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Per Rad nach Dänemark

Immer dem Wasser nach: Der Berlin-Kopenhagen-Radweg

Zieleinlauf nach Hunderten Kilometern auf dem Fahrrad in Kopenhagen - und plötzlich sind wir mitten in einer Horde von Drahteseln wie zuvor auf der ganzen Reise nicht. Aber wir sind ja auch angekommen in einer Stadt, die sich selbst «Fahrradhauptstadt der Welt» nennt.

Allein die meistbefahrene Strecke, die Dronning Louises Bro, die Königin-Louise-Brücke, zählt 42.600 Radfahrer am Tag. In Kopenhagen gibt es fünfmal mehr Räder als Autos. Die Kopenhagener treten gern schnell durch die Stadt. Nur die Radtouristen bremsen sie aus, wenn sie Handzeichen oder Rechtsfahrregel ignorieren.

In Berlin dagegen, wo die Radreise beginnt und auf einen beliebten Fernradweg eingeschwenkt wird, sorgen für erhöhten Puls beim Radeln dagegen unachtsame Autofahrer und oft schmale Radstreifen, auch das Stop-and-Go an den Ampeln nervt. Aber von vorn.

Startpunkt des 680 Kilometer langen Berlin-Kopenhagen-Radweges ist das Brandenburger Tor, wo vor historischer Kulisse ein erstes Gruppenfoto geschossen wird. Dann aufsitzen und ein Stück dem ehemaligen Mauerstreifen folgen. Beim einstigen Wachturm Kieler Straße in Spandau erinnert eine Inschrift an den ersten Mauertoten Günter Litfin.

Noch sind die Waden fit

Die Geräusche der Stadt werden leiser, der Verkehr verebbt, Brandenburg, wir kommen! Der Radweg führt über das im Dreißigjährigen Krieg in Schutt und Asche gelegte Kloster Zehdenick bis Mildenberg, mitten hinein in die einzigartige Tonstichlandschaft an der oberen Havel. Mit der Einstellung der Ziegelproduktion 1990 wurden die Tongruben mit Wasser gefüllt und entwickelten sich zum Paradies für Pflanzen und Tiere.

Noch sind die Waden fit, um den Ziegeleipark, heute ein Industriedenkmal, zu besichtigen. Zu Spitzenzeiten wurden hier 300.000 Ziegel in einem Durchgang gebrannt und große Teile Berlins damit erbaut. Heute halten nur noch Besucher Ziegelsteine bei Workshops am Ringofen in der Hand. Ein paar Kilometer weiter klingt der Tag beschaulich in der Marina Alter Hafen aus, wo es ein namensgleiches Gasthaus direkt an der Havel gibt.

Während die Boote im Wasser wiegen und der Frühnebel über den Steg zieht, beginnt morgens die Packerei. Räder entsichern. Akku rein, Taschen einhängen, Landkarte positionieren, Helm zurechtrücken und Windschutz aufrüsten. Selbst wenn es mal schnell geht, dauert es gut 20 Minuten bis jeder abfahrbereit am Sattel sitzt. Geduld und Gelassenheit sollten auf Radgruppenreisen mit ins Gepäck.

Landschaftlich schön liegt die Klosterruine Himmelpfort von 1299 auf einer schmalen Landzunge zwischen Stolp- und Haussee östlich von Fürstenberg/Havel, eine weitere Wegmarke. Die nächste ist schwere Kost, die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, ein ehemaliges Frauenkonzentrationslager mitten im Wald. Unter Zwang fertigten hier zeitweise mehr als 5.000 inhaftierte Frauen Häftlingskleidung für Konzentrationslager sowie unter anderem Uniformen für SS und Wehrmacht. Vor 80 Jahren wurde es befreit.

Moderne Übernachtungstürmchen

Auf und ab schlängelt sich der Radweg ab Fürstenberg, manchmal holprig über Kopfsteinpflaster, von Pappelbäumen flankiert. In Neustrelitz, jetzt ist Mecklenburg-Vorpommern erreicht, sind rund 170 Kilometer geschafft, ein Viertel der Gesamtstrecke. Hier wird Fahrradfahrern eine besondere Bleibe für die Nacht geboten: die Übernachtungstürmchen. Wie eine Ansammlung übergroßer Salz- und Pfefferstreuer stehen die modernen Wohnzylinder am Stadthafen.

Ab dem dritten Radtag sorgen die dunklen Wolken am Himmel, vor denen es zu fliehen gilt, für gesteigerte Motivation im Sattel. Der Lenker hüpft über die Wurzeln, und die Kanus bringen Farbe aufs Erinnerungsfoto: Wir haben die Landschaft der Mecklenburgische Seenplatte erreicht.

In Ankershagen parken die Räder auf dem Vorplatz an einem hölzernen Trojanischen Pferd, während sich Fahrerinnen und Fahrer im Schliemann-Museum umsehen. Als Kaufmann, Weltreisender, Sprachtalent und Archäologe entdeckte Heinrich Schliemann Troja. Dort, wo er seine Kindheit verbrachte, wird seine Geschichte erzählt, während sich die müden Beinmuskeln in den Ausstellungsräumen erholen.

Zur Ostsee? Immer dem Wasser nach

Meditativ tritt jeder in die Pedale, jahrhundertealte Buchen und Kiefern ziehen vorbei. Kurzer Halt an der Quelle der Havel, dann geht’s weiter durch den Müritz Nationalpark, mit 32.000 Hektar dem größten Nationalpark auf dem Festland Deutschlands. Von hier fließt das Wasser in die Ostsee, und der Radfernweg orientiert sich an diesem Plan der Natur.

Die Seen werden größer und das Land flacher. Rothirsch, Kraniche, Seeadler, Fischadler oder sogar Wasserfledermäuse gäbe es zu sehen. Bezeugen können wir Kühe, Pferde und Hasen. Und Möwen: Bis zur Ostsee ist nicht mehr weit.

Am nächsten Tag werden die Räder auf die Fähre geschoben. Zwei Stunden Kreuzfahrtcharakter bis Gedser in Dänemark, danach ist es ein letztes Viertel der Radwegstrecke bis Kopenhagen. «Die Etappen sind flach, aber windig», warnt Jesper Pørksen von Dansk Cykelturisme, eine Vereinigung, die sich für die dänische Fahrradtourismus-Infrastruktur starkmacht. Er fuhr schon mehrmals mit dem Rad von Berlin nach Kopenhagen.

Spätestens an der Küste sind alle dankbar, dass sie ein E-Bike unter dem Po haben. So ist der Weg zur Welterbe-Kreidefelsensteilküste Stevns Klint, die am südlichen Öresund sich bis über 40 Meter aus der Ostsee erhebt, trotz kerniger Brise entgegen der Fahrtrichtung, ein Hochgenuss.

270 Kilometer führt der Berlin-Kopenhagen-Radweg durch Dänemark, ab Stevns Klint sind es noch gut 70 Kilometer. Und nach der wilden Natur kommen einem die dort umher rasenden Lastenrad fast wie Autos vor. Großstadt ist Großstadt.

Aber schon am zweiten Tag in der dänischen Hauptstadt gewöhnt man sich daran und sieht die Vorteile der auf den Radverkehr zugeschnittenen Infrastruktur: kein Stau auf der Brücke, freie Fahrt auf den Schnellstraßen. Es fließt. Auch auf der Fahrradbrücke Cykelslangen, die sich wie eine Schlange über das Wasser zwischen den Gebäuden windet.

Seit 2006 sind 18 autofreie Brücken für Radfahrer und Fußgänger gebaut worden. Jede davon praktisch. Und optisch ein Hingucker. Die Stadt zeigt sich von ihrer schönsten Seite. Und das nicht nur, weil das allgegenwärtige Wasser in der Abendsonne glitzert.

Links, Tipps, Praktisches:

Die Route: Der Radfernweg Berlin-Kopenhagen kann bequem zwölf Tagesetappen bestritten werden, aber auch sieben Etappen sind machbar. Laut dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) führt er überwiegend über befestigte Radwege, ruhige Nebenstraßen oder Wirtschaftswege, nur vereinzelt Kopfsteinpflaster und Betonspurbahnen. Ein weiß-blaues Logo weist durchgehend den Weg.

Reisezeit: In der Hauptsaison im Juli und August ist viel los, und Unterkünfte sollten im Voraus gebucht werden. Angenehm ruhig ist es von April bis Juni oder von September bis Anfang November.

Anreise und Rückreise: Berlin ist mit der Bahn gut zu erreichen. Wer mit dem ICE kommt, muss die Fahrradmitnahme vorab buchen. Tipp für die Rückreise von Kopenhagen: mit dem Regionalzug bis Nykøbing auf Falster und von dort mit dem Rad bis zur Fähre in Gedser (26 Kilometer), von Rostock mit dem Zug nach Berlin.

Stadtführung per Rad durch Kopenhagen: Es gibt etliche Anbieter; wer das eigene Rad mitbringt, muss mit rund 40 Euro für eine mehrstündige Tour rechnen.

Unterkunft: Die Website bettundbike.de bietet eine große Auswahl.

Weitere Infos: reiseland-brandenburg.de; mecklenburgische-seenplatte.de; ruppiner-seenland.de; havelland-tourismus.de; visitberlin.de; visitcopenhagen.com

Symbolischer Start: Am Brandenburger Tor in Berlin beginnt der Fernradweg. - © Anita Arneitz/dpa-tmn Orientierung ist gefragt: Die Reisegruppe vor Wegweisern in Berlin. - © Anita Arneitz/dpa-tmn Beim einstigen Wachturm Kieler Straße in Spandau erinnert eine Inschrift an den ersten Mauertoten Günter Litfin. - © Anita Arneitz/dpa-tmn Wegmarke Ringofen: Der Radweg führt am Ziegeleipark Mildenberg in Zehdenick vorbei. - © Anita Arneitz/dpa-tmn Zylindrisch, praktisch und irgendwie gut: Übernachtungstürmchen in Neustrelitz. - © Anita Arneitz/dpa-tmn Kulturhistorischer Zwischenstopp in Ankershagen: das Schliemann-Museum als willkommene Abwechslung. - © Anita Arneitz/dpa-tmn Fotostopp im Müritz-Nationalpark - Motiv: die Havel-Quelle. - © Anita Arneitz/dpa-tmn Er fuhr schon mehrmals mit dem Rad von Berlin nach Kopenhagen: Jesper Porksen von Dansk Cykelturisme. - © Anita Arneitz/dpa-tmn Welterbe in Stein: Felsensteilküste Stevns Klint. - © Anita Arneitz/dpa-tmn Angekommen in Kopenhagen. Die dänische Hauptstadt nennt sich «Fahrradhauptstadt der Welt». - © Anita Arneitz/dpa-tmn Fahrradparadies Kopenhagen: In den vergangenen Jahren sind etliche autofreie Brücken gebaut worden. - © Anita Arneitz/dpa-tmn Industriekultur, Naturidyllen und bewegende Geschichte: Der Radwegklassiker zwischen den Metropolen ist eine vielseitige Tour inklusive Fährfahrt. - © dpa-Infografik/dpa-tmn

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