OWL-Städte verschärfen Sicherheit bei Volksfesten – in Verl hilft der Pollerpapst

Lage/Verl. Es ist eine klare Rechnung, die Lages Bürgermeister Matthias Kalkreuter aufmacht: 15 mobile Sperren hätte es gebraucht, um die Frühjahrskirmes der Stadt im Kreis Lippe gegen Überfahrtaten abzusichern. &bdquo;Mancherorts waren pro Sperre mehrere Fahrzeuge nötig, sodass wir am Ende 35 Fahrzeuge hätten aufbieten müssen. Das ist finanziell nicht zu stemmen.“ Und so hat Lage das beliebte Volksfest abgesagt. Experten fürchten, dass viele weitere Brauchtums- und Traditionsveranstaltungen von den Sicherheitsanforderungen bedroht sein könnten.

In Leopoldshöhe zum Beispiel will Sprecherin Nicole Steinmeier nicht von Absagen sprechen. &bdquo;Klar ist aber, dass der bisherige Veranstaltungsort, der Marktplatz, in der aktuellen Sicherheitslage als Ort nicht mehr infrage kommt.“ Im Gegensatz zu anderen Städten, wo Marktplätze häufig durch Häuser umbaut sind, ist der Platz hier von drei Seiten mit hoher Geschwindigkeit befahrbar. &bdquo;Das alles mit zertifizierter Absperrung abzusichern, ist viel zu teuer.“ Ergo müssen nun Alternativen für den Abendmarkt und das Generationenfest gefunden werden. Steinmeier: &bdquo;Hier geht es eigentlich seit Januar um nichts anderes mehr als Sicherheitskonzepte.“

Auf Anfrage zeichnet sich in Dutzenden anderen OWL-Kommunen das gleiche Bild ab. Schon jetzt ist klar: Die großen Publikumslieblinge werden stattfinden, sei es der Leineweber in Bielefeld, Libori in Paderborn, Andreasmesse in Detmold, Blasheimer Markt in Lübbecke oder Wilbasen in Blomberg.

Aber überall wird mit multiprofessionellen Teams, mit großem Zeitaufwand und Erhöhung der Mittel geprüft, ob und wie Sicherheitskonzepte erweitert und Menschenmengen vor heranrasenden Fahrzeugen geschützt werden können. So teilt zum Beispiel die Stadt Gütersloh auf Anfrage mit, es gebe das Bestreben, die Sicherheit in der Fußgängerzone nachhaltig zu erhöhen. &bdquo;Der Fachbereich Tiefbau will sich zeitnah mit der entsprechenden Planung geeigneter Schutzmaßnahmen befassen. Im Entwurf des Haushaltsplans sind für die Pläne 58.000 Euro vorgesehen.“

&bdquo;Beim Blasheimer Markt werden die Straßensperren anders aussehen“ In Lübbecke hat die Kommune mit dem Blasheimer Markt eine der größten Veranstaltungen Ostwestfalens vor der Brust. Zufahrtsbeschränkung war hier auch schon vor den Taten in Mannheim, München und Magdeburg bereits Teil des Sicherheitskonzepts. &bdquo;In den letzten Jahren haben sich diese in massiven Schikanen aus mobilen Fahrzeugsperren, sogenannten OktaBlöcken, dargestellt.“ Da die Konzepte jährlich mit der Polizei überarbeitet würden, passe man sich an die derzeit herrschende Gefahrenlage an. Zu viele Details will die Stadt Lübbecke hier aus Sicherheitsgründen nicht offenlegen. So viel aber ist klar: &bdquo;Beim diesjährigen Blasheimer Markt werden die Straßensperren anders aussehen.“

Auch in Detmold, wo mit der Andreasmesse ebenfalls eines der größten Volksfeste der Region stattfindet, haben sich die Verantwortlichen erneut zusammengesetzt, um die bisherigen Sicherheitsmaßnahmen und -standards auf den Prüfstand zu stellen. &bdquo;Dabei hat sich nur in geringem Umfang Nachsteuerungspotenzial ergeben“, teilt eine Sprecherin mit. &bdquo;Dies sieht für Detmold so aus, dass wir bei innerstädtischen Veranstaltungen insgesamt noch mehr Barrikaden verwenden und auch kleinste Straßen sperren, um den Veranstaltungsort gegen mögliche Überfahrtaten abzusichern.“

Auf den Kreis Lippe kommt mit der Absicherung des Wilbaser Marktes ebenfalls eine Mammutaufgabe zu – zumal das Volksfest völlig frei auf einer Wiese entlang einer Schnellstraße stattfindet. &bdquo;Glücklicherweise ist dieses Areal auf drei Seiten von natürlichen Barrieren umgeben“, sagt Kreissprecher Patrick Bockwinkel. Dennoch werde man auch in diesem Jahr das Sicherheitskonzept erneut überarbeiten und anpassen.

Verl lässt sich von UN-Experten beraten Eine Kommune in OWL hat bereits vor längerer Zeit alle Register gezogen und sich gar gleich von einem international agierenden Experten der Vereinten Nationen beraten lassen – Verl nämlich. &bdquo;Wir haben bereits im Frühjahr 2023 in Sachen Zufahrtsschutz die Expertise von Christian Schneider eingeholt“, sagt Oliver Lohmann, Leiter des Fachbereichs Sicherheit und Ordnung bei der Stadt Verl. Schneider hat bereits den Berliner Breitscheidplatz, den Flughafen Berlin-Brandenburg und im Rahmen der Europameisterschaft das Stuttgarter Stadion gegen Überfahrtäter abgesichert.

Und auch das &bdquo;Verler Frühstück“ steht nun in seinem Portfolio. &bdquo;Das findet auf einer großen Hauptverkehrsstraße statt, einem sehr vulnerablen Ort für solche Taten“, sagt Lohmann, der selbst viel Erfahrung in der Erstellung von Sicherheitskonzepten hat und unter anderem auch schon in die Absicherung anderer Großveranstaltungen eingebunden war. &bdquo;Zu diesem Zeitpunkt haben wir uns als Stadt erstmalig konkret mit Barrieren und Sperren beschäftigt.“

Lohmann weiß aber auch: Diese Maßnahmen sind bei der Erstellung eines Konzepts nur die Spitze des Eisbergs. &bdquo;Da guckt man sich an: Art der Veranstaltung, Ort, Beschaffenheit der Flächen, man schaut, welche Gefahrenpotenziale gibt es vor Ort, führt Gespräche mit Polizei und anderen Sicherheitsbehörden, ermittelt die Besucherklientel – all das wird zuerst mit einem enormen Zeitaufwand betrachtet und abgewogen, um überhaupt die Gefährdungslage zu definieren.“

In Verl ist ein Lkw als Tatwaffe unwahrscheinlich Fast schon zynisch mutet hier besonders ein Faktor an, der jedoch ebenfalls nötig ist: &bdquo;Man muss sich immer ein Stück weit in die Täter hineinversetzen und auch ausloten, welche Fahrzeuge für eine Tat rund um den Veranstaltungsort relevant oder gefährlich sein könnten.“ Was für Verl heißt: In den meisten Fällen ist ein Lkw als Tatwaffe unwahrscheinlich. &bdquo;Für die gibt es hier vor Ort in der Regel nicht die Möglichkeit, Wirkung zu entfalten. Anders sieht das bei einem 2,8-Tonnen-SUV aus, der auf kurze Distanz stark beschleunigen kann.“

Auch mit der Art der Barrieren hat sich das Expertenteam in Verl eingehend auseinandergesetzt. Für Oliver Lohmann ist deshalb klar: Betonquader, deren Gewicht unter 500 Kilogramm liegt, braucht man eigentlich gar nicht erst aufzustellen. &bdquo;Die schiebt so ein 40-Tonner weg.“ Für ihn liegt der Fokus auf einer ganz anderen Barriere: Traktoren. &bdquo;Die sind mobil und die schiebt nichts so schnell beiseite. Das ist eine interessante Option, mit der wir uns hier gerade beschäftigen.“

Für den Mann, der Verl beraten hat und in der Branche auch als &bdquo;Pollerpapst“ bekannt ist, sind Überlegungen wie diese das Alltagsgeschäft. Dabei unterscheidet Christian Schneider ganz klar zwischen Schutz und Sicherheit. &bdquo;100-prozentige Sicherheit werden wir nie haben. Schutz für vulnerable Orte und auch Schutz gegen Überfahrtaten, können wir dagegen zu 99,9 Prozent leisten.“ Nicht gelten lässt der Experte dabei das häufig genannte Argument, die Freiheit leide unter den Schutzmaßnahmen. &bdquo;Wenn Menschen spüren, dass ihre Freiheit durch die Maßnahmen eingeschränkt ist, dann hat der Verantwortliche nicht gewusst, was er tat. Einen wirklich guten Zufahrtsschutz nimmt man gar nicht wahr.“

Gefährliche Geschäftemacherei mit der Sicherheit Christian Schneider weiß aber auch: In Sachen Zufahrtsschutz wissen viele Anbieter gerade nicht, was sie tun. &bdquo;Da ist gerade die große Geschäftemacherei im Gange, da gibt es sehr viele unseriöse oder sogar vollkommen untaugliche Angebote.“ Bestes Beispiel, das Schneider gesehen hat: die Schutzmaßnahmen auf dem Weihnachtsmarkt einer Großstadt in NRW. &bdquo;Um die Ästhetik nicht zu zerstören, gab es hier Betonbarrieren, die als runde Weihnachtsbäume gegossen worden waren. Wenn die umfallen, aus welchem Grund auch immer, rollen die in die Menschenmenge. Dann hat der Attentäter gar nicht mehr viel zu tun.“

Dennoch hätten die Anbieter solcher Produkte leichtes Spiel. &bdquo;Die Kommunen sind derzeit sehr rege bei dem Thema, da ist ein hoher Wille, die Bevölkerung zu schützen.“ Aber Qualität entsteht aus Qualifikation und dafür braucht es echte Expertise. &bdquo;Guter Zufahrtsschutz ist keine Do-it-yourself-Übung und den gibt es auch nicht im Baumarkt.“ Grundsätzlich rät der Terrorabwehrexperte allen Kommunen deshalb, sich beim Verband für Sicherheitstechnik in Hamburg neutral beraten zu lassen. &bdquo;Das ist bis zu einer bestimmten Stufe sogar gratis.“

Hohe Kosten für die Kommunen werden sich künftig angesichts der angespannten Sicherheitslage aber nicht vermeiden lassen. In vielen Fällen bedeutet das angesichts der angespannten Haushaltslage, dass Städte deutschlandweit ihre Veranstaltungen absagen. &bdquo;Viele Kommunen stoßen an ihre Grenzen“, weiß auch Andreas Wohland vom Städte- und Gemeindebund NRW.

NRW passt Handlungsleitfaden nicht an aktuelle Lage an Für viele Kommunen gibt es aber auch noch ein anderes Problem: die Unsicherheit, welche Maßnahmen jetzt überhaupt zu ergreifen sind. Das Land NRW hat dazu bereits 2021 einen Orientierungsrahmen herausgegeben, der auch die Planung, Genehmigung und Durchführung von Veranstaltungen &bdquo;im Freien mit erhöhtem Gefährdungspotenzial“ berücksichtigt. Verändert oder erweitert wird dieser angesichts der Ereignisse von München, Mannheim und Magdeburg aber nicht, das haben die kommunalen Spitzenverbände und das Innenministerium NRW in einem gemeinsamen Gespräch festgelegt.

In einem Schnellbrief hat der Städte- und Gemeindebund den Kommunen das damit begründet: &bdquo;Die begründeten Sorgen und Ängste dürfen aber nicht dazu führen, dass ehrenamtliches Engagement durch unerfüllbare Sicherheitserwartungen und Sicherheitsauflagen für Karnevalsumzüge, Schützenfeste oder auch Martins- und Nikolausumzüge erdrosselt wird.“

Dieser Ansicht ist auch Matthias Kalkreuter, Bürgermeister des gebeutelten Lage. &bdquo;Wir müssen jetzt ein gesundes Mittelmaß finden. Wir können nicht jede Veranstaltung, jeden Wochenmarkt mit schwerem Gerät absichern. Und wir dürfen uns unsere kulturellen und traditionellen Festivitäten nicht zerstören lassen.“ Doch auch pragmatische Überlegungen spielen hier eine Rolle. Denn im Juni findet in Lage das Schützenfest statt – inklusive Umzug. &bdquo;Wenn wir das so handhaben wie jetzt beim Rosenmontags-Zug und die Route so begrenzen, dass sie nur da lang führt, wo es absolut sicher ist, haben wir noch ein Fünftel der Strecke zur Verfügung.“

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