Lübbecke. Abgeschiedenheit. Stille. Das Wollgras wiegt sich sanft im Wind. Seine weißen Fruchtstände sehen aus wie kleine Schneebälle, die aus dem Stängel wachsen. Aus dem Wasser steigen Blasen auf. Ein Frosch lugt aus dem Morast, seine Haut schimmert in der Sonne - blauviolett. Wer im Großen Torfmoor in Lübbecke unterwegs ist, könnte meinen, er sei in einer Welt für sich.
Wer genau hinsieht, entdeckt, wie viele seltene Tierarten hier zu Hause sind. Ein Hochmoor wie das Lübbecker Torfmoor ist ein Lebensraum der Extreme: nass, sauer und nährstoffarm. Damit kommen nur wenige Tie-re zurecht. Fische gibt es kaum, andere Tiergruppen wiederum sind auf diesen Lebensraum angewiesen und haben hier ihren Verbreitungsschwerpunkt.
Das Große Torfmoor ist mit rund 550 Hektar das bedeutendste Hochmoor Westfalens. Doch jahrhundertelang wurde Raubbau an diesem besonderen Stück Erde betrieben. Vom 17. Jahrhundert bis hinein in die 1950er Jahre wurde das Moor zur Torfgewinnung entwässert, erklärt Hermann Nagel vom Naturschutzbund (NABU) Minden-Lübbecke.
Geschützter Raum zum Anfassen
Der Torf wurde als Brenn- oder Baumaterial verwendet, später als Bademoor für Kurorte. Heute wird der Natur wieder Raum gegeben. Seit einigen Jahrzehnten wird das Moor in seinen Ursprungszustand versetzt, Wasser hinzugeführt, Birken und andere Bäume entfernt. Heute ist es ein geschützter Raum zum Anfassen: Ein zweieinhalb Kilometer langer rollstuhlgerechter Erlebnispfad führt durch Torfmoose, Sonnentau, Heidepflanzen, vorbei an Info-Stationen und einem Aussichtsturm."Besonders stolz sind wir auf die vielen Vogelarten hier", sagt Nagel. Rund 70 Stück sollen es sein. So etwa die Bekassine, der Vogel des Jahres 2013, wegen ihres "Meckerns" beim Sturzflug auch Himmelsziege genannt. Auch der mächtige Kranich lässt sich im Moor gern blicken - und hat dort bereits erfolgreich gebrütet. "Am besten, man kommt schon frühmorgens her, dann gibts das meiste zu sehen", sagt Hermann Nagel.
Und wer Vögel und Reptilien nicht live sieht, kann sie zumindest im neuen Besucherzentrum Moorhus zu Gesicht bekommen und auch hören. In einer Dauerausstellung erfahren Besucher, wie ein Moor entsteht, wie die Menschen früher Torf gestochen haben, welche Tiere und Pflanzen es dort gibt und warum die Torfmoore gefährdet sind. Sie zeigt auch Präparate von heimischen Vögeln, an einer Audio-Station gibts durch einen Kopfhörer das passende Gezwitscher. Flora und Fauna sieht der Besucher überdimensional auf Glaswänden - sozusagen aus der Froschperspektive. Rostige Werkzeuge erinnern an die Zeit des Torfstechens.
Eine schaurige Ausstellung
Unheimlich und faszinierend zugleich ist das Moor. "O schaurig ists, übers Moor zu gehen", dichtete einst Annette von Droste-Hülshoff. Wer in der Ausstellung an der grabähnlichen Einlassung im Boden vorbeikommt, dem könnte ein Schauer über den Rücken laufen.Hier liegt unter einer Glasscheibe der Hingucker im Besucherzentrum: eine Leiche. Es ist die Nachbildung einer Moorleiche. Mit dem Kunststoffkörper soll verdeutlicht werden, was mit einem menschlichen Körper passiert, der im Torfmoor konserviert wird, so Nagel. Sogar die Haare seien oft noch erhalten.
Nicht mehr wegzudenken aus dem Naturschutzgebiet sind auch die vierbeinigen Bewohner. Seit 2000 hält Schäfer Dirk Rößner mit seinen 1.000 Moorschnucken die Kulturlandschaft in Form. Die hungrigen Tiere verbeißen junge Triebe von Gehölzen, vor allem Birkensprösslinge. Sie tragen so auf schonende Weise zur Pflege des Hochmoores bei und halten es offen - also baumfrei.