Warum Deutschlands oberster Soldat für eine Musterung aller jungen Männer ist

Herr General Breuer, Ihr Chef, Verteidigungsminister Boris Pistorius, glaubt, dass man beim neuen Wehrdienst mit dem Prinzip der Freiwilligkeit zum Erfolg kommen kann. Glauben Sie das auch?

Carsten Breuer: Ja. Ich gehe davon aus, dass wir mit dem Prinzip der Freiwilligkeit zum Erfolg kommen werden. Dabei kommt es vor allem darauf an, dass wir einen Wehrdienst haben, der sinnstiftend und attraktiv ist. Jedem Wehrdienstleistenden soll die Sinnhaftigkeit seines Dienstes bewusst sein. Die jungen Männer und Frauen sollen aus ihrer Ausbildung positive Erfahrungen mit ihrer Zeit bei der Bundeswehr verbinden. Die Ausbildung muss sinnvoll und fordernd sein. Daran müssen wir uns messen lassen. Und dann werden wir auch ein hohes Freiwilligenaufkommen haben. Deshalb modernisieren wir gerade die Ausbildung der Rekrutinnen und Rekruten. Wir werden den Umgang mit Drohnen ebenso ausbilden, wie wir Einblicke in alle Teilstreitkräfte geben.

Union und SPD waren übereingekommen, über die Pflicht zur Musterung das Los entscheiden zu lassen. Wäre das machbar?

Aus militärischer Sicht ist es entscheidend, dass jeweils der gesamte Jahrgang gemustert wird. Nur so wissen wir, wer zur Verfügung steht und auf wen wir im Verteidigungsfall, den wir verhindern wollen, zugreifen könnten. Das verschafft uns die personellen Reserven und die Flexibilität, die wir brauchen. Wenn wir stattdessen erst dann, wenn es darauf ankommt, nachmustern müssten, würden wir Zeit verlieren, die wir in einer Krisensituation nicht haben.

Niemand kann heute mit Gewissheit sagen, wie die sicherheitspolitische Lage, die Bedrohungslage in den nächsten Jahren aussieht. Deshalb brauchen wir ein verlässliches Aufwuchspotenzial – also die Möglichkeit, unsere Truppen bei Bedarf schnell zu verstärken. Wer Wehrdienst geleistet hat, wird Teil der Reserve. Wir streben in den kommenden Jahren ein Potenzial von 200.000 Reservedienstleistenden an.

Von einem Losverfahren vor der Musterung halten Sie demnach nichts.

Wir sollten uns in unseren Handlungsmöglichkeiten nicht selbst einschränken.

Wie wäre es mit einem Losverfahren nach der Musterung?

Ein Losverfahren nach der Musterung soll, so verstehe ich die Diskussion, eine Möglichkeit sein, um Gerechtigkeit über einen gesamten Jahrgang herzustellen. Unabhängig davon, wer sich fit fühlt und Interesse zeigt. Ein Modell, wonach diejenigen zuerst einberufen werden, die besonders qualifiziert und motiviert sind, birgt für die militärische Ausbildung entscheidende Vorteile.

Und nach welchen Kriterien würde eingezogen, wenn das Prinzip der Freiwilligkeit nicht greifen sollte und ein Losverfahren ausscheidet?

Wir setzen in erster Linie auf Freiwilligkeit. Sollte die Zahl der Freiwilligen jedoch nicht ausreichen und eine verpflichtende Einberufung durch Kabinett und Bundestag beschlossen werden, würden wir diejenigen heranziehen, die besonders qualifiziert und motiviert sind. Dabei orientieren wir uns am jeweiligen Bedarf. Wenn wir zum Beispiel zu einem bestimmten Zeitpunkt besonders IT-Spezialisten benötigen, würden wir gezielt auf diese zugehen – und nicht nach dem Zufallsprinzip Personal heranziehen, welches dann mit viel mehr Aufwand ausgebildet werden müsste. Entscheidend bleibt am Ende der Faktor Zeit. Wir müssen bis Ende des Jahrzehnts nicht nur eine starke aktive Truppe, sondern ebenso eine starke Reserve haben – um verteidigungsbereit zu sein, um abschrecken zu können.

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Ja, wir müssen jedes Jahr neu prüfen, ob wir zusätzlich zu den freiwillig Wehrdienstleistenden noch verpflichtend einberufen müssen und dabei auch, welche Einstiegsqualifikationen dann besonders notwendig sind. Entscheidend ist, dass unsere Soldatinnen und Soldaten gut ausgebildet sind und über die Fähigkeiten verfügen, die sie im Gefecht bestehen lassen.

Sie brauchen also mehr Klasse als Masse.

Wir wollen die Nato-Fähigkeitsziele erfüllen. Dazu gehört neben der Qualität des Personals selbstverständlich auch ein deutlich größerer Umfang der Streitkräfte.

Viele Junge sagen jetzt: Wenn wir schon eine alternde Republik verteidigen sollen, dann möchten wir wenigstens gehört werden.

In Deutschland herrschte bis vor wenigen Jahren die Annahme, dass wir die Streitkräfte vernachlässigen könnten und keine Nachteile davontragen würden. Allmählich wird vielen in der Gesellschaft, gerade auch den Jüngeren, klar, dass diese Annahme falsch war. Daher sind die Diskussionen, die wir jetzt führen, sehr wichtig. Sie sind Teil des Meinungsbildungsprozesses. Es gibt sehr viele in der jüngeren Generation, die sich eine Ausbildung in der Truppe vorstellen können. Wir müssen immer wieder deutlich machen, worum es im Kern geht: Wir begegnen einer realen Bedrohung. Ohne einen neuen Wehrdienst können wir dies nicht erreichen. Verteidigungsfähigkeit und daraus resultierend glaubhafte Abschreckung sorgen für Frieden und eine sichere Zukunft – gerade auch für die junge Generation.

Der Vorsitzende der Linken, Jan van Aken, sagt: &bdquo;Wer Pech hat, muss in den Krieg, muss sterben.“

Es ist genau umgekehrt: Wer sich für den neuen Wehrdienst entscheidet, leistet einen Beitrag zum Erhalt des Friedens – und damit auch des Wohlstandes und der Freiheit. Auch das ist Abschreckung. Und die wird dann glaubwürdig, wenn wir sie auf eine breite gesellschaftliche Grundlage stellen können.

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