„Sleep Awake“ ist einer dieser Horrortrips, bei denen der Abspann läuft und der Puls noch immer nicht weiß, ob er sich bedanken oder beschweren soll. Audiovisuell stemmt das Debüt von Eyes Out – dem Studio um „Spec Ops: The Line“-Regisseur Cory Davis und „Nine Inch Nails“-Gitarrist Robin Finck – einen der eigenständigsten Genreauftritte der vergangenen Jahre, spielmechanisch schwankt es aber auffallend zwischen mutig, müde und regelrecht überladen. Wer bereit ist, sich auf einen psychedelischen Fiebertraum einzulassen, findet hier ein unverwechselbares Erlebnis, muss aber Frusttoleranz mitbringen – gerade in den Stealth-Passagen.
„Sleep Awake“ versetzt uns in die ferne Zukunft, in die letzte bekannte Stadt der Erde, in der Menschen buchstäblich im Schlaf verschwinden und eine Katastrophe namens „Die Stille“ jede Form von Erholung zu einem potenziell tödlichen Risiko macht. Wir spielen Katja, eine Frau, die mit illegalen Anti-Schlaf-Ritualen, okkulten Kulten und einem bröckelnden Realitätsempfinden jongliert, während die Grenze zwischen Wachzustand, Traum und etwas Drittem immer weiter verschwimmt. In dieser Prämisse steckt eine Wucht, die sofort Assoziationen an Albtraum-Klassiker wachruft – allerdings inszeniert als introspektiver, langsamer Horror statt als Jump-Scare-Feuerwerk.
Die Spielwelt selbst ist ein Kaleidoskop aus Betonbrutalismus, rituellen Räumen und psychedelischen Bildkaskaden, das permanent daran arbeitet, Katjas (und unsere) Wahrnehmung an den Rand des Zusammenbruchs zu schieben. Zwischen geskripteten Visionen, Live-Action-Einblendungen und spielbaren Segmenten bleibt das Gefühl, durch ein multimediales Gesamtkunstwerk zu taumeln, das weniger Antworten liefern als eine bestimmte emotionale Temperatur halten will. Umso wichtiger: Trotz aller Surrealität führt „Sleep Awake“ am Ende zu einem Abschluss, der nicht nur vage andeutet, sondern wichtige Fragen tatsächlich beantwortet – ein seltenes Versprechen im narrativen Horror, das hier weitgehend eingelöst wird.
Worum geht’s in „Sleep Awake“?
Im Kern erzählt „Sleep Awake“ die Geschichte einer Stadt, die Schlaf als Risiko und Wachsein als Zwang begreift – und damit eine ganze Ökonomie aus Drogen, Ritualen und Experimenten hervorgebracht hat. Katja bewegt sich durch diese paranoide Gesellschaft als eine Art alchemistische Außenseiterin, die Anti-Schlaf-Tränke braut, dubiose Aufträge annimmt und versucht zu verstehen, warum „Die Stille“ Menschen aus der Realität reißt.
Das bedeutet: Wir erkunden in Ego-Perspektive lineare, aber visuell extrem dichte Areale, sammeln Zutaten, lösen kleinere Umgebungsrätsel und überstehen Stealth-Sektionen gegen sichtbare und unsichtbare Gegner. Mit jedem Verzicht auf Schlaf verschiebt sich Katjas Wahrnehmung – begleitet von zunehmend aggressiven Visual- und Audioeffekten –, bis sich reale Orte in abstrakte Tempel und rituelle Räume verwandeln, in denen die eigentliche Handlung, die Mythologie der Stadt und Katjas persönliche Schuldfragen verhandelt werden.
Was hat uns gefallen?
Die eigentliche Großtat von „Sleep Awake“ ist seine Konsequenz im audiovisuellen Storytelling: Dieses Spiel wirkt wie aus einem Guss, obwohl es mit Full-Motion-Video-Schnipseln, In-Engine-Sequenzen, Mixed-Media-Texturen und spielbaren Abschnitten jongliert. Die Übergänge von kontrollierbarem Gameplay in unkontrollierbare Visionen sind so flüssig, dass sich ein Gefühl einstellt, als würde die Spielwelt permanent weiteratmen, auch wenn wir uns aus dem Spiel kurz zurückziehen. Der Horror sickert eher, als dass er sich uns ins Gesicht springt.
Die Bildsprache des Spiels arbeitet bewusst gegen Genre-Gewohnheiten: Statt der x-ten dunklen Klinik oder des obligatorischen verlassenen Hauses sehen wir verzerrte Stadtlandschaften, ritualisierte Architektur und kaleidoskopische Muster, die an experimentellen Film und Kunstinstallation erinnern. Besonders stark sind jene Momente, in denen Katjas Schlafentzug spielmechanisch und visuell zusammenfinden – wenn Farbsäume, Linsenverzerrungen und psychedelische Überlagerungen nicht nur Stimmung, sondern konkretes Spielgefühl verändern und den eigenen Orientierungssinn auseinanderschrauben.
Der entscheidende Kitt dieser Erfahrung ist die Musik von Robin Finck, der hier nicht „nur“ als prominenter Name auf der Packung steht, sondern als Co-Creative Director tief in die DNA des Spiels eingreift. Der Soundtrack kanalisiert Fincks „Nine Inch Nails“-Erfahrung in eine abstraktere, zersplitterte Form: Pulsierende Rhythmen, Texturen, die an Industrial erinnern, ohne je zur Rocknummer zu werden, und Klangflächen, die die Grenze zwischen Sounddesign und Musik gezielt verwischen. Das Ergebnis ist ein Soundtrack, der die ohnehin instabile Wahrnehmungslage noch weiter destabilisiert, ohne sich in Vordergründigkeit zu verlieren – man spürt, wie stark „Sleep Awake“ als audiovisuelles Projekt gedacht ist und nicht nur als Spiel, dem nachträglich Musik unterlegt wurde.
Überraschend positiv fällt zudem der erzählerische Bogen auf: Viele psychedelische Horrorspiele leben von Andeutungen und brechen im letzten Drittel unter ihrer eigenen Ambition zusammen, „Sleep Awake“ behält hingegen genügend Klarheit, um seine zentralen Fragen tatsächlich anzupacken. Ja, es bleiben Interpretationsebenen offen, doch die Auflösung verweigert sich nicht vollständig, sondern legt nachvollziehbare Zusammenhänge offen – die emotionale Schlusswirkung ist dadurch deutlich stärker, weil der Schrecken rückwirkend Sinn ergibt.
Was hat uns nicht gefallen?
So beeindruckend das Konzept, so holprig ist oft seine Umsetzung im eigentlichen Spielgefühl: „Sleep Awake“ ist in weiten Teilen eher Walking Simulator mit Stealth-Einsprengseln als vollwertiges Horrorspiel – und ausgerechnet diese Stealth-Segmente sind die fiese Achillesferse des Gesamterlebnisses. Die Levelwege sind häufig eng, verschachtelt und tief in Dunkelheit getaucht, während unsichtbare Gegner und schlecht lesbare Sichtkegel eher Frust als Furcht erzeugen, weil Fehler selten nachvollziehbar wirken. Ohne Hilfsmittel wie Taschenlampe oder klare akustische Hinweise fühlt sich manche Passage wie Trial-and-Error an – eine Spannung, die aus Müdigkeit statt Nervenkitzel entsteht. Das ist keine gute Konsequenz.
Dazu kommt eine seltsame Diskrepanz zwischen der wagemutigen Bildsprache und der vergleichsweise konservativen Kernmechanik: Hinter all den Visionen steckt spielerisch oftmals das bekannte Muster aus Schleichen, Warten, Vorbeihuschen, das zu selten mit kreativen Ideen gebrochen wird. Gerade im ersten Spieldrittel wirkt „Sleep Awake“ auf eine unangenehme Weise überfrachtet: Begriffswelten, Fraktionen, Kultstrukturen, dazu ein Dauerfeuer an surrealen Eindrücken – als hätte das Studio Angst, uns auch nur eine Sekunde zur Verarbeitung zu lassen, und gleichzeitig nicht den Mut, die Spielsysteme radikaler zu reduzieren.
Die Horrorwirkung leidet paradoxerweise darunter, dass die verstörendsten Bilder häufig dann auftreten, wenn wir am wenigsten involviert sind – in Full-Motion-Video-Montagen, Nahaufnahmen von Augen und Schreigesichtern, die uns als Zuschauer adressieren, aber nicht als handelnde Person. Wenn das eigentliche Gameplay später im Spiel endlich fiesere Gegnertypen und starke „Bloß nicht hinschauen“-Mechaniken auspackt, wirkt es, als kämen die besten Ideen zu spät und zu kurz, um den Gesamteindruck nachhaltig zu prägen. „Sleep Awake“ hat das Potenzial zum Horror-Meilenstein, verweigert sich diesem Status aber durch ein spürbares Auseinanderfallen von Vision und Mechanik.
Unser Fazit zu „Sleep Awake“
„Sleep Awake“ ist kein Spiel für alle – und genau das ist seine größte Stärke und Schwäche zugleich. Wer klassischen Survival-Horror mit sauber getakteten Schockmomenten, klarer Progressionskurve und komfortabler Lesbarkeit der Systeme erwartet, dürfte mit den fragmentierten Stealth-Passagen und der überbordenden Symbolik hart hadern.
Wer hingegen neugierig auf ein audiovisuelles Horror-Experiment ist, das seine Musik ernst nimmt, seine Bildsprache radikal ausreizt und am Ende trotzdem eine greifbare Geschichte erzählt, findet hier eines der markantesten Genreprojekte der letzten Zeit – wenn auch eines, das sich spielerisch selbst im Weg steht.
Dass ein Gitarrist von „Nine Inch Nails“ nicht nur als Komponist, sondern als Mitgestalter einer Horror-Spielwelt auftritt, wäre als bloßer Marketing-Haken leicht zu entlarven – im Fall von „Sleep Awake“ ist Robin Fincks Beteiligung jedoch integraler Bestandteil der Identität. Die Art, wie Score, Sounddesign, visuelle Gestaltung und Narrative ineinandergreifen, macht aus dem Spiel trotz aller mechanischen Schwächen ein Erlebnis, über das sich streiten lässt, das aber nur schwer kaltlässt – und genau das sollte ein Werk mit einem derart starken Ausgangskonzept leisten.
„Sleep Awake“ ist seit dem 2. Dezember 2025 erhältlich für PC, Playstation 5 und Xbox Series X|S und kostet rund 30 Euro. Das Spiel ist ab 18 Jahren freigegeben.
Transparenzhinweis: Für den Test wurde uns vom Publisher ein kostenloser Review-Code zur Verfügung gestellt. Dies hatte keinen Einfluss auf unsere Wertung. Wir haben das Spiel auf der Playstation 5 Pro getestet.