Straelen/Berlin. "Unser Papa hatte explizit um eine Todes-Spritze gebeten. Es war nur noch eine Zumutung für ihn. Er hat quasi nur noch darauf gewartet, seinen letzten Atemzug machen zu dürfen", erinnern sich Isabel (33) und Corinna (27) Krücker. Am 1. Januar 2021 verstarb ihr Vater Michael Krücker im Hospiz. Tagelang saßen die Geschwister abwechselnd Tag und Nacht bei ihrem Vater, bis er seine Augen für immer schloss.
Bereits zwei Mal in seinem Leben hatte Michael Krücker den Krebs besiegt. Beim dritten Mal habe er einfach keine Kraft mehr gehabt, so seine Töchter. Erst knapp zwei Jahre vorher hatte die Familie mit der wiederkehrenden Krebserkrankung der Ehefrau und Mutter gekämpft und verloren. Mit seiner Ehefrau war auch für Michael Krücker jeglicher Kampfgeist gestorben.
Zuletzt sei er kaum mehr ansprechbar gewesen. Aufgrund der Metastasen in seinem Körper habe er zum Schluss noch nicht einmal mehr seine Arme bewegen, geschweige denn den Notrufknopf drücken können. "Es hätte erst gar nicht soweit kommen müssen", sagen Isabel und Corinna Krücker. Denn solange er noch sprechen konnte, hätte er wiederholt zu seinen Töchtern, den Ärzten und den Pflegern gesagt, dass er nicht mehr leben wolle. Er hätte seine Ehefrau in ihren letzten Tagen begleitet und gesehen, welche Qualen sie erlitten hatte, ahnte was ihm bevorstand.
Soll Verhungern lassen die Lösung sein?
"Die Ärzte wollten davon nichts hören", erzählen die Geschwister. Theoretisch sei eine professionelle Sterbehilfe bereits seit Februar 2020 möglich, aber praktisch noch nicht umsetzbar. Es sei immer noch so, dass den Ärzten bei einer Suizidassistenz die Zulassung entzogen werden könne, so die Geschwister. Einfach weil die Berufsordnungen der Ärzte bis jetzt noch nicht angepasst worden seien.
Weiteres Problem: Jeder Antrag auf ein tödliches Medikament zur Sterbehilfe werde vom Gesundheitsministerium rigoros abgelehnt. Also bleibe nur die Möglichkeit einer passiven Sterbehilfe durch Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen. Im Hospiz bedeute das Verhungern oder Verdursten und indirekte Sterbehilfe durch Schmerzmedikation. "Dann fragen wir uns, wenn ein Patient schon so abgeschossen werden darf, dass er nichts mehr mitbekommt, wieso darf man ihn dann nicht erlösen?"
Petition für eine schnelle Gesetzesänderung
Kurz nach dem Tod des Vaters gab es im Bundestag einen Vorstoß für ein neues Sterbehilfegesetz, aber bis auf den Entwurf einer Reformänderung sei nichts weiter passiert. Bis zu den Wahlen im Herbst soll es noch eine offene Debatte dazu geben, hieß es. Das zögerliche Handeln, die Regelungen in dem Entwurf und die Erinnerungen aus der Zeit auf Krankenstationen und im Hospiz brachte die Geschwister dazu, aktiv zu werden.
Ende Januar starteten sie eine Petition zum Rechtsanspruch auf professionelle Sterbehilfe als Akt der Menschlichkeit und Nächstenliebe. Bereits nach den ersten zwei Wochen hatten sie knapp 30.000 Unterschriften. Für ein Vorspracherecht im Bundestag brauchen die Geschwister jedoch mindestens 50.000 Stimmen - und das möglichst schnell.
Nicht realitätsnaher erster Entwurf zur Reformänderung
"Jeder kann von heute auf morgen krank werden und in die Situation kommen. Dann sollte man wissen, dass man diese Möglichkeit hat", sagen die Geschwister. Dann helfe es auch nicht an einer verpflichtenden Beratung zu der Verabreichung eines letalen Medikaments teilzunehmen, die mindestens zehn Tage und höchstens acht Wochen vorher erfolgen soll - wie es im ersten Entwurf geschrieben steht.
Ein Zeitrahmen, der den Eltern der Geschwister nicht geholfen hätte. Ganz zu schweigen davon, dass Selbstbestimmung und Rechtfertigung nicht miteinander vereinbar seien, sagen sie. "Diese Maßnahme ist ein Schlag ins Gesicht für viele Betroffene und ein Zeichen dafür, dass erneut völlig unzureichende realitätsferne Maßnahmen besprochen werden. Politiker, redet mit uns, nicht über uns!", fordern sie.
Anmerkung der Redaktion:
Generell berichten wir nicht über Selbsttötungen, es sei denn, es gibt besondere Gründe für eine erhöhte Aufmerksamkeit. Wir halten uns möglichst zurück, da es bei Suiziden eine hohe Nachahmerquote gibt.
Sollten Sie sich von besonderen Lebensumständen betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie 24 Stunden am Tag Hilfe und Beratung.
Bisherige gesetzliche Regelung
- Seitdem im Februar 2020 das Verbot der professionellen Sterbehilfe vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden ist, fehlt eine klare gesetzliche Regelung für den freiwilligen Suizid.
- Ende Januar 2021 wurden zwei Gesetzesentwürfe für eine Änderung vorgestellt.
- Unter anderem beinhalten dies Entwürfe eine ärztliche Verschreibungspflicht für das tödliche Medikament, eine verpflichtende Beratung und Wartefristen geben.
- Ärzte sollen die Suizidhilfe ablehnen dürfen. Ebenso wenig sollen etwa konfessionelle Träger von Heimen zu entsprechenden Angeboten verpflichtet werden.
- Minderjährige sollen von dem Angebot komplett ausgeschlossen werden, Ausnahmen seien aber denkbar.
- Zweifelhaft ist, ob es vor der Wahl im Herbst noch zu einer gesetzlichen Regelung kommt. Viele Abgeordnete sprechen sich gegen eine Gesetzesänderung aus.