Ausnahmeläufer Amanal Petros: Vom schüchternen Flüchtling in Bielefeld zu WM-Silber

Bielefeld/Tokio. Es war ein sonniger Sonntagmorgen. Meine übliche Laufstrecke führte mich durch den Teutoburger Wald. Als ich in Bielefeld zurück auf die Promenade einbog, blickte ich nach rechts und sah weit und breit über 500 Meter niemanden. Also links ab Richtung Sparrenburg.

Doch nur wenige Sekunden später rauschte ein Läufer mit rasender Geschwindigkeit vorbei. So schnell kann doch niemand diese Distanz rennen, dachte ich und erreichte dann auch die Burg. Dort stand Amanal Petros, lachte und hielt den Daumen zu mir hoch. Er grüßte einfach den fremden einsamen Freizeitläufer.

So wird er von allen beschrieben: freundlich, aufgeschlossen, zugewandt. Und ganz zu Anfang als er 2012 als Flüchtling aus Äthiopien nach Bielefeld kam, war er sehr zurückhaltend, unsicher, fast schüchtern.

Ein kleiner Fehler kostet Petros den Sieg Jetzt hat der Ausnahmeläufer den WM-Marathon von Tokio gefühlt gewonnen. So jedenfalls sehen es seine ersten Begleiter in OWL. Wenn er nicht einen kleinen, aber entscheidenden Fehler gemacht hätte. So hat er Silber für Deutschland geholt.

Als 16-Jähriger kam er in Deutschland an. Das war schon seine zweite Flucht, denn bereits als Zweijähriger war er aus seiner Heimat Eritrea mit seiner Mutter nach Äthiopien geflohen. Überhaupt seine Mutter. Sie ist in Äthiopien zurückgeblieben, aber die beiden haben nach wie vor ein sehr enges Verhältnis. Auch das berichten Petros’ Unterstützer.

&bdquo;Ich habe die Silbermedaille meiner Mutter gewidmet, die zu Hause von ihren Nachbarn und meinem Onkel mit Videos aus Tokio versorgt worden ist, die ich geschickt habe“, sagt Petros nach seinem Super-Marathon. Auch er selbst erkennt seinen Fehler, der ihn den Sieg und damit Gold gekostet hat. Und wie er so ist: &bdquo;Ich gönne meinem Gegner den Sieg.“

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Unterstützung für jungen Flüchtling in OWL Viele haben sich seinerzeit um den unbegleiteten Flüchtling in Bielefeld gekümmert. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) hat den Kontakt zu Gerd Grundmann vom TSVE Bielefeld gesucht: &bdquo;Dann hat die Sache ihren Lauf genommen.“ Der wurde zu seinem ersten Entdecker, Mentor und Trainer. &bdquo;Er ist ja vor der großen Flüchtlingswelle nach Deutschland gekommen. Da war das alles noch einfacher“, erinnert sich Grundmann. Viele Anekdoten kann er erzählen. &bdquo;Wir haben ihm beigebracht, mit Messer und Gabel zu essen und andere Alltagskleinigkeiten.“ Zum Beispiel, sich sicher im Straßenverkehr zu bewegen.

Schnell erkannten sie beim TSVE Petros’ Läuferqualitäten. Bei seinem ersten Testlauf, damals noch mit weißer Strickmütze, habe er sich zum Start ganz hinten angestellt und wollte gar nicht von der Startlinie loslaufen. Grundmann: &bdquo;Aber er hat sofort gewonnen.“ Bei den Grundmanns hat er alle Familienfeiern mitgemacht, Ostern, Weihnachten. Schon damals habe man ihn vor den Rechten gewarnt, dass es keinen Zweck habe, sich mit denen anzulegen. Lieber die Straßenseite wechseln oder weglaufen. Laufen kann er ja.

Intensiv haben sich auch Lydia und Reinhard Steinhoff aus Steinhagen um den jungen Kerl gekümmert. Sie waren wie Pflegeeltern für ihn und hatten die ehrenamtliche Vormundschaft übernommen. Sie kümmerten sich um Behördenkram und besuchten ihn in seiner Unterkunft in Bielefeld. Sie besuchten sogar Petros’ Familie in Äthiopien. Später hat sich das Verhältnis abgekühlt, berichten Weggefährten. Die Gründe dafür gehören nicht in die Öffentlichkeit. Er sei in Konflikt mit der Staatsmacht in Äthiopien gekommen, berichtet Petros 2014 gegenüber dieser Redaktion über die Ursachen seiner Flucht.

Petros läuft heute für Hannover 96 Sportlich ging es immer besser für den Neuankömmling, er gewann Lauf um Lauf. Das machte erst den Wechsel zur SV Brackwede, später zu TW Wattenscheid nötig. Da gab es bessere Trainingsbedingungen. Man brauche auch im Training starke Gegner, um sich zu motivieren und zu steigern, sagt Grundmann.

Heute startet Petros für Hannover 96. Aber immer wieder ist er in OWL. Regelmäßig lässt er sich von Karsten Stolle massieren und auf große Rennen vorbereiten, er entspannt in der Fangopackung. Stolle war selbst Marathoni und weiß, worauf es bei dieser Königsdisziplin der Läufer ankommt. &bdquo;Amanal hat viel gelernt in den vergangenen Jahren“, sagt er. Amanal sei kontrollierter geworden.

Der kleine Fehler von Petros vor der Ziellinie Nur einen Fehler habe er nicht rausbekommen – Umdrehen und vor der Ziellinie nach dem Konkurrenten schauen. Das sieht auch Gerd Grundmann so: &bdquo;Wie oft habe ich ihm gesagt: Nicht umdrehen – durchziehen.“ Zurückblicken sei aus zwei Gründen schlecht. Der Gegner bekomme den Eindruck, dass man Angst hat, was den motiviert. Und der Rhythmus der eigenen Schritte komme durcheinander. Grundmann und auch Stolle sind überzeugt, dass Petros in Tokio gewonnen hätte ohne den Schulterblick.

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Bei drei hundertstel Sekunden Rückstand im Fotofinish nach 42,195 Kilometern klingt das plausibel, denn kurz vor der Ziellinie lag der Bielefelder noch vorn. Grund findet auch, dass eigentlich beide Läufer Gold verdient hätten. Ein Zielfoto beim Marathon sei Unsinn.

Dennoch ist OWL stolz auf seinen Ausnahmeläufer. Das ist in allen Gesprächen zu merken. Sie mögen ihn und erzählen nette Geschichten. Grundmann: &bdquo;Als ich ganz zu Anfang mit ihm quer durch den Wald gelaufen bin, blieb er plötzlich stehen und wollte nicht weiter. Da musste ich ihm erklären, dass es in Deutschland keine gefährlichen Tiere im Wald gibt.“

Mir selbst blieb bei der Begegnung mit Amanal Petros nur, freundlich zurückzuwinken. Und mich zu fühlen wie eine Schnecke im Wettrennen mit einem Geparden.

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