Nach brutaler Attacke auf sie und ihre Tochter: Mindenerin fühlt sich im Stich gelassen

Minden. Simone Fierus kann sich noch genau an den Montag im Frühjahr 2023 erinnern. &bdquo;Ich war mit meiner Tochter unterwegs“, sagt die Mindenerin. Es ist der 27. März, etwa 15.30 Uhr, und die 44-Jährige fährt mit ihrem Mercedes auf der Bismarckstraße in Minden. Plötzlich kommt ihr ein VW Golf entgegen, kracht fast in ihr Auto, die Fahrerin fällt mit unsicherer Fahrweise auf.

Simone Fierus entschließt sich, dem Fahrzeug zu folgen und konfrontiert die Frau hinterm Steuer schließlich. Mit fatalen Folgen für sie und ihr Kind: Beide werden angegriffen, erst verbal, dann körperlich. Kurze Zeit später befinden sich Mutter und Tochter auf dem Weg ins Klinikum Minden. Simone Fierus erleidet unter anderem eine Rippenprellung, ihre Tochter trägt ein Schädel-Hirn-Trauma davon. Zwei Jahre später beschäftigt sie der Übergriff noch immer.

Es ist Montag, der 7. April dieses Jahres, als ein Postbote der Familie einen Brief des Landgerichts Bielefeld zustellt. Er ist an Fierus’ Tochter gerichtet, der Verfasser ist Richter Carsten Glashörster. Er verhandelt den Revisionsprozess gegen einen heute 24-jährigen Mann aus Porta Westfalica, der ihrer Tochter bei dem Übergriff im März 2023 mindestens zweimal gegen den Kopf getreten haben soll. &bdquo;Hallo Sophia (Name der Redaktion geändert), ich hoffe, der Termin war heute nicht zu anstrengend für dich. Ich habe eine gute Nachricht für dich: Wir haben das Verfahren gegen Herrn A. eingestellt“, heißt es darin – und genau diese Stelle bringt für Simone Fierus das Fass zum überlaufen. &bdquo;Wie kann man sagen, dass das eine gute Nachricht ist?“, fragt sich die 44-Jährige.

In dem Brief heißt es weiter, dass Sophia ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 Euro bekommen soll. Für die Mutter wirkt das trotzdem wie Hohn. Sie betont, dass sich ihre Kritik explizit auf diese Textstelle bezieht und nicht auf den Richter im Allgemeinen. &bdquo;Er hat das bei der Verhandlung gut gemacht, Sophias Zeugenaussage auf Augenhöhe begleitet und war wirklich total lieb“, berichtet die Mutter. Umso mehr habe sie sich dann über den Wortlaut in dem Brief an ihre Tochter gewundert. &bdquo;Das kann ich bis jetzt nicht verstehen“, sagt sie.

Dass der Richter eigentlich auf die Tatsache anspielt, dass das Verfahren nun zu einem Abschluss kommt und ihrer Tochter weitere Aussagen erspart bleiben, weiß sie inzwischen. Doch das ändert für die 44-Jährige nicht, dass sie das Prozedere als ungerecht empfindet. Sie ist sich sicher: &bdquo;Es gibt bestimmt ganz viele Menschen, die ebenso eine Ungerechtigkeit vor Gericht erfahren haben wie wir.“ Deshalb wolle sie ihre Geschichte öffentlich erzählen. &bdquo;Es hat sich alles so lange gezogen und ist noch immer nicht vorbei“, sagt die Mindenerin im MT-Gespräch über den Vorfall.

Was war am 27. März genau passiert? Aber was war am 27. März genau passiert? &bdquo;Nach der Begegnung mit dem VW dachte ich, dass irgendwas passiert ist und bin hinter dem Auto hergefahren“, erinnert sich die Mindenerin. Als Simone Fierus mit ihrem Mercedes neben dem Golf hält und die junge Fahrerin mit ihrer gefährlichen Fahrweise konfrontiert, wird sie zunächst beleidigt, dann schlägt die damals 20-jährige Frau aus Rahden die Fahrertür immer wieder gegen den Mercedes CLK der 44-Jährigen. &bdquo;Das wollte ich verhindern und bin ausgestiegen.“

Während der weiteren Auseinandersetzung, die sich direkt zwischen den beiden Autos ereignet, gehen sowohl die junge Fahrerin aus Rahden als auch der Beifahrer, ein damals 21-jähriger Portaner, die Mindenerin an. Fierus wird geschlagen und getreten. Dem MT liegt eine Videosequenz vor, die das zeigt.

Um ihrer Mutter zu helfen, steigt auch Sophia aus – und wird ebenfalls zum Opfer des Duos. Laut Polizei wird der Teenagerin ein Büschel Haare herausgerissen. &bdquo;Sie ist auch von beiden getreten worden“, schildert Fierus. Ihre Tochter sei bewusstlos geworden, sie haben sich schützend auf sie legen müssen.

Beide bewegt das Erlebte bis heute: &bdquo;Es war eigentlich ein schöner Tag und von jetzt auf gleich passiert so etwas.“ Die Tochter musste drei Tage ins Krankenhaus, auch Simone Fierus wurde für vier Wochen krankgeschrieben. Danach kontaktiere die Mutter eine Mindener Anwaltskanzlei, um sich und ihre Tochter vertreten zu lassen. Der Portaner wurde noch am Tag der Attacke von der Polizei aufgegriffen, die zu dem Zeitpunkt mutmaßlich betrunkene Rahdenerin erst etwa eine Woche später – und wieder war Fierus involviert.

Plötzlich steht der Portaner vor Sophia &bdquo;Meine Tochter rief mich total panisch an, da sie die junge Frau am Wez an der Ringstraße gesehen hatte“, berichtet die Mindenerin. Die Mutter eilte mit ihrem Lebensgefährten daraufhin schnell zum Supermarkt und benachrichtigte die Polizei, die auch schnell vor Ort war. &bdquo;Das war für Sophia natürlich noch einmal ganz schlimm“, sagt Simone Fierus. In den Monaten danach beschäftigt sie der Fall immer wieder, ehe es im August 2024 vor dem Mindener Amtsgericht schließlich zur Verhandlung kommt. Simone Fierus und ihre Tochter müssen als Zeuginnen aussagen und sind zugleich Nebenklägerinnen. Dabei steht vor allem die Fahrerin im Fokus.

Sie sitzt zusammen mit dem Portaner vor dem Mindener Jugendschöffengericht auf der Anklagebank. Die Richterin spricht von &bdquo;zwei Wahnsinnstaten“, weil die junge Frau auch ihre eigene Schwester im August 2023 nach einem Streit mit einem Baseballschläger verletzt hatte. Vor Gericht räumt die Angeklagte alle Vorwürfe ein, ihr Begleiter schweigt. Sophia berichtet im Zeugenstand davon, dass sie die Tat schwer belastet. &bdquo;Ich träume nachts manchmal von diesen Tritten“, sagt sie. Simone Fierus ist froh, dass es ihrer Tochter mittlerweile besser geht. Aber: &bdquo;Auch für mich ist das alles schwer.“ Sie lasse ihre Tochter ungern alleine.

Weil es zu Problemen mit der Genehmigung der Prozesskostenhilfe kommt, muss Simone Fierus Anwaltskosten in Höhe von rund 620 Euro selbst tragen, da sie zu diesem Zeitpunkt keine Rechtsschutzversicherung besitzt. &bdquo;Ich habe zig Versicherungen, aber ausgerechnet den Baustein nicht“, ärgert sie sich.

Der Schaden an ihrem Mercedes wird von der Dekra auf rund 2.300 Euro geschätzt. &bdquo;Da bin ich komplett drauf sitzen geblieben“, ärgert sich die 44-Jährige. Die Versicherung der jungen Täterin lehnt eine Übernahme der Kosten ab. Fierus’ Anwalt macht ihr keine Hoffnung auf Erfolg in einem Zivil-Prozess, da die Verursacherin mittellos ist, Bürgergeld empfängt und kürzlich Mutter geworden sei. &bdquo;Ich habe dann kein Geld in das Auto gesteckt und den Wagen unter Wert verkauft“, so Fierus.

Am Ende des Prozesses in Minden werden beide Angeklagten wegen Körperverletzung zu einer Haftstrafe (ein Jahr und zwei Monate) auf Bewährung verurteilt. Bei dem polizeibekannten und vorbestraften Portaner wenden die Richter das Erwachsenenstrafrecht an. Der Mann solle 500 Euro Schmerzensgeld an die 15-Jährige zahlen. &bdquo;Die haben wir nie gesehen“, sagt Fierus. Allerdings gibt es dafür eine Erklärung: Der Portaner legt Berufung gegen das Urteil ein und zieht mit seinem Rechtsanwalt Mario Prigge vor das Landgericht Bielefeld, um den Fall noch einmal neu zu verhandeln. Für Simone Fierus und Sophia bedeutet das, dass sie noch einmal aussagen müssen.

Am 31. März 2025 ist es so weit – Fierus begibt sich zusammen mit ihrer Tochter nach Bielefeld. Bei ihrer Aussage wird die Mutter unter anderem darauf angesprochen, ob sie den Portaner kurz vorher noch gesehen habe. &bdquo;Das habe ich und dachte, ich bin im falschen Film“, sagt die Mindenerin. Sie arbeitet bei einer Zeitarbeitsfirma und der Angeklagte sei plötzlich für eine Vermittlung eines Jobs dort aufgetaucht. &bdquo;Er ist mir vorher gar nicht aufgefallen. Als ich dann den Namen las, bin ich aus allen Wolken gefallen.“ Ob die Begegnung reiner Zufall war, könne sie nicht einschätzen. Sie gebe ihr aber ein ungutes Gefühl. &bdquo;Man fühlt sich unsicher.“

Von der Einstellung des Verfahrens gegen den Portaner erfährt Simone Fierus dann zunächst vom MT, danach aus dem Brief an ihre Tochter. Die Bewährung gegen den Portaner entfällt damit, dafür wurde das Schmerzensgeld verdoppelt. Fierus sagt: &bdquo;Ich gönne ihm einen Neustart, wenn er sein Leben in den Griff bekommt.“ Für seine Fehler solle er allerdings geradestehen und so hofft sie, dass das Geld auch pünktlich bei ihrer Tochter ankommt. &bdquo;Das macht es zwar nicht besser, aber es ist wenigstens etwas Strafe.“ In seinem Brief kündigt der Richter bereits an, dass das Geld möglicherweise nur in Raten ankommt. &bdquo;Aber das ist dann eben so“, sagt Fierus. Sie hätte sich gewünscht, dass der junge Mann zumindest Sozialstunden ableisten muss. &bdquo;Dann wäre noch etwas Sinnvolles dabei herumgekommen.“

Für die 44-Jährige gibt es kurz nach dem Prozess allerdings noch einen finanziellen Hoffnungsschimmer. Sie hat sich an die Verkehrsopferhilfe gewendet, um eine mögliche Unterstützung auszuloten. &bdquo;Das konnte ich erst nach Ende des Verfahrens“, erklärt sie. Deshalb habe sich nun die Versicherung der jungen Frau, die damals für die Schäden am Auto verantwortlich war, bei ihr gemeldet und in Aussicht gestellt, dass die Reparaturkosten beglichen werden. &bdquo;Das wäre schön“, sagt Fierus und fügt an: &bdquo;Und auch ein Abschluss. Für mich und für Sophia.“

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