Messerangriff in Paderborn: Blombergerin liegt im künstlichen Koma

Paderborn. Völlig ruhig war es am Donnerstagvormittag am Westfalen-Kolleg. Gespenstische Stille herrschte an der Schule mit ihrem idyllischen und von Bäumen umgebenen Teich. Der Messerangriff auf eine 27-jährige Schülerin am Vortag wirkte nach. Am Mittwochmittag hatte ein 25-jähriger Kollegiat in der Sporthalle auf die junge Frau eingestochen und den Fürstenweg zum Tatort eines versuchten Tötungsdelikts gemacht. Die Frau liegt im Koma, die Mordkommission &bdquo;Westfale“ ermittelt.

Wie die Staatsanwaltschaft Paderborn und das Polizeipräsidium Bielefeld am Donnerstag erklärten, habe sich der 25-jährige dringend Tatverdächtige bislang nicht zur Tat geäußert. Er wurde am Donnerstag auf Antrag der Staatsanwaltschaft dem Haftrichter beim Amtsgericht Paderborn vorgeführt. Es wurde ein Untersuchungshaftbefehl wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung erlassen.

Der Gesundheitszustand der 27-jährigen Frau aus Blomberg habe sich nach der erfolgten Not-Operation in einem Paderborner Krankenhaus stabilisiert. Es besteht laut Pressemitteilung jedoch weiterhin &bdquo;akute Lebensgefahr, da sie sich noch im künstlichen Koma befindet“. Die mutmaßliche Tatwaffe wurde sichergestellt.

Das Motiv des Messerangriffs am Westfalen-Kolleg ist noch unklar

Nach dem aktuellen Ermittlungsstand handele es sich um einen einzelnen Angriff und keine amoktypische wahllose Tat gegenüber vielen Opfern. Das Motiv des mutmaßlichen Täters ist laut Staatsanwaltschaft und Polizei bislang unklar.

Eine engere Beziehung zwischen dem 25-Jährigen und der 27-jährigen Frau habe sich aus den Ermittlungen bislang nicht ergeben. Laut Informationen von Radio Hochstift hatte es am Mittwochabend einen SEK-Einsatz an der Wohnadresse des 25-Jährigen in Paderborn-Benhausen gegeben.

Das Opfer soll mit allen gut klar gekommen sein

Statt Polizeifahrzeuge und SEK-Einheiten bestimmten Gespräche den Tag danach von Schülerinnen und Schülern, die sich am Mittwoch noch gemäß Notfallplan in den Klassenräumen verbarrikadiert hatten und bis zur Entwarnung mehrere Stunden warten mussten. Mit ihren Lehrerinnen und Lehrern gingen sie die Ereignisse des Vortags noch einmal durch.

Während die Lehrkräfte nichts sagen dürfen, reden einige Schüler. Die niedergestochene 27-Jährige sei mit allen gut ausgekommen, sagt eine Mitschülerin aus derselben Klasse im Gespräch mit der Redaktion. &bdquo;Es kam einfach aus dem Nichts“, erzählt eine andere Schülerin. &bdquo;Wie ein Schlag. Keiner hätte damit gerechnet, dass so etwas passiert.“

Viele seien mit der Situation nicht klargekommen und noch wisse niemand, wie es dazu gekommen ist. Schüler hätten zunächst gedacht, dass es mehrere Täter und Opfer gibt, erklärt eine Schülerin der Abendrealschule, die ebenfalls die Kollegräumlichkeiten nutzt und am Vortag selbst einige Stunden im Klassenzimmer verharrte. Ihr Mitschüler meint, dass der Schulhof noch nie so leer war. Die Stimmung und Laune der Schüler noch nie so wie jetzt.

Paderborner Schulleiterin erlebt eine &bdquo;bedrückte Stimmung“

In &bdquo;schweigende, bleiche Gesichter“ habe sie am Morgen danach geblickt, sagt Schulleiterin Christine Lütke-Börding. Sie nahm am Donnerstag am Unterricht der Klasse teil, der das Opfer angehört. Wobei von Unterricht eigentlich keine Rede sein kann. Das Kolleg habe Klausuren abgesagt, aber bewusst wieder geöffnet, damit die Schülerinnen und Schüler einen Anlaufpunkt haben. Um nicht alleine, sondern gemeinsam das Erlebte zu verarbeiten.

Mehr Schüler, als sie erwartet habe, seien zu der Einrichtung am Fürstenweg gekommen, erzählt Lütke-Börding. &bdquo;Zu Beginn herrschte eine bedrückte Stimmung.“ Tränen seien geflossen. Nach den Gesprächen seien die Schüler &bdquo;ruhiger und besänftigter“ geworden. Sie selbst sei in einem Ausnahmezustand gewesen, sagt die Schulleiterin, die erst seit wenigen Wochen am Paderborner Westfalen-Kolleg ist.

Neben dem Austausch im Klassenverband konnten sie auch am Tag nach der Tat eine Einzelbetreuung nutzen. Rund 30 Personen, darunter auch ein paar Lehrkräfte, hätten dieses Angebot in Anspruch genommen. Am Donnerstag waren zwei Notfallseelsorger der Polizei, zwei Mitarbeitende der Schulpsychologischen Beratungsstelle und zwei Polizeibeamte des Opferschutzes am Westfalen-Kolleg. &bdquo;Sie waren gut beschäftigt“, so die Schulleiterin.

Tat soll außerhalb des normalen Unterrichts passiert sein

Die Schüler und Lehrkräfte können sich auch in den kommenden Wochen, wenn der Kollegbetrieb wegen der Herbstferien ruht, Hilfe suchen. &bdquo;Nicht alle reagieren sofort. Bei manchen zeigen sich die Folgen erst später“, meint Lütke-Börding.

Ihr zufolge befanden sich zur Tatzeit rund 180 Schüler – auch von der Abendrealschule – auf dem Gelände. Fünf oder sechs Schüler und eine Lehrkraft hätten sich in der Sporthalle aufgehalten, so die Schulleiterin. Zum Zeitpunkt des Messerangriffs habe kein Sportunterricht stattgefunden. Die Gruppe sei wohl für einen Social-Media-Beitrag zusammengekommen.

&bdquo;Wir haben zum Glück zum Anfang des Jahres in einer Lehrerkonferenz den Amokfall geprobt“, sagt Andreas Schmitz. Er ist Leiter der Abendrealschule, wo jedoch in drei Zeitfenstern am Vormittag, Nachmittag und Abend unterrichtet wird.

Schulpsychologischen Beratungsstelle hilft den Schülern

In den Gesprächen nach einem solchen Vorfall geht es vor allem um die Frage, was ein Schüler in einer solchen Situation mit viel Unruhe und Gerüchten braucht, erklärt Andreas Neuhaus von der Schulpsychologischen Beratungsstelle des Kreises Paderborn. Nicht jeder Betroffene habe damit Probleme. Dies sei davon abhängig, ob jemand die Tat gesehen habe, man sich nahegestanden habe oder vorhandene belastende Erlebnisse damit verbunden würden.

Je nach Vorgeschichte wollten sich viele entlasten. Dann werde geguckt, was den Menschen im Moment guttut. Dies kann Bewegung sein, andere brauchen vielleicht ein Gespräch und andere &bdquo;geistiges Futter“ und einen ganz normalen Tag, so Neuhaus &bdquo;Es ist die Kunst, herauszubekommen, was die Bedürfnisse der Leute sind.“

Zum Vorgehen gehört auch die Beratung der Lehrkräfte. &bdquo;Die sind ebenfalls belastet, müssen aber zugleich eine Stütze sein“, sagt Neuhaus. So etwas wie am Mittwoch sei ein seltenes Ereignis. &bdquo;Aber wenn es kommt, dann mit einer massiven Wucht.“ Deshalb sei es so wichtig, dass sich Schulen mit dem Thema Gewalt beschäftigen und für den Notfall vorbereitet sind. Neuhaus spricht hier von einer &bdquo;Kultur des Hinschauens und Handelns“ und davon, Frühwarnzeichen so früh wie möglich zu erkennen.

Schulen bekommen in Notfällen Unterstützung durch die Bezirksregierung

In Notfällen wie dem am Westfalen-Kolleg greifen bestimmte Mechanismen. &bdquo;In allen Schulen in OWL liegen landeseinheitliche Notfallordner mit Handlungsempfehlungen vor“, erklärt Steffen Adams, Pressesprecher bei der Bezirksregierung Detmold. Die Vorgehensweise orientiere sich immer am jeweiligen Einzelfall. &bdquo;Je nach Ereignis arbeiten verschiedene Institutionen aufeinander abgestimmt an der Bewältigung – beispielsweise Polizei, Schulleitung, Krisenteam der Schule und Krisenbeauftragte der Bezirksregierung“, sagt Adams.

Die Schulen meldeten &bdquo;Vorfälle dieser Art“ in der Regel zeitnah bei der Bezirksregierung. Ab diesem Zeitpunkt unterstütze und berate der Krisenbeauftragte der Bezirksregierung die Schulleitung bei weiteren Schritten – so auch bei (Amok-)Alarmierungen.

Dass diese Unterstützung durch &bdquo;Profis“ wichtig sei, meint Siegfried Martini, Schulleiter der Gesamtschule Elsen und Sprecher der Gesamtschulleiter in Paderborn. In einer solchen Situation seien Kollegiumsmitglieder auch unter Schock. Der sogenannte &bdquo;Krisenordner“ sei hilfreich. &bdquo;Er bietet einen ganz guten Leitfaden“, sagt Martini. Bei einer ernsten Lage gebe es an die Situation angepasste Lautsprecherdurchsagen, die das Angst schürende Wort &bdquo;Amok“ jedoch vermeiden sollten, meint der Schulleiter.

Paderborner Politiker setzt sich für Apps als Alarmmelder ein

&bdquo;Das schreckliche Ereignis in Paderborn am Westfalen-Kolleg macht deutlich, dass Schulen leider mittlerweile Orte sind, an denen gefährliche, lebensbedrohende Situationen auftreten können“, meint Rainer Lummer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender bei Für Paderborn.

Er setzt sich für digitale Schutzkonzepte an Schulen ein. Konkret handelt es sich dabei um Apps, über die Lehrkräfte Alarm auslösen können. &bdquo;Und es geht auch darum, möglichst schnell zu dealarmieren“, meint Lummer. Auf Antrag seiner Fraktion im Sommer 2024 sollte die Stadtverwaltung in Zusammenarbeit mit dem Kreis Paderborn ein solches App-Warnsystem prüfen. Bisher sei aber noch nichts in diese Richtung geschehen, äußert Lummer seinen Unmut.

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