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Schuldenpaket im Bundestag: Dieses Verfahren ist aus vielen Gründen falsch

Markus Decker

SPD-Chef Lars Klingbeil und CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestag: Scheitert ihr Plan neuer Sondervermögen? - © Bernd von Jutrczenka/dpa
SPD-Chef Lars Klingbeil und CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestag: Scheitert ihr Plan neuer Sondervermögen? (© Bernd von Jutrczenka/dpa)

Die Sitzung des Bundestages am Donnerstag hatte etwas Geisterhaftes. Auf den Ministersesseln hatten lauter Minister Platz genommen, die bald keine Minister mehr sein werden. Ihnen gegenüber saßen jede Menge Parlamentarier, die ihr Mandat eigentlich verloren haben. Ja, es sprachen sogar Abgeordnete aus Parteien, die am 23. Februar an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert sind.

Der physische Eindruck unterstrich die Absurdität des Verfahrens zum gigantischen Schuldenpaket. Denn es ist aus nahezu allen erdenklichen Gründen falsch, dass der alte Bundestag eine Entscheidung treffen soll, die er lange vor der Bundestagswahl hätte treffen können und, im Sinne einer grundsätzlichen Reform der Schuldenbremse, treffen müssen. Die nun von der Union heiß umworbenen Grünen, die zu mehr Investitionen in Verteidigung bereit sind, haben keinen Grund, alles andere mit durchzuwinken.

Das hat nur am Rande mit der Vergangenheit zu tun und ist daher auch keine Retourkutsche. Der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck hat im Wahlkampf bei jeder Gelegenheit betont, dass die nächste Bundesregierung ohne eine Reform der Schuldenbremse nicht auskomme. Die Bedarfe sind ja seit langem offenkundig: bei der Verteidigung, der Wirtschaftsförderung, der Infrastruktur und dem Klimaschutz. Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz hat das schnöde ignoriert. Dass er heute anders redet, bedeutet nichts anderes als das Eingeständnis, monatelang die Unwahrheit gesagt zu haben mit einem Ziel: die Ampelkoalition zu stürzen. Dieser Fehler zieht einen weiteren nach sich.

Zweifel von Staatsrechtlern am Verfahren

Weitaus schwerer wiegt der prozedurale Einwand. Zwar sagen Staatsrechtler durch die Bank, der alte Bundestag sei voll handlungsfähig, bis sich der neue Bundestag konstituiert habe. Das ist nicht zu bestreiten. Nur haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes kaum an Entscheidungen dieser Größenordnung gedacht. Dass ein abgewähltes Parlament noch einen Beschluss fasst, der womöglich weitreichender ist als sämtliche Beschlüsse der folgenden vier Jahre und das neue Parlament in Teilen sogar entmachtet, kann nicht richtig sein. Es delegitimiert die Wahlentscheidung vom 23. Februar. Und mit der geringen Beratungszeit steigt die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht das Schuldenpaket kippt. Dafür würden auch die Grünen haftbar gemacht.

Das Paket trägt schließlich in der Sache nicht. Bisher können Union und SPD nicht garantieren, dass es nicht am Ende dazu benutzt wird, die Wahlversprechen beider Parteien zu finanzieren, statt das Geld tatsächlich in die Infrastruktur zu stecken. So sprach der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr jetzt davon, damit solle exakt jene „linke Wirtschaftspolitik“ bezahlt werden, die die Liberalen in der Ampel verhindert hätten. Vor der Wahl hätte Merz ihm da vermutlich applaudiert.

Die Grünen müssen nicht Ja sagen

Gewiss, Union und SPD haben am Donnerstag ein erweitertes Angebot unterbreitet. Sie wollen nicht allein zusätzliches Geld für die Bundeswehr bereitstellen, sondern auch für die Ukraine-Hilfen, den Zivilschutz und die Nachrichtendienste. Aus dem Sondervermögen sollen 50 Milliarden Euro an den Klima- und Transformationsfonds fließen. Trotzdem besteht kein Anlass, die Zusatzausgaben für Verteidigung und Infrastruktur so miteinander zu verbinden, wie die kommenden Koalitionäre es planen. Die Grünen könnten also Ja sagen. Aber sie müssen nicht.

Sie sollten jedenfalls nicht erwarten, dass Grünen-Verächter wie der CSU-Vorsitzende Markus Söder oder Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer dankbar reagieren würden. Sie würden einen Erfolg vielmehr wie selbstverständlich einstreichen – und dann erneut zum Angriff übergehen.

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