Kurz vor der Wildmoosalm meldet sich der innere Schweinehund zu Wort. «Geh links entlang», scheint er zu rufen, als die Beschilderung in unterschiedliche Richtungen zeigt. Linksherum sind es nur fünf Kilometer bis Mösern, dem Tagesziel meiner Wanderung. Rechtsherum in den Wald Richtung Lottensee und wieder zurück ist es mehr als doppelt so weit. Ein Umweg.
Aber was heißt hier Umweg? Schließlich sind wir auf einer sogenannten Winterweitwanderung, da verbietet sich der kürzeste Weg fast schon aus Prinzip. Also tritt der innere Schweinehund zur Seite und die Schleife um den Lottensee steht an, ein landschaftlich reizvoller Abschnitt.
Das Tiroler Hochplateau, auf dem ich unterwegs bin und das auf etwa 1.200 Meter Höhe liegt, ist im Winter vor allem als Langlaufregion bekannt. Relativ neu aber ist der ausgeschilderte Winterweitwanderweg, der erste seiner Art in Tirol. Vier Tagesetappen, drei Übernachtungen, 52 Kilometer - das sind die Eckdaten. Gewandert wird auf breiten, platt gewalzten Wegen abseits der Hauptstraße.
Kaum Ausrüstung vonnöten
Während Wandern im Sommer eine so populäre wie klassische Betätigung für Aktivurlauber ist, wird das Winterweitwandern gerade zum Trend. Ein Marketing-Begriff aus der Touristik ist es zwar, doch ein paar Vorzüge liegen auf der Hand: Gegenüber Skifahren, Skitouren oder Schneeschuhwandern benötigt man bis auf warme Kleidung und geeignetes Schuhwerk kaum Ausrüstung.
Während schneearme Winter infolge des Klimawandels dem klassischen Wintersport zu schaffen machen, ist dies beim Winterweitwandern weniger ein Problem. «Die Winter werden schwieriger, und man braucht beim Winterwandern keine geschlossene Schneedecke», sagt Lisa Krenkel vom Toursmisverband Seefeld. Gleichwohl hat man die Alpenlandschaft auch wandernd zum Beispiel auf dem Winterwegenetz von 142 Kilometern Länge in der Region Seefeld oft für sich allein.
Kurzum - das Naturerlebnis in der Kälte steht im Vordergrund, und so genieße ich auf meiner Tour immer wieder berauschende Ausblicke auf den Mundekopf, den markanten Ostgipfel der Hohen Munde, und die Ruhe, die von den schneebedeckten Wegen und dem Wald ausgeht. Während einer Pause auf einer sonnigen Bank lassen sich Langläufer und Kutsch-Ausflüglern am Wildmoossee beobachten.
Ein Schild mit der Aufschrift «Achtung Lebensgefahr durch fliegende Golfbälle» lässt mich schmunzeln. Schon eher in den winterlichen Alpen berechtigt ist die Frage nach Lawinen. Entlang der Winterwanderwege bestehe keine Gefahr durch Abgänge, versichert Tourismusverband Seefeld.
Gepäcktransport und Stern-Etappen
Ich fühle mich sicher, bis ich auf einem steileren Forstweg wenige Meter vor der Lottenseehütte auf vereistem Grund ins Rutschen gerate. Man sollte die Packliste der Profis ernst nehmen. Die führt Grödel auf, eine Art Mini-Steigeisen aus Gummiringen mit spitz gezackten Ketten, die über die Schuhsohle gezogen werden. Mit etwas technischem Gerät, zu dem auch Stöcke zählen dürfen, ist man also beim Winterwandern gut beraten.
Was im Sommer das Wandern attraktiver machen soll, wird in Seefeld seit ein paar Jahren auch im Winter angeboten: der Gepäcktransport. Wenn man an der Unterkunft ankommt, sind Rucksäcke oder Koffer schon da. Und eine weitere Variante des Winterweitwanderns bietet man an: das sternförmige Wandern auf unterschiedlichen Etappen. Nach dem Laufen kehrt man stets mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in ein und dieselbe Unterkunft zurück.
Ich aber mache den Klassiker - ohne Gepäcktransport, keine Wiederkehr. Im Dorf Mösern, Ort meiner nächsten Unterkunft, läutet gerade die Friedensglocke, die dort als Denkmal errichtet wurde. Welch beruhigender Klang vor imposanter Alpenkulisse bei Sonnenuntergang!
Am Folgetag warten 14 Kilometer und über 700 Höhenmeter auf mich, darunter der Aufstieg zur Wettersteinhütte. Auch Rodler sind auf dem Weg erlaubt, ein paar nicht ganz so versierte Schlittenlenker drängen mich mit einem «Obacht» an den Rand.
Aber der Ausblick von der Hüttenterrasse auf das Gaistal, die Hohe Munde im Dämmerlicht ist herrlich. Später belohnen mich die Wirtsleute Hans und Beate Schütz in der Gaststube mit Speisen und loderndem Kaminofen. Auch Gemütlichkeit ist typisch für eine winterliche Wanderung von Hütte zu Hütte.
Links, Tipps,Praktisches:
Das Reiseziel: Seefeld liegt im österreichischen Bundesland Tirol.
Anreise: Mit dem Auto ist man zum Beispiel ab Berlin unter acht Stunden, ab München noch knapp zwei unterwegs. Vom Flughafen Innsbruck ist Seefeld gut 20 Kilometer entfernt.
Winterweitwandern: Der erste Winterweitwanderweg Tirols geht über vier Etappen und ist rund 50 Kilometer lang. Buchbar sind Reisepakete mit Gepäcktransport. Unter dem Label «Österreichs Wanderdörfer», zu denen Seefeld zählt, sind auch Winterwanderwege zertifiziert. Ebenfalls im Unterengadin in der Schweiz auf der Via Engiadina gibt es ein vergleichbares winterliches Weitwanderangebot.
Weiter und wilder ist eine Hüttentour auf dem Kungsleden, dem schwedischen Königsweg, buchbare Angebote finden sich im Internet.
Weitere Informationen: www.seefeld.com