Die Angst der Muslime: Wenn vom Ehemann nur eine Handvoll Asche bleibt

Junaid und Nasir wollen nach einem Verwandtenbesuch zurück in ihr Dorf in Nordindien, als sie in die Fänge ihrer Mörder geraten. Die beiden Männer sind Muslime, bei den Tätern soll es sich um Hindu-Nationalisten einer militanten Bürgerwehr namens Bajrang Dal handeln.

Ihr Verdacht: Die Muslime transportieren Kühe zum Schlächter. Also jene Tiere, die vielen Hindus heilig sind. Dass sich die Anschuldigung als falsch herausstellt, rettet Junaid und Nasir nicht das Leben. In ihrem Fahrzeug werden sie bei lebendigem Leibe verbrannt.

Junaids erst 27 Jahre alte Witwe Sajida ist überzeugt: &bdquo;Definitiv wurden sie getötet, weil sie Muslime sind.“ Junaid sei groß und muskulös gewesen, erinnert sich Sajida, der die Tränen kommen, immer wieder stockt ihre Stimme. &bdquo;Jetzt habe ich nur noch eine Handvoll Asche von ihm.“ Ihr Ehemann ist am 14. Februar vergangenen Jahres ermordet worden, der Fall machte damals Schlagzeilen.

Familien leben in Angst Vor wenigen Tagen folgte dann der nächste Schicksalsschlag: Sajidas älteste Tochter stirbt im Alter von nur 13 Jahren nach langer Krankheit. Die, da ist sich die Mutter sicher, auch auf den Mord am Vater zurückzuführen ist. Vier Söhne im Alter zwischen sieben und zehn Jahren hat Sajida noch, außerdem eine zwei Jahre alte Tochter, die während des Gespräches an ihrer Mutter herumklettert. Die Familie lebt in Ghatmeeka im Bundesstaat Rajasthan in einem unverputzten Haus, zu dem eine staubige Piste führt.

Hinter der Ummauerung befindet sich ein Innenhof, in dessen überdachtem Teil sind Charpais aufgebaut – traditionell indische Bettgestelle, die aus einem Holzrahmen bestehen, der mit Seilen bespannt ist. Draußen dienen sie als Sitzgelegenheiten, in den beiden kargen Zimmern als Schlafstätten. Ein Ventilator kämpft gegen die Hitze an, schon vor 10 Uhr morgens hat das Thermometer die 40-Grad-Marke erreicht. Wenn die Kinder auf den Charpais herumturnen, erheben sich Schwärme schwarzer Fliegen.

Das Schicksal, in armseligen Verhältnissen zu leben, teilt die Familie mit vielen Indern. Sajida weiß allerdings nicht, wie es für sie und ihre Kinder überhaupt weitergehen soll. &bdquo;Ich habe große Angst“, sagt sie. Ihr Ehemann habe mit einem kleinen Gemischtwarenladen für das Einkommen gesorgt. Jetzt verkauft Sajida Milch von dem einen Büffel, der der Familie gehört, und lebt ansonsten von Spenden.

Größte religiöse Minderheit Muslime machen nach offiziellen Angaben rund 14,2 Prozent der gut 1,4 Milliarden Inder aus, mit rund 200 Millionen Menschen stellen sie die größte religiöse Minderheit. Nur in Indonesien und Pakistan leben mehr Anhänger des Islam als im bevölkerungsreichsten Land der Welt.

Muslime in Indien fühlen sich nicht nur immer weiter ausgegrenzt, sie sehen sich auch zunehmend Hetze und tödlicher Gewalt ausgesetzt. Viele von ihnen machen dafür die hindu-nationalistische BJP-Regierung von Premierminister Narendra Modi verantwortlich, der sich bei der derzeit in mehreren Phasen laufenden Parlamentswahl für eine dritte Amtszeit bestätigen lassen möchte.

Auch Sajida wirft Modi vor, Hindus gegen Muslime aufzuhetzen. &bdquo;Er tut das, um an der Macht zu bleiben“, meint sie. &bdquo;Ich glaube nicht, dass wir mit dieser Regierung Gerechtigkeit erfahren werden“, fügt sie mit Blick auf den Mord an ihrem Ehemann hinzu. Jeder in der Gegend habe Angst vor der Bajrang-Dal-Bürgerwehr, sagt Sajida.

Gewalt sei gerechtfertigt Die militante Organisation habe großen Einfluss und bedrohe den Cousin ihres verstorbenen Ehemannes, der die Tatverdächtigen angezeigt habe. &bdquo;Sie haben ihm gesagt, was wir ihm angetan haben, können wir auch dir antun, wenn du vor Gericht ziehst.“

Ghatmeeka liegt im Distrikt Bharatpur, dort ist die Parlamentswahl schon vorbei. Die Entscheidung ist Sajida leichtgefallen. Wie alle anderen Familienangehörigen auch habe sie für die oppositionelle Kongresspartei gestimmt. &bdquo;Wir würden niemals die BJP wählen.“ Die allermeisten Muslime denken wie sie – was allerdings nichts daran ändert, dass Modis Partei als Favoritin gilt, wenn am 4. Juni die Wahlergebnisse verkündet werden.

In der zwei Stunden Fahrt entfernten indischen Hauptstadt Neu-Delhi steht die Wahl erst an diesem Samstag an, und für Vishnu Gupta ist genauso klar wie für Sajida, wer dann seine Stimme bekommt. Gupta ist Gründer und Präsident der militanten Hindu-Organisation Hindu Sena (auf Deutsch: Hindu-Armee), er findet Gewalt bei Fragen der Religion gerechtfertigt.

Zum Schutz der Kühe wird alles getan &bdquo;Kühe sind wie Mütter“, sagt er in seinem Büro. &bdquo;Wenn jemand eine Kuh töten will, werden wir nicht tatenlos zuschauen. Wir werden die Person bekämpfen, die dabei sterben kann. Wir würden alles zum Schutz von Kühen unternehmen, ob legal oder illegal.“ In zahlreichen indischen Bundesstaaten ist das Töten von Kühen gesetzlich verboten – was sogenannte Kuh-Bürgerwehren immer wieder dazu ermutigt, zur Selbstjustiz zu greifen.

Gupta hält das für richtig. &bdquo;Wenn Gewalt notwendig ist, um die eigene Religion zu schützen, dann muss man sie auch anwenden“, sagt er. &bdquo;Religion ist das Wichtigste im Leben.“ Hunderttausende Freiwillige engagierten sich in zahlreichen Bundesstaaten für seine Organisation, sagt Gupta. Sie achteten etwa darauf, dass Muslime nicht gegen die sogenannten Liebes-Dschihad-Gesetze verstoßen, die in mehreren BJP-geführten Bundesstaaten erlassen wurden.

Bei diesen Gesetzen geht es darum, dass Eheschließungen mit dem Ziel, die Religion der Braut zu ändern, für nichtig erklärt und mit Haftstrafen für den Mann bestraft werden. Sie richten sich gegen muslimische Männer, die Hindu-Frauen heiraten, welche dann zum Islam konvertieren. Aus Sicht von Hindu-Nationalisten betreiben Muslime damit einen sogenannten Liebes-Dschihad, also einen Heiligen Krieg, um Hindus zu schwächen und ihre eigene Religion zu stärken. Diese umstrittenen Regelungen gehören zu einer ganzen Reihe von Gesetzen auf Bundesstaats- oder auf Bundesebene, die die BJP angestoßen hat und durch die sich Muslime diskriminiert fühlen.

Notfalls wird geprügelt Bei gemischt-religiösen Paaren würden seine Freiwilligen zunächst friedlich versuchen, den muslimischen Mann davon zu überzeugen, die Beziehung zur hinduistischen Frau aufzugeben, sagt Gupta. &bdquo;Wenn das nicht gelingt, dann bedrohen wir ihn. Danach verprügeln wir ihn.“ Der 39-Jährige hat selbst einen kleinen Sohn und eine junge Tochter, ein Foto der beiden lächelnden Kinder hängt an einer Wand in seinem Büro. Was passieren würde, sollte sich seine Tochter eines Tages in einen Muslim verlieben? &bdquo;Das wird nie geschehen“, sagt Gupta. &bdquo;Ich werde sie entsprechend erziehen.“

Gupta ist bekennender Fan von Donald Trump, dem er eine Rückkehr ins Weiße Haus nach der Präsidentenwahl in den USA im November wünscht. &bdquo;Er ist der einzige Präsident, der gesagt hat, er wolle den islamistischen Terror auf der Welt zerstören.“ Der Hindu-Sena-Chef bewundert außerdem Vinayak Godse, der den indischen Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi 1948 ermordete, weil dieser ihm nach der Teilung des Subkontinents zu versöhnlich gegenüber Muslimen erschien. &bdquo;Ich hätte genauso gehandelt“, sagt Gupta. &bdquo;Ich bin bereit, mein Leben für die Sache zu geben, und unsere Freiwilligen sind es ebenso.“

Er habe seine Organisation im Jahr 2011 gegründet, weil die BJP damals zu wenig Gewicht auf den Hindu-Nationalismus gelegt habe. Nachdem Modi 2014 an die Macht gekommen war, habe sich das geändert. &bdquo;Die BJP hat eine Menge unternommen, um Muslime in ihre Grenzen zu verweisen“, sagt Gupta. &bdquo;Vor Modi waren wir Hindus Bürger zweiter Klasse.“

Besitz von Muslimen wird zerstört Das ist in Anbetracht der indischen Geschichte eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. So schreibt etwa die Denkfabrik Council of Foreign Relations: &bdquo;Seit der Unabhängigkeit Indiens sind Muslime trotz des verfassungsmäßigen Schutzes häufig Diskriminierung, Vorurteilen und Gewalt ausgesetzt.“

Aasif Mujtaba ist Gründer und Direktor der Nichtregierungsorganisation Miles2Smile, die Opfern von antimuslimischer Gewalt hilft. In den zehn Jahren, die Modi an der Macht ist, seien Hassreden zur Normalität geworden, sagt er. Lynchmorde an Muslimen hätten zugenommen, die Täter würden meist nicht zur Verantwortung gezogen, was Hindu-Extremisten weiter ermutige.

&bdquo;Ein neuer Trend ist, dass Behörden selektiv Besitz von Muslimen zerstören. Auch die Staatsmaschinerie verfolgt jetzt Muslime.“ Häuser und Moscheen würden demoliert, Ernte auf Äckern vernichtet – unter dem Vorwand, dass Vorschriften nicht eingehalten worden seien oder Genehmigungen fehlten.

Aus Angst wird Hass Angrenzender Besitz von Hindus, für den die Vorwürfe dann eigentlich auch gelten müssten, blieben unversehrt, sagt Mujtaba. &bdquo;Es ist alles geplant. Uns Muslimen soll gezeigt werden, dass wir nicht dieselben Rechte wie Hindus haben.“ Das Gleiche gelte auch für die Christen, die mit rund 2,3 Prozent der Bevölkerung nach den Muslimen die zweitgrößte religiöse Minderheit in Indien ausmachen.

&bdquo;Die hinduistische Gesellschaft ist radikalisiert worden“, sagt Mujtabain seinem Büro in Neu-Delhi. &bdquo;Ursprünglich gab es Islamophobie, also Angst vor Muslimen. Daraus ist Hass gegen Muslime geworden.“ Modi dementiert offiziell, dass er im Wahlkampf antimuslimische Gefühle schürt. Jeder weiß aber, wer gemeint ist, wenn der Premierminister davon spricht, dass die oppositionelle Kongresspartei den Reichtum des Landes an &bdquo;Eindringlinge“ und an &bdquo;jene, die mehr Kinder haben“ verteilen würde.

Mujtaba sagt, durch das indische Kastensystem, das Menschen in Gruppen mit verschiedener Rangordnung einteilt, sei die hinduistische Wählerschaft in sich zersplittert. &bdquo;Das Einzige, was sie zusammenhält, ist der Hass auf Muslime. Die BJP kann nur an der Macht bleiben, wenn sie diese Karte spielt.“ Das Fundament dafür habe allerdings die Kongresspartei gelegt, die Indien über Jahrzehnte hinweg regiert hat. &bdquo;Keine Partei hat je etwas unternommen, um Muslime zu stärken. Muslime sind immer Bürger dritter Klasse gewesen.“

Kein muslimischer Minister in Modis Kabinett Dass die allermeisten Muslime für die Kongresspartei stimmen würden, habe nur einen Grund: &bdquo;Sie ist das geringere Übel“, sagt Mujtaba. &bdquo;Sollte Modi gewinnen, müssten Muslime mit einer neuen Reihe von Katastrophen rechnen.“

Politisch seien die Angehörigen der größten religiösen Minderheit kaum repräsentiert und hätten entsprechend wenig Macht. In Modis Kabinett sei kein einziger muslimischer Minister. Unabhängig vom Ausgang würden nach dieser Wahl so wenig Muslime wie nie seit der Unabhängigkeit Indiens 1947 im Parlament sitzen.

Was die Zukunft angeht, ist Mujtaba pessimistisch. &bdquo;Wir sitzen auf einer Völkermord-Zeitbombe“, glaubt er. &bdquo;Muslime sind überhaupt nicht sicher.“ Ziel der Hindu-Nationalisten sei ein Indien ohne Muslime. &bdquo;Aber Muslime haben den Willen, zu kämpfen.“

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