Eines macht die Union schon deutlich, bevor die von ihr geführte Bundesregierung überhaupt im Amt ist: dass auf Versprechen Deutschlands mit ihr kein Verlass ist. Rund 2.600 Afghaninnen und Afghanen mit einer Aufnahmezusage warten seit Monaten in Islamabad auf eine Weiterreise nach Deutschland. Die Union möchte diese Zusagen nach den Worten ihres Fraktionsgeschäftsführers Thorsten Frei unter einer künftigen schwarz-roten Bundesregierung möglichst einkassieren. Das ist rechtlich fragwürdig. Moralisch ist es verwerflich.
Auch die scheidende Bundesregierung hat sich bei dem Thema nicht mit Ruhm bekleckert. Tatsächlich zeigt der Umgang mit besonders gefährdeten Afghaninnen und Afghanen, wie opportunistisch Politik sein kann. „Wir werden unsere Verbündeten nicht zurücklassen“, versprach die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag. Markige Worte – denen kaum Taten folgten.
Als sich die Ampel nach dem Chaos-Abzug aus Afghanistan dem Vorwurf ausgesetzt sah, Ortskräfte im Stich gelassen zu haben, wurden großzügig Visa verteilt. Als kaum mehr jemand hinschaute, versuchte vor allem das SPD-geführte Bundesinnenministerium, die Zahl der Einreisen mit aller Macht zu drücken. Bereits vor dem Ampel-Aus wollte die Bundesregierung die Mittel für das von ihr selbst ins Leben gerufene Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen fast vollständig zusammenstreichen.
Union will an den Falschen ein Exempel statuieren
In einer medial und politisch aufgeheizten Debatte werden besonders Afghanen, die über das Bundesaufnahmeprogramm nach Deutschland kamen, pauschal als potenzielle Gefährder dargestellt. Bei ihnen handelt es sich um Menschenrechtsaktivisten und Frauenrechtler, um Journalisten und Anwälte – mithin um Menschen, die selbst vor Islamisten fliehen.
Sie alle haben an der deutschen Botschaft in Islamabad strenge Sicherheitsüberprüfungen durchlaufen. Ausgerechnet an ihnen will die Union nun ein Exempel statuieren – und sie einem ungewissen, aber sicherlich bedrohlichen Schicksal aussetzen.
Frei spricht mit Blick auf die Charterflüge für Afghaninnen und Afghanen von einem „großen Störgefühl“ – als ginge es da um eine lästige Beeinträchtigung und nicht um Menschenleben. Solche Worte lassen entweder tiefe Unkenntnis über die Realität von Fluchterfahrungen erkennen – oder bewusste Ignoranz.
Aufnahmezusagen sind juristisch bindend
Frei wird als möglicher künftiger Kanzleramtschef gehandelt. Er meint, die humanitäre Migration habe ein Maß erreicht, das „jede Integrationskraft der Gesellschaft“ übersteige. Dass er als Konsequenz ausgerechnet den Afghaninnen und Afghanen in Islamabad die bereits zugesagte Aufnahme verweigern will, ist angesichts der Zahlen kaum nachvollziehbar. Dort warten 2.600 Menschen – das entspricht gerade einmal etwas mehr als einem Prozent aller Asylanträge in Deutschland im vergangenen Jahr.
Juristisch gesehen sind die Aufnahmezusagen bindend – es handelt sich um Verwaltungsakte, die nicht ohne Weiteres aufgehoben werden dürfen. Frei hat angekündigt, ein neuer Bundesinnenminister werde „im Einzelnen“ prüfen, inwieweit die Verwaltungsakte zurückgenommen werden könnten. Womöglich spekuliert die Union darauf, dass die Betroffenen aus Pakistan oder Afghanistan weder die notwendigen Kenntnisse noch die finanziellen Mittel haben dürften, gegen mögliche Beschlüsse in Deutschland zu klagen.
Die Union richtet mit ihren Plänen großen Schaden an – auch, was die Reputation Deutschlands im Ausland angeht. Deutsche Soldaten, Diplomaten und Entwicklungshelfer sind im Einsatz in Krisengebieten auf lokale Mitarbeiter angewiesen. Wer von ihnen sollte künftig noch Vertrauen in die Zusammenarbeit setzen, wenn deutsche Versprechen beliebig widerrufen werden?