Bielefelds Rettungshubschrauber Christoph 13: Wenn Sekunden entscheiden

Bielefeld. Es ist 9.34 Uhr. Auf dem Meldeempfänger erscheint die Alarmmeldung: Verkehrsunfall in Petershagen. Das Einsatzteam im Luftrettungszentrum Rosenhöhe in Bielefeld wird sofort aktiv. Das Wetter ist an diesem Morgen bewölkt, aber fliegbar.

Innerhalb von zwei bis drei Minuten hebt der Hubschrauber ab – an Bord: ein Pilot, ein Notarzt und Marco Wahle, Notfallsanitäter, Berufsfeuerwehrmann und sogenannter TC-HEMS. Die Abkürzung steht für Notfallsanitäter mit Ausbildung zum &bdquo;Technical Crew Helicopter Emergency Medical Service“.

Der diensthabende Pilot ist Rodja Steinert von der Bundespolizei-Fliegerstaffel Gifhorn. Als Notarzt ist Carsten Kirchhoff mit an Bord. Auch ein sogenannter Flug-Betriebs-Assistent (FBA) gehört zur Crew: Dennis Pepping ist Notfallsanitäter, Berufsfeuerwehrmann, TC-HEMS und zusätzlich für organisatorischeAufgaben rund um den Dienstbetrieb zuständig.

Zwischen Belastung und Dankbarkeit: Einsätze, die bleiben Dass der Luftrettungsdienst besonders belastend sein kann, ist Wahle bewusst. &bdquo;Ich war über 25 Jahre im Rettungswagen, aber was ich in einem Jahr beim Hubschrauber erlebt habe, war intensiver“, sagt Wahle.

Besonders Kindernotfälle bleiben haften. &bdquo;Wenn man Eltern sagen muss, dass man nichts mehr für ihr Kind tun konnte – das ist hart.“ Die emotionale Belastung? &bdquo;Man muss wissen, was das mit einem macht – und darüber reden. Wir achten hier im Team sehr aufeinander.“ Wenn das nicht reicht, steht die sogenannte &bdquo;Psychosoziale Unterstützung“ (PSU) zur Verfügung – speziell geschulte Kolleginnen und Kollegen, die nach belastenden Einsätzen helfen, das Erlebte zu verarbeiten.

Doch es gibt auch Lichtblicke: &bdquo;Wenn Menschen überleben, wenn Angehörige dankbar sind – das trägt einen durch.“ Die Rückmeldungen der Kliniken sind selten, manchmal ruft Wahle selbst an, um zu erfahren, wie es einem Patienten ergangen ist. &bdquo;Besonders bei Einsätzen, die einen nicht loslassen.“ Dass er diesen Beruf liebt, ist spürbar – trotz der Härte, trotz der Verantwortung. Oder vielleicht gerade deshalb.

Passanten fahren Flugretter im Pkw zur Einsatzstelle Wahle beginnt seinen Dienst früh: Um 6.30 Uhr wird die Technik überprüft, das medizinische Equipment vorbereitet, der Helikopter mit lebenswichtigen Geräten wie EKG, Beatmungsgerät und Notfallrucksack bestückt. Ab 7 Uhr wird der Hubschrauber angemeldet – von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ist er einsatzbereit. Die Station selbst ist funktional und kompakt: Ruheräume, Lager, Desinfektionsbereich – alles ebenerdig und mit kurzen Wegen. Seit Neuestem informiert auch ein neues Wachendisplay das Team über anstehende Einsätze und Statusänderungen. Insgesamt gehören zwölf Personen zum festen Team des Luftrettungszentrums an der Rosenhöhe in Bielefeld.

Im Einsatz ist Notfallsanitäter Wahle das Bindeglied zwischen Pilot und Notarzt. &bdquo;Ich bin vom Alarm bis zur Übergabe im Krankenhaus durchgehend eingebunden“, sagt er. Navigation, Kommunikation mit der Leitstelle, Patiententransport – all das liegt in seiner Verantwortung. Wenn der Landeplatz nicht direkt am Unfallort liegt, kommt die Polizei zu Hilfe oder das Team improvisiert: &bdquo;Dann fährt uns auch mal ein Passant im Auto zur Einsatzstelle – die Hilfsbereitschaft ist wirklich groß.“

Gerade an unübersichtlichen Einsatzorten ist es entscheidend, den Überblick zu behalten. &bdquo;Ich priorisiere ständig: Was ist jetzt wichtig, was kann warten?“, sagt Wahle. Dabei filtert er gezielt Informationen, um den Fokus nicht zu verlieren – auch wenn das nach außen manchmal ruppig wirken kann. &bdquo;Das braucht es aber, um klar zu bleiben.“ Besonders bei komplexen Lagen mit vielen Beteiligten hilft ihm seine feuerwehrtechnische Ausbildung: &bdquo;Die gibt mir Struktur – und sorgt dafür, dass ich auch in Stresssituationen ruhig und konzentriert handeln kann.“

Flug nur mit Karte und Kompass jederzeit möglich Der fliegerische Part ist staatlich organisiert, während die medizinische Besatzung von der Berufsfeuerwehr Bielefeld und Notärzten aus dem Klinikum gestellt wird – eine eingespielte Kooperation.

Technisch ist Christoph 13 hochmodern ausgestattet – mit Ultraschallgerät, Videolaryngoskop und digitaler Einsatzdokumentation. Und doch bleibt der Blick nach draußen entscheidend: &bdquo;Wenn das Navigationsgerät ausfällt, hilft nur noch Karte und Kompass. Und der Blick auf die Blaulichter.“

Geflogen wird tagsüber – von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Bei starkem Nebel oder fehlender Sicht kann nicht gestartet werden, denn Christoph 13 fliegt ausschließlich nach Sichtflugregeln. In der warmen Jahreszeit ist das Einsatzaufkommen besonders hoch, im Winter dagegen deutlich geringer. Besonders häufig alarmiert wird das Team zu Fahrrad- und Motorradunfällen – gerade bei Pedelecs kommt es oft zu schweren Verletzungen. &bdquo;Viele unterschätzen die Geschwindigkeit – und fahren ohne Helm“, sagt Wahle.

Seit 1976 im Einsatz – über 60.000 Flüge Seit dem 3. Juli 1976 ist &bdquo;Christoph 13“ in Bielefeld stationiert. Der Name ist vom heiligen Christophorus abgeleitet. Er ist der Schutzpatron der Reisenden, Seeleute, Kraftfahrer und Luftschiffer. Die Zahl 13 – für viele ein Symbol des Unglücks – ist für das Team längst zum Glücksbringer geworden. Christoph 13 hebt im Schnitt drei- bis viermal täglich ab – seit dem ersten Flug aus Bielefeld kamen in den folgenden 49 Jahren 60.000 Einsätze zusammen, allein im Jahr 2024 waren es 1.102 Flugeinsätze.

Christoph 13 ist kein gewöhnlicher Rettungshubschrauber, sondern einer von aktuell zwölf Zivilschutz-Hubschraubern (ZSH) in Deutschland. Diese vom Bund beschafften Maschinen sind primär für den Einsatz im Rahmen des Zivilschutzes in einem möglichen Spannungs- oder Verteidigungsfall vorgesehen. In Friedenszeiten fungieren sie als Rettungshubschrauber, in Bielefeld ist der Helikopter fest ins Notarzteinsatz-System der Stadt und der umliegenden Kreise eingebunden.

60.000. Einsatz führt nach Petershagen Der anfangs beschriebene Einsatz in Petershagen war dabei kein gewöhnlicher: Es war der 60.000. Flug von Christoph 13. Eine Frau, die bei einem Verkehrsunfall in der ländlichen Region Petershagen-Bierde lebensgefährlich verletzt wurde, konnte nach Stabilisierung an der Einsatzstelle innerhalb von nur fünf Minuten Flugzeit ins Klinikum Minden transportiert werden – ein Weg, für den ein bodengebundenes Fahrzeug mehr als zwanzig Minuten benötigt hätte. Dieser Einsatz zeigt eindrucksvoll die Schnelligkeit, Effizienz und den hohen medizinischen Standard der Luftrettung in Ostwestfalen-Lippe (OWL).

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