Reportage vom Unglücksort: Erntehelfer verlassen unter Tränen Haus in Höxter

Höxter-Lüchtringen. Eine junge Frau kommt aus dem Haus, sie trägt einen großen Koffer, der wohl mal tiefschwarz war, jetzt aber eher grau wirkt. Ihre Augen sind gerötet, die Wangen blass. Sie stellt ihr Hab und Gut gegenüber von der Hausnummer 8 an der Kirchenmauer ab. Zwei Männer lehnen dort halb, sitzen halb, schweigend, halten sich an ihren Handys mit schwarzem Bildschirm fest. Neben ihnen weitere Koffer, auf die Schnelle gepackt. Was darin keinen Platz mehr fand, landete offenbar in Plastiktüten. Zwischen all dem Hausrat steht ein unangetastetes Sixpack Cola Light vom Discounter.

Die drei müssen das Haus An der Kirche in Lüchtringen verlassen, es ist unbewohnbar und wird in wenigen Stunden von der Polizei versiegelt werden. Beschlagnahmt ist es sogar schon. Denn am frühen Morgen starben darin zwei junge Menschen , eine 19-Jährige und ein 23-Jähriger. Insgesamt lebten 23 Menschen in dem Haus, wie die Polizei erklärt. Die meisten von ihnen sind erwachsen, aber es waren wohl auch ein paar Kinder darunter. Die Fassade des Mehrfamilienhauses, an der zwei einsame Briefkästen hängen, verschweigt das.

Ein Polizeibeamter, zu erkennen an einer beschrifteten blauen Weste, kommt aus dem Haus, schaut sich um, geht dann wieder rein. Die Haustür steht auf und gibt einen Blick auf den Hausflur frei. Mehrere Paare altmodischer Kinder-Rollschuhe mit neonfarbenen Rollen liegen auf dem Fliesenboden rechts neben dem Eingang. Eine beigefarbene Gasflasche steht einen halben Meter dahinter. Zur Linken türmen sich transparente Müllbeutel.

Erntehelfer sind erst rund eine Woche in Höxter Marion Wittrock aus Höxter holt die drei Bewohner des Hauses ab. &bdquo;Die anderen sind schon bei mir“, sagt sie im Gespräch mit der &bdquo;Neuen Westfälischen“. Etwa zehn der erwachsenen Bewohnerinnen und Bewohnern der Hausnummer 8 sind ihre Angestellten, Erntehelferinnen und -helfer. &bdquo;Die meisten sind vor einer Woche angekommen und haben auch schon ein paar Tage gearbeitet“, sagt die Besitzerin von Obstplantagen und Erdbeerfeldern in Höxter.

Es handelt sich um ihre Leute, aber, wie sie betont, nicht um ihr Haus. Sie muss also nicht helfen, will das aber, wie sie sagt. Am Morgen habe eine Bewohnerin des Hauses bei ihr angerufen und gesagt, die Leute könnten nicht zur Arbeit kommen. &bdquo;Es war ihr ganz wichtig, sich abzumelden“, sagt Marion Wittrock. Dabei sei das an diesem &bdquo;schrecklichen Morgen“ ja ganz gleich.

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Überlebende ziehen in Erntehelfer-Unterkunft in Höxter um Wie die Chefin erfuhr, wurden am frühen Morgen – die Polizei spricht von 6.30 Uhr – zwei leblose Menschen im Badezimmer des Hauses entdeckt. &bdquo;Sie waren gemeinsam im Bad, lange im Bad.“ Irgendwann ging eine Mitbewohnerin nachschauen.

Der Schock bei den Arbeiterinnen und Arbeitern sitzt tief. Sie sprechen kaum, auch nicht miteinander, tragen aber ihre Habseligkeiten zum Auto der Chefin. &bdquo;Sie kommen bei mir in der Erntehelfer-Unterkunft unter, bis alles Weitere geklärt ist“, sagt die Höxteranerin. Das sei eine gute Unterkunft, &bdquo;keine Kaschemme“. Wer dort bleiben wolle, könne wohl bleiben. &bdquo;Ich gehe aber auch davon aus, dass einige zurück wollen, nachdem, was hier passiert ist.“

Zurück heißt in diesem Fall nach Rumänien. Von dort waren die jungen Menschen nach Höxter gekommen, um Erdbeeren zu pflücken, die wiederum den Menschen in der Region den Sommer versüßen sollten. Die beiden Toten, wohl ein Pärchen, haben dort ein gemeinsames Kind.

Bekannte und Verwandte der Opfer wollen Informationen erhalten Das Handy eines der Männer klingelt. Es ist ein Sprachanruf. Der Mann hält Marion Wittrock das Display entgegen. Aus dem Lautsprecher dringt eine Frauenstimme: &bdquo;Hallo, was ist passiert? Ich bin eine Bekannte von Junge und von Mädchen.“ Das Deutsch ist gebrochen. Marion Wittrock erklärt das Wesentliche, bittet die Frau aber, sich an die Familie der Getöteten zu wenden.

Wobei die auch noch nicht sicher weiß, woran die Lieben gestorben sind. Der Fund der beiden Leichen löste einen Großeinsatz von Polizei und Feuerwehr am frühen Mittwochmorgen aus. Die Feuerwehr stellte Kohlenmonoxid in der Luft fest, ein farb- und geruchloses Gas, das tödlich sein kann. Es kann entstehen – wie auch Kohlendioxid – wenn organisches Material verbrennt. Weshalb, wenn Kohlenmonoxid festgestellt wird, schnell Kamine, Öfen oder Heizungen in den Fokus rücken.

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Behörden vermuten technischen Defekt im Unglückshaus So auch hier. &bdquo;Wir vermuten, dass es sich um einen technischen Defekt – womöglich von der Heizung – gehandelt hat“, sagt ein Polizeisprecher. Ob das stimmt, müssen die weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zeigen.

Durch das Gas im Haus wurden nach Polizeiangaben drei weitere Menschen verletzt. Doch keiner habe ins Krankenhaus gewollt, wie Marion Wittrock erklärt. Die junge Rumänin wischt sich die Augen, steigt dann in den Wagen ihrer Chefin. Ein letzter Blick auf das Haus. Ein angebissener Apfel liegt auf dem Asphalt vor dem Eingang. Vielleicht war er sauer.

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