Welchen Einfluss "Almond Moms" und Corona auf Essstörungen haben

Bielefeld. Erst zehn Jahre alt sind einige Patientinnen, die auf der Station für Essstörungen der LWL-Universitätsklinik in Hamm behandelt werden. Seit Beginn der Corona-Pandemie müssen dort immer mehr Betroffene therapiert werden. Bis zu den Schulferien war, trotz des Endes der Schutzmaßnahmen, die Zahl der Inanspruchnahmen weiter hoch, sagt Tanja Legenbauer, Leiterin der Forschungsabteilung der Kinder- und Jugendpsychiatrie. "Ob es nun zu einer Beruhigung kommt, wird man sehe." Im Gespräch mit dieser Redaktion erklärt sie, was mögliche Ursachen sind, welchen Einfluss die Familie und sogenannte "Almond Moms" haben und welche Therapiemöglichkeiten es gibt.

Wodurch kann eine Essstörung entstehen? Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) können Essstörungen in Form von Magersucht, Bulimie oder Binge-Eating-Störung auftreten. Symptome für eine Essstörung zeigen sich laut BzgA bei jedem fünften Kind zwischen 11 und 17 Jahren. "Die Ursachen sind vielfältig und oftmals kommen viele verschiedene Dinge zusammen, die anfällig für die Entwicklung einer Essstörung machen", erklärt Legenbauer. Hobbys, die einen schlanken Körper und spezifische Gewichtsvorgaben mit sich bringen, wie etwa beim Voltigieren oder beim Ballett, könnten zum Beispiel Trigger für Körperunzufriedenheit sein und Diätverhalten unterstützen, wenn ein Kind schon anfällig für Essstörungen und Körperunzufriedenheit ist. Es gebe aber auch genetische Gründe.

"Das Körpergewicht ist beispielsweise genetisch stark beeinflusst. Wenn man aus einer übergewichtigen Familie kommt, ist das Risiko höher, dass man als Kind selbst auch Übergewicht entwickelt", sagt die Expertin. Die Wahrscheinlichkeit liege bei bis zu 80 Prozent. "Das hat zum einen mit der genetisch beeinflussten Biologie wie beispielsweise Stoffwechselprozessen zu tun, zum anderen mit Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsverhalten im Alltag."

Ähnlich sei es bei der Magersucht. Wenn eine Bezugsperson eine Essstörung habe, gäbe es auch ein genetisches Risiko, dass ein Kind eine Essstörung entwickele. "Dann müssen aber noch andere Faktoren hinzukommen. Zur Auslösung der Essstörung kommt es dann oft bei anhaltenden hohen Belastungen wie Konflikten, Stress in der Schule oder Perfektionismus. Oftmals sind auch negative Kommentare zum Gewicht ein Auslöser, um eine Diät zu beginnen."

Sind "Almond Moms" ein gefährlicher Trend auf Social Media? Auf der Videoplattform TikTok finden sich zu diesem Thema diverse Videos mit teils mehr als einer Million Zuschauer, gesammelt unter dem Hashtag "Almond Mom". Die Bezeichnung geht zurück auf einen Clip aus der Reality-TV-Show "Real Housewives of Beverly Hills". Darin ruft die damals 17-jährige Gigi Hadid ihre Mutter an, weil es ihr nicht gut geht, und diese rät ihr dazu, ein paar Mandeln zu essen.

Den Begriff nutzen junge Frauen jetzt, um in Videos von den ungesunden Ernährungsratschlägen ihrer Mütter zu berichten und wie diese zu ihren Essstörungen beigetragen haben. Die US-amerikanische Schauspielerin und Influencerin Tyler Bender hat einige der Videos bei TikTok beigesteuert. Die Zuschauerinnen kommentieren unter den Videos, dass ihnen dadurch klar geworden sei, dass entweder ihre Mütter oder sie selbst ein ungesundes Essverhalten entwickelt haben.

In einem Interview mit dem Online-Magazin "Shoutout DFW" sagte Bender dazu, sie sei stolz auf ihre Arbeit, weil ihr viele geschrieben hätten, dass es ihnen geholfen habe, sich von einer toxischen Beziehung zu Lebensmitteln zu erholen, oder dass es ein wichtiges Gespräch mit der Familie über die Ernährungskultur eröffnet habe.

Es finden sich aber auch kritische Kommentare zu den Parodien von Müttern. Man dürfe das problematische Verhalten der Mütter nicht nur verurteilen, weil viele der "Almond Moms" selber Essstörungen hätten. "Man nimmt an, dass sich auch restriktives Essverhalten über die Generationen überträgt", sagt dazu Tanja Legenbauer. "Mütter mit Essstörungen können manchmal selbst nicht gut Hunger und Sattheit einschätzen und können daher auch angemessene Hunger- oder auch Sattheitssignale des Kindes nicht gut verstärken. Damit wird gegebenenfalls auch das Risiko für Essstörungen unbewusst weitergegeben."

Wieso haben während der Pandemie mehr Menschen eine Essstörung entwickelt? Isolation, Ängste und mehr Zeit für Sport und die Ernährung haben mit Pandemiebeginn die Entwicklung einer Essstörung begünstigt, erläutert Legenbauer. Laut Angaben von Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW) ist die Zahl der stationären Behandlungen von Kindern und Jugendlichen mit Essstörungen in Krankenhäusern (1.435 Fälle) im Jahr 2021 um 70 Prozent gegenüber dem Vor-Coronajahr 2019 gestiegen. 93,1 Prozent dieser Behandelten waren Mädchen; gut ein Viertel (26,6 Prozent) der jungen Behandelten war jünger als 14 Jahre.

"Es geht dabei primär um Kontrolle", sagt die Expertin. "Wer abnimmt, wird gelobt und speichert das als positive Erfahrung." Aber: "Bei einer Magersucht kippt es dann aber irgendwann. Dann will man immer mehr abnehmen und kann nicht mehr aufhören, auch wenn der Körper schon rebelliert und es schon lange keine positiven Rückmeldungen mehr gibt." Bedenklich sei, dass bei schnellen Gewichtabnahmen von zehn bis 15 Kilogramm in kurzer Zeit der Stoffwechsel oftmals so runterfahre, dass der Körper nicht mehr normal arbeiten könne. Dann könnten auch trotz Normalgewicht Nebenwirkungen auftreten, wie Schwindelgefühle, Erschöpfung, Konzentrationsprobleme oder auch das Ausbleiben der Regelblutung.

Was können Angehörige tun? Wenn Eltern ein verändertes Verhalten bei ihren Kindern auffällt, müssen sie mit ihnen darüber reden. Sie sollten nicht kritisieren oder bestrafen, sondern ihre Hilfe anbieten und ihre Sorge äußern, rät Legenbauer. Hinweise seien etwa, dass das Kind Mahlzeiten auslässt oder sehr "gesund" isst und die Mengen immer weiter reduziert. "Ob körperlich alles in Ordnung ist, sollte dann der Haus- oder Kinderarzt abklären", empfiehlt die Expertin.

Wie sieht die Behandlung aus? Die BzgA rät in jedem Fall auch zu einer Therapie. Wenn es nur Streit ums Essen gibt und die Eltern überfordert sind, empfiehlt Legenbauer eine stationäre Behandlung. Wenn das Kind selbst einen Behandlungswunsch habe, sei die Behandlung auch ambulant möglich.

Zur Prävention, aber auch für die Therapie mit den Patientinnen in ihrer Klinik, setzt Legenbauer auf Aufklärung über gesunde Ernährung. Auch ein kritischer Umgang mit Medien sei wichtig, etwa dass man erkenne, dass viele Bilder in den sozialen Medien bearbeitet seien. Man arbeite dann daran, dass sich ein gesundes Selbstbewusstsein entwickele und Betroffene positive Freundschaften und Hobbys entwickeln.

Die BzgA spricht bei einer Magersucht von Heilungschancen von etwa 40 Prozent, bei einer Bulimie von 50 Prozent und bei einer Binge-Eating-Störung sogar von zwei Dritteln.

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