Als Verteidigungsminister Boris Pistorius vor zwei Jahren seine Absicht erklärte, in Litauen eine ständige Bundeswehr-Brigade errichten zu wollen, ahnte er wohl nicht, welche Folgen dieser Schritt haben würde. Fast zwei Jahre später ist klarer denn je: Der Staat im Baltikum könnte jener Ort sein, an dem deutsche Soldaten wieder aktiv in Kampfhandlungen mit russischen Truppen verwickelt werden. Die Lage ist ungeheuer ernst.
Da ist zunächst der gescheiterte Versuch der großen europäischen Staaten, US-Präsident Donald Trump in eine Front gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin einzubinden. Diesem Versuch diente die Reise, die Kanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Großbritanniens Premier Keir Starmer und Polens Ministerpräsident Donald Tusk jüngst in die ukrainische Hauptstadt Kiew antraten. Nun zeigt sich: Trump lässt sich nicht einbinden. Er lässt die Europäer wie befürchtet im Regen stehen – und wohl bald auch die Ukraine. Deren Schicksal hängt aller Voraussicht nach allein von den Europäern ab. Das dürfte Putins Entschlossenheit, den Krieg für sich zu entscheiden, nur steigern.
Hinzu kommt, dass diese Europäer mit einer nennenswerten Reduzierung amerikanischer Truppen auf ihrem Kontinent rechnen müssen. In Berlin heißt es zwar, dies werde erst nach dem Nato-Gipfel im Juni kommuniziert. Doch gilt die geplante Reduzierung längst als offenes Geheimnis. Auch hier werden die Europäer selbst die Lücken füllen müssen. Der Aufwand wird beträchtlich sein. Der Erfolg ist nicht garantiert.
In Litauen werden die Deutschen mit wehenden Fahnen begrüßt
Trumps zuverlässige Unzuverlässigkeit könnte Putin schließlich ermuntern, über die Ukraine hinauszugreifen und die Solidarität der Nato-Staaten zu testen. Das wiederum könnte just in jenem Land geschehen, das Kanzler Friedrich Merz und Pistorius am Donnerstag besuchten: in Litauen.
Die politischen Konsequenzen liegen auf der Hand. Und sie sind vor allem mentaler Natur. Die Deutschen müssen begreifen, dass Sicherheit mehr denn je ihre ureigenste Angelegenheit ist. Der Verteidigungsminister arbeitet seit einiger Zeit darauf hin, dieses Ziel zu erreichen. Er hat dafür die vielfach kritisierte Vokabel „kriegstüchtig“ ersonnen. Der Kanzler hat vor ein paar Tagen nachgelegt, als er versprach, die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee Europas machen zu wollen. Die Frage ist, ob die Mehrheit der Deutschen das hören will. Der Lackmustest wird jener neue Wehrdienst sein, der bald kommen soll und ein Pflichtelement enthalten wird für den Fall, dass sich nicht genügend Freiwillige finden.
Deutschland steht ein Sommer der Wahrheit bevor. In Litauen, das jahrzehntelang unter russischer Herrschaft stand, kennen sie die Wahrheit schon. Dort begrüßen sie die Deutschen mit wehenden Fahnen.