Düsseldorf/Münster. Ein Notfall kann jeden treffen, doch im Ernstfall bleiben viele Menschen in Deutschland untätig. Sie setzen zwar in den allermeisten Fällen den Notruf ab, doch nur in 50 Prozent der Notfälle helfen sie mit einer Wiederbelebung und damit deutlich seltener als in anderen europäischen Ländern. Die Landesregierung in NRW will diese Quote verbessern und führt ab dem Schuljahr 2026/2027 an allen weiterführenden Schulen verpflichtende Reanimationskurse von der 7. bis zur 9. Klasse ein, in denen lebensrettende Maßnahmen bei Herz-Kreislauf-Stillstand und Atemnot vermittelt werden.
„Dieser Tag wird Leben retten.“ Mit diesen Worten kündigt der Intensivmediziner Gunther S. Joos, Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie am Universitätsklinikum Münster, die Entscheidung des NRW-Schulministeriums an, Reanimationskurse an Schulen einzuführen. „Im bevölkerungsreichsten Bundesland ist das ein Ausrufezeichen und eine Herausforderung zugleich.“ NRW gehe voran, sagt Joos. „Und viele weitere Bundesländer werden folgen, denn es gibt bereits tolle Initiativen, die auf dem Weg zur verpflichtenden Umsetzung stehen.“
Prüfen, rufen, drücken
Wenn eine Person bewusstlos zusammenbricht, sind nach Angaben des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten drei Dinge wichtig:
1. Prüfen
- Sprechen Sie die Person an: „Hören Sie mich?“
- Schütteln Sie an den Schultern: Keine Reaktion?
- Achten Sie auf die Atmung: Keine Atmung oder keine normale Atmung wie Schnappatmung?
2. Rufen
- Rufen Sie 112 an oder veranlassen Sie eine andere Person zum Notruf
3. Drücken
- Machen Sie den Brustkorb frei
- Legen Sie den Ballen Ihrer Hand auf die Mitte der Brust, den Ballen Ihrer anderen Hand darüber
- Verschränken Sie die Finger. Halten Sie die Arme gerade und gehen Sie senkrecht mit den Schultern über den Druckpunkt, so können Sie viel Kraft ausüben
- Drücken Sie das Brustbein etwa fünf Zentimeter nach unten
- Drücken Sie 100- bis 120-mal pro Minute
- Hören Sie nicht auf, bis Hilfe eintrifft
- Geschulte Helfer sollten die Mund-zu-Mund-Beatmungen im Verhältnis von 30 Herzdruckmassagen zu zwei Beatmungen durchführen. Unerfahrene Helfer sollten sich auf das Drücken konzentrieren und die Beatmung einfach weglassen
2.100 Schulen müssen in NRW ausgestattet werden
Möglich ist die Umsetzung nach Angaben von NRW-Schulministerin Schulministerin Dorothee Feller (CDU) dank des Engagements mehrerer Partner. Das Schulministerium kooperiert mit Stiftungen, Ärztekammern, Hilfsorganisationen, medizinischen Fachgesellschaften und anderen Institutionen, um Lehrer für die Schulungen auszubilden und Schüler auf Notfälle vorzubereiten. Damit der Reanimationsunterricht flächendeckend und zuverlässig umgesetzt werden kann, sollen nach Angaben Fellers alle 2.100 Schulen mit Sekundarstufe I spätestens im Laufe des Schuljahres 2026/2027 mit jeweils zehn Reanimationspuppen und zwei geschulten Lehrern ausgestattet werden.
Im Sommer 2026 wird der Reanimationsunterricht dann nach Angaben der Schulministerin an Schulen der Sekundarstufe I verpflichtend eingeführt. Jeder Schüler soll mindestens einmal in den Klassen 7, 8 oder 9 eine Schulung zur Laienreanimation im Umfang von 90 Minuten erhalten. Im August werde zudem eine Geschäftsstelle bei der Bezirksregierung Köln eingerichtet und im September beginnen die Schulungen der Lehrer. „Wir wollen, dass Prüfen, Rufen und Drücken so selbstverständlich wird wie Fahrradfahren. Dafür brauchen Schulen konkrete Unterstützung und genau die bringen wir jetzt gemeinsam mit starken Partnern auf den Weg“, sagt Feller.
Hilfe im Notfall ist einfach
Nach Angaben des Deutschen Rats für Wiederbelebung erleiden in Deutschland jedes Jahr mehr als 120.000 Menschen außerhalb eines Krankenhauses einen plötzlichen Herz-Kreislaufstillstand. Davon überlebt nur jeder Zehnte, weil im Fall eines Herz-Kreislauf-Stillstands wenige Minuten über Leben und Tod entscheiden.
Dabei ist Hilfe im Notfall einfach. Entscheidend sind die drei Schritte prüfen, rufen und drücken: Zunächst prüfen, ob die hilfsbedürftige Person bewusstlos ist und nicht oder nicht normal atmet. Ist das der Fall, sollte im nächsten Schritt der Notruf 112 gewählt und danach umgehend mit der Herzdruckmassage begonnen werden. Dafür mit beiden Händen in der Mitte des Brustkorbs fünf bis sechs Zentimeter tief drücken und das 100 bis 120 Mal pro Minute.
„Wichtig ist, dass Laien bis zum Eintreffen der Profis die Herzdruckmassage durchführen, um den Kreislauf des Betroffenen aufrechtzuerhalten, weil schon innerhalb von drei bis fünf Minuten das Gehirn unumkehrbaren Schaden nimmt“, erklärt der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Hans-Albert Gehle. „Erfahrungen aus Skandinavien zeigen, dass die Laienreanimation selbstverständlich angewendet wird, wenn Kinder früh darauf vorbereitet werden.“ Die Ärztekammer setzt sich nach Angaben des Intensivmediziners deshalb seit Jahren für die Einführung von Reanimationskursen an Schulen ein. „Wir sind froh über den Erfolg und haben uns verpflichtet zu unterstützen.“
Um die Zeit bis zum Eintreffen beim Patienten möglichst kurzzuhalten, gelten für die Rettungsdienste Hilfsfristen. Sie variieren je nach Bundesland zwischen 8 und 12 Minuten in NRW bis 17 Minuten in Thüringen. Der Deutsche Rat für Wiederbelebung geht davon aus, dass jedes Jahr zusätzlich 10.000 Menschenleben gerettet werden könnten, wenn alle Menschen wüssten, wie Wiederbelebung funktioniert und diese Hilfe auch anbieten.
Viele Menschen haben Angst, etwas falsch zu machen
„Nichts tun ist das Falscheste, denn auch Laien können mit einer Herzdruckmassage Leben retten“, sagt auch Unfallforscher Siegfried Brockmann, Geschäftsführer Unfallforschung der Björn Steiger Stiftung, die sich für verpflichtende Erste-Hilfe-Kurse einsetzt „Wer einen Führerschein hat, sollte die Schulung alle zwei Jahre wiederholen müssen.“ Da es bis auf die Schulung vor dem Führerschein aktuell keine verpflichtenden Kurse in Deutschland gebe, hätten viele Menschen Angst, bei einer Reanimation etwas falsch zu machen, moniert Brockmann. Die Stiftung unterstützt die Reanimationskurse an den Schulen in NRW. „Durch die Schulung von Schülern in Laienreanimation schaffen wir eine Generation, die im Notfall mutig handelt“, erklärt Stiftungspräsident Pierre-Enric Steiger.
Das ist nach Angaben Gehles in vielen anderen europäischen Ländern längst Standard. „In Skandinavien wird das Thema bereits im Kindergarten vermittelt. Da müssen wir langfristig auch hin. Das ist wichtig, denn dadurch verlieren Kinder die Scheu und wissen von klein auf, wie sie im Notfall reagieren müssen.“ An einigen Schulen in NRW gibt es bereits Reanimationskurse, um Schüler auf Notfälle vorzubereiten. „Projekte reichen aber nicht aus. Wichtig ist, dass Schüler flächendeckend geschult werden“, sagt Gehle.