gefahren und das müssen Kinder und Jugendliche wissen, denn Nikotinbeutel etablieren sich rasend schnell.“ Vor allem aufgrund von Werbung in sozialen Netzwerken wie Tik Tok, sagt Holdmann. &bdquo;Außerdem berichten Schüler, dass Sportler die Produkte nutzen und davon schwärmen.“

Holdmann weiß aber auch, dass Eltern oft nichts vom Konsum wissen. &bdquo;Man riecht und sieht es nicht, deshalb sollten Eltern frühzeitig das Gespräch suchen, auch dann, wenn noch nicht konsumiert wird.“ Dazu rät auch Suchtmediziner Kemper. Es gebe keinen Grund zum Dramatisieren, weil nicht jeder Probierkonsum zum Dauerkonsum führe. &bdquo;Aber Eltern sollten herausfinden, warum ihre Kinder konsumieren und fragen, warum sie glauben, dass sie das Mittel brauchen, um zu funktionieren oder glücklich zu sein. Vielleicht haben sie Stress oder Ärger.“

Holdmann rät Eltern zudem dazu, verbotene Verkäufe von Nikotinbeuteln in Geschäften beim Ordnungsamt zu melden. &bdquo;Auch der Verkauf von E-Zigaretten oder Vapes an unter 18-Jährige ist verboten und sollte gemeldet werden.“

Nikotinbeutel an Schulen in OWL: Experten warnen vor dem neuen Hype

Neuer Rauschmittel-Hype: Tabakindustrie fordert Freigabe von Nikotinbeuteln

Nikotinbeutel in freien Verkauf? Firmen rühren Werbetrommel

WHO-Chef: Tabakkonzerne ködern gezielt junge Konsumenten

Anti-Tabak-Konferenz dringt auf Kampf gegen Zigarettenkippen

Millionen Raucher wollen nicht aufhören - was tun?

Rauchentwöhnung in OWL: Arzneimittel bald auf Rezept

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus!

0,99 Euro im ersten Monat

Weiterlesen mit LZplus