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Islamische Republik

Neue Protestwelle im Iran - Hintergründe und Ursachen

Inmitten einer schweren Wirtschaftskrise zieht es den vierten Tag in Folge Menschenmassen auf die Straßen im Iran. Die Proteste erinnern an den Beginn der landesweiten Aufstände von 2019 und 2022 – doch vieles ist noch unklar. Während die Sicherheitskräfte in die Metropolen einrücken, mehren sich Berichte über erste Festnahmen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den aktuellen Entwicklungen:

Warum gibt es jetzt neue Proteste?

Ausgelöst wurden die aktuellen Proteste durch einen plötzlichen Einbruch der Devisenkurse am vergangenen Sonntag. Spontan gingen vor allem Händler von Elektronikgeschäften in der Hauptstadt Teheran auf die Straße. Angesichts der heftigen Kursschwankungen konnten sie keine verlässlichen Preise für ihre Importware mehr nennen und wussten nicht, welche Verluste ihnen aus bereits verkauften Produkten drohen.

Inzwischen erfassen die Proteste auch andere Landesteile und Bevölkerungsschichten. Studierendenverbände, die bereits frühere Protestwellen mitgetragen hatten, riefen erneut zu Demonstrationen auf. Die Unzufriedenheit im Land wächst seit Jahren, befeuert durch fehlende Perspektiven, wirtschaftliche Not, Klimakrise, politische Repression und internationale Isolation.

Wie steht es um die wirtschaftliche Lage des Irans?

Die wirtschaftliche Lage im Iran bleibt prekär. Trotz umfangreicher Ölreserven steckt das Land mit seinen knapp 90 Millionen Einwohnern in einer schweren Krise – ohne erkennbare Perspektive auf Besserung. Scharfe internationale Sanktionen haben Teheran zunehmend in die Arme Russlands und Chinas getrieben. Rund 90 Prozent der Ölexporte fließen über Umwege in die Volksrepublik.

Allein im vergangenen Monat verlor die Landeswährung Rial fast 20 Prozent an Wert. Die Inflation liegt laut offiziellen Angaben zwischen 30 und 40 Prozent. Besonders die junge Generation fürchtet den sozialen Abstieg. Zugleich wächst die Kritik an der außenpolitischen Linie der Führung: Im Konflikt mit Israel fließt ein erheblicher Teil des Haushalts in militärische Ausgaben.

Was fordern die Demonstranten?

Die Demonstrierenden fordern neben einer Verbesserung ihrer Lebenslage einen tiefgreifenden politischen Wandel hin zu einem säkularen System und das Ende der islamischen Herrschaft. Ihr Ziel: ein moderner Iran – frei von religiösen Vorschriften und staatlicher Repression, in Frieden mit der Welt, einschließlich des langjährigen Erzfeindes Israel.

Die Frauenproteste im Herbst 2022 wurden gewaltsam niedergeschlagen. Doch seither widersetzen sich viele Frauen in den Großstädten demonstrativ den staatlichen Kleidungsvorschriften – ein sichtbares Zeichen kulturellen und gesellschaftlichen Wandels. Knapp fünf Jahrzehnte nach der Islamischen Revolution von 1979 haben sich zahlreiche Iranerinnen und Iraner vom religiösen Dogma abgewandt.

Wie könnte es jetzt weitergehen?

Ob sich die aktuellen Proteste erneut zu einem landesweiten Aufstand wie im Herbst 2022 ausweiten, bleibt ungewiss. In den vergangenen Jahrzehnten wurde der Iran immer wieder von massiven Protestwellen erschüttert – die Führung reagierte jedes Mal mit harter Repression. Nach den Demonstrationen unter dem Slogan «Frau, Leben, Freiheit» ließ die Justiz mehrere Männer hinrichten und Tausende Menschen festnehmen.

Dennoch waren die Proteste stets ein Belastungstest für das autoritäre System, das seit Jahren um seinen Machterhalt ringt. Nach dem zwölftägigen Krieg im Juni und dem anhaltenden Konflikt mit Israel steht die Führung erneut unter Druck. Die Revolutionsgarden, Irans Elitestreitmacht und wirtschaftlicher Machtfaktor mit Beteiligungen an Hotels, Fluggesellschaften und Rüstungsfirmen, haben dabei ein doppeltes Interesse am Status quo: politisch und ökonomisch.

Vor diesem Hintergrund überraschte Präsident Massud Peseschkian mit einem versöhnlichen Signal: Er habe den Innenminister beauftragt, mit Vertretern der Protestbewegung in den Dialog zu treten, teilte er in der Nacht zum Dienstag auf der Plattform X mit. Zudem setzte er den amtierenden, umstrittenen Zentralbankchef ab. An seine Stelle rückte ein Vertrauter Peseschkians, Abdolnasser Hemmati, der bereits früher das Amt innehatte. Ob er mit seinen Maßnahmen Gehör findet, ist unklar.

Welche Rolle spielt die Opposition?

Im Iran gibt es seit Jahren keine politische Kraft mehr, die von den Demonstranten als glaubwürdige Opposition anerkannt wird. Auch die sogenannten «Reformer», zu denen Präsident Peseschkian zählt, gelten unter Protestteilnehmern als Teil des islamischen Herrschaftssystems, die keine grundlegenden politischen Änderungen bewirken können.

Viele setzen daher ihre Hoffnungen auf Unterstützung aus dem Ausland. Bei den aktuellen Protesten ertönte auch der Slogan «Lang lebe der König» – ein Verweis auf Reza Pahlavi, den Sohn des 1979 gestürzten Schahs. Doch auch die Exilopposition bleibt zersplittert und zerstritten.

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