Er war Sänger auf Kreuzfahrtschiffen, Immobilienhai, Medienmogul, Ministerpräsident, verurteilter Straftäter und erfolgreicher Eigentümer von Fußballvereinen. Die Ereignisse, Niederlagen, Erfolge und Skandale in der Vita Silvio Berlusconis hätten leicht mehrere Leben füllen können. Am Montag ist der umstrittene Mailänder im Alter von 86 Jahren gestorben.
„Das Ende einer Ära“, titelte die Online-Ausgabe der linken Tageszeitung La Repubblica. „Ein Stück italienischer Geschichte verabschiedet sich“, hieß es. Und so ist es. Berlusconi war viermal italienischer Ministerpräsident, er gründete die Partei Forza Italia. Als junger Bauunternehmer hatte er im Bauboom der 1960er Jahre ganze Satellitenstädte für die Arbeiter aus dem Süden in Norditalien errichten lassen. Dazu gehörte bereits das Visionäre zusammen mit gehöriger Chuzpe, die Berlusconi immer charakterisierten. 1977 wurde Berlusconi wegen seiner Bau-Verdienste der Ehrentitel „Cavaliere del lavoro“ verliehen, seither wurde er „Cavaliere“ genannt.
Als er - eigentlich Anhänger des vornehmeren Stadtclubs Inter Mailand – 1986 den damaligen Arbeiterverein AC Mailand übernahm, gelang ihm auch hier das Maximum: Dreimal gewann der Verein unter seiner Ägide den wichtigsten Clubwettbewerb Europas. Aber damit nicht genug: Es musste der beste Fußball sein, ein prägender Stil unter dem Trainer und Fußball-Revolutionär Arrigo Sacchi. Berlusconi sei ein „genialer Freund, dem ich alles verdanke“, kommentierte Sacchi am Montag bewegt.
Viele Anklagen
Berlusconi nutzte den scheinbar banalen Massensport Fußball für seine Zwecke. Die Büros der Milan-Fanclubs fungierten ab 1994 als Regionalbüros seiner neu gegründeten Partei Forza Italia. Und so vermischte sich alles unter ihm in Italien: Die Politik mit den Medien, die Medien mit dem Fußball, kriminelle Energie mit Vision. Heere von Staatsanwälten versuchten, dem Selfmade-Mann den juristischen Strick zu drehen, die meisten vergeblich.
Berlusconi wurde wegen Steuerhinterziehung angeklagt, wegen Bilanzfälschung, illegaler Parteienfinanzierung, Richter- und Zeugenbestechung, auch Meineid. Immer kam er davon, dank der Verschleppungstaktik seiner Anwälte, viele Taten verjährten auf diese Weise, oder eine der von ihm geführten Regierungen änderte mal schnell die Fristen. Es gab Freisprüche, Amnestien.
Sogar, als ihn 2013 erstmals der Oberste Gerichtshof letztinstanzlich wegen Steuerbetrugs verurteilte, profitierte der Medienmogul. Drei Jahre Haft wurden ihm wegen einer Amnestie erlassen, es blieben zehn Monate Sozialarbeit in einem Altenheim bei Mailand. Anhänger lobten ihn noch nach seinem Tod als „Helden für den Widerstand gegen die Justiz“. Denn aus den unzähligen Verfahren gegen Berlusconi ließ sich leicht das Narrativ stricken, hier werde versucht eine öffentliche Figur mit juristischen Mitteln zu demontieren. Halb Italien glaubte lange Zeit an diese Version. Zum Verführer gehören bekanntlich immer auch die, die sich verführen lassen.
Berlusconi war ein Narzisst, das kann man ohne Bosheit festhalten. Seine Anhängerschaft verehrte ihn wie einen Superstar und belächelte ihn für seine Orgien und Eskapaden. Er, der sich selbst einmal mit nur einem halben Augenzwinkern als „Gesalbter des Herrn“ bezeichnet hatte, mutierte nicht zufällig zum ersten westlichen Populisten. Als zu Beginn der 1990er Jahre das in Christdemokraten und Sozialisten zweigeteilte italienische Parteiensystem nach Korruptionsskandalen zusammenbrach, stieß der damalige Medienunternehmer genial in das Vakuum vor, das die alte Politik hinterlassen hatte.
Geldquelle unbekannt
Wie tat er das? Talent als Unterhalter hatte Berlusconi zuhauf. Als Student trat er als Conferencier und Pianist auf Kreuzfahrtschiffen auf, damals schon mit seinem Freund Fedele Confalonieri, dem heutigen Vorsitzenden der Medien-Holding Berlusconis mit dem Namen Mediaset. Blendet man das Skandalöse an seiner Figur aus, wirkte Berlusconis Witz teilweise sogar sympathisch. Der Mann betörte Hausfrauen und Manager gleichermaßen. Wenn sie nur unkritisch genug waren.
Bereits in den 70er Jahren hatte Berlusconi früher als viele andere die Macht der Medien erkannt. Das staatliche Verbot, landesweite Fernsehkanäle als Konkurrenz zum Staatsfernsehen RAI zu etablieren, unterlief er geschickt mit dem Aufbau zahlreicher kleiner und formal unabhängiger Sender.
Nie endgültig geklärt wurde, wie Berlusconi an das Geld für diese Operationen gekommen war. Seine Kritiker behaupteten immer wieder, die sizilianische Cosa Nostra habe eine wesentliche Rolle in jener Zeit und bei der Finanzierung gespielt. Die Mafia erkannte in dem aufstrebenden Unternehmer wohl auch ein geeignetes Erpressungsopfer. Berlusconi wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Sein Vertrauter Marcello Dell'Utri, lange Jahre Senator der Forza Italia, verbüßte eine siebenjährige Haftstrafe. Dell'Utri war zwischen 1974 bis 1992 der Verbindungsmann Berlusconis zur Cosa Nostra.
Bestimmende Sender etabliert
Auf diesen Umwegen entstand das Privatfernsehen. 1980 gründete Berlusconi den ersten landesweiten Sender Canale 5, Canale 5 und Rete 4 folgten. Die Sender bestimmen den italienischen Fernsehmarkt bis heute, sie kanalisieren Meinungen. Schlüssel für den Erfolg der damaligen Operation war die Werbeagentur „Publitalia“, die höchst erfolgreich die TV-Werbung verkaufte. Das Monopol des Staatsfernsehens RAI war gebrochen. Berlusconi hatte sich per TV im Handumdrehen in die Wohnzimmer der Italienerinnen und Italiener gebeamt. Für jemanden, der immer nach Höherem strebte, weil er auch von der eigenen Genialität und Unersetzlichkeit tief überzeugt war und die Sicherung der eigenen Interessen voranzutreiben gedachte, war der logische Schritt der Eintritt in die Politik.
Vor der Parlamentswahl 1994 gründete Berlusconi seine Partei „Forza Italia“. Der Name war ein Schlachtruf aus den Fußballstadien für die Nationalmannschaft. Wieder konnte man entweder über die Banalisierung der durch die Korruption schon in tiefste Niederungen gedrängte Politik den Kopf schütteln – oder ein fantastisches Politik-Marketing bewundern. Der italienische Populismus war geboren.
Berlusconi gewann die Wahl, als Konservativer, der bis zuletzt das Gespenst eines wiederkehrenden Kommunismus an die Wand malte. Seine erste Regierung hielt zwar gerade einmal sieben Monate. Bei aller Kritik an seinem Stil, an unzähligen Interessenskonflikten und auf den Leib geschneiderten Gesetzen: Kein Politiker garantierte Italien mehr äußere Stabilität. In seinem Inneren, als eine vom Privatfernsehen und dem dort verbreiteten schönen Schein bestimmte Republik korrodierte das Land gleichwohl.
Tabubruch schon 1994
In seiner zweiten und dritten Amtszeit von 2001 bis 2006 blieb der Mailänder Ministerpräsident. Auch die vierte Regierung hielt von 2008 bis 2011 für italienische Verhältnisse vergleichsweise lange. Geschickt hatte Berlusconi Koalitionen geschmiedet. Den Tabubruch, die angesichts der Regierung Meloni kritisierte Einbindung der Postfaschisten an die Macht, hatte Berlusconi bereits 1994 mit der Aufnahme der Alleanza Nazionale begangen, der Vorgänger-Partei von Giorgia Melonis Fratelli d'Italia. Der Parteiname ist übrigens ein nicht ganz schlechter Abklatsch des Forza-Italia-Einfalls. „Fratelli d'Italia“, (Brüder Italiens), so beginnt die italienische Nationalhymne.
Möchte man Berlusconis Politik in einer Devise zusammenfassen, so agitierte hier ein Regierungschef immerzu gegen den Staat. Auf diese Idee, heute salonfähig, musste man erst einmal kommen. Aber auch dieses Narrativ verfing bei den skeptischen Italienern. Indirekt legitimierte Berlusconi einmal Steuerhinterziehung, der Staat, der so hohe Steuern erhebe, sei der eigentliche Räuber. 2011 trat Berlusconi als Ministerpräsident zurück. Seine persönlichen Eskapaden, die immer stärker auf das italienische Staatsdefizit drückende Finanz- und Schuldenkrise und der Druck der Mächtigen in Europa, hatten Wirkung gezeigt.
In den vergangenen Jahren wurde Berlusconi oft als Witzfigur wahrgenommen. Im sogenannten Bunga-Bunga-Skandal um teilweise minderjährige Prostituierte verspielte Berlusconi international seine letzte Glaubwürdigkeit. Die letztinstanzliche Verurteilung wegen Steuerbetrugs 2013 trug zum Niedergang bei. Es folgten sechs Jahre Ämterverbot. 2019 zog Berlusconi in das Europaparlament ein. Die Rückkehr ins nationale Parlament als Senator im vergangenen Herbst war eine Genugtuung für den „Cavaliere“, der als Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin die allerletzten Sympathien einbüßte. Berlusconis gewagter Traum, sich 2022 zum Staatspräsidenten wählen zu lassen, erfüllte sich nicht. Auch im Fußball waren für Berlusconi andere Zeiten angebrochen. 2018 erwarb er den Mailänder Vorort-Klub AC Monza, der im vergangenen Jahr schließlich in die erste italienische Liga aufstieg.
Berlusconis politisches Erbe bleibt. In Italien spielt seine Forza Italia bis heute eine tragende Rolle, auch wenn die Partei bei der Parlamentswahl 2022 nur noch acht Prozent der Stimmen erreichte. Die Berlusconi-Partei ist an der Regierung beteiligt. Nach dem Tod der Führungsfigur ist ein Zerfall der Partei wahrscheinlich. An diesem Mittwoch soll im Mailänder Dom die Begräbnisfeier stattfinden.