Nach mehreren Gewinnwarnungen, einer Aktienkurs-Talfahrt und einem Bafin-Verfahren kommt es beim Verpackungshersteller Gerresheimer zu einem Chefwechsel. Wie das Unternehmen in Düsseldorf mitteilte, legt der langjährige Vorstandsvorsitzende Dietmar Siemssen (62) zum Monatsende sein Amt «im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat» nieder. Begründet wurde der Schritt nicht. Sein Nachfolger wird zum 1. November interimsweise der 63 Jahre alte Uwe Röhrhoff, der bereits von 2010 bis 2017 Gerresheimer-Chef war und danach als Berater und Aufsichtsrat für verschiedene Firmen gearbeitet hat.
Siemssen sitzt seit sieben Jahren im Chefsessel - Röhrhoff ist sein Vor-Vorgänger. Seit Siemssens Amtsantritt hat Gerresheimer den Jahresumsatz um etwa die Hälfte auf gut zwei Milliarden Euro nach oben schrauben können. Zuletzt schwächelte die Nachfrage aber, das Unternehmen musste seine Prognose binnen eines Jahres mehrfach nach unten korrigieren.
Für negative Schlagzeilen sorgte zudem ein im September eingeleitetes Verfahren der Finanzaufsicht Bafin, die problematische Buchungen im Konzernabschluss für 2024 unter die Lupe nahm. Gerresheimer wies die Vorwürfe zunächst zurück, vollzog hierbei am Wochenende aber eine Kehrtwende: Das Unternehmen gab eine Untersuchung einer Anwaltskanzlei ergeben habe, dass ein Drei-Millionen-Umsatz wahrscheinlich nicht schon für 2024, sondern erst für 2025 hätte verbucht werden dürfen.
Bill-and-Hold-Geschäfte
Es geht um sogenannte «Bill-and-Hold»-Geschäfte, bei denen Ware zwar schon in Rechnung gestellt, aber noch nicht ausgeliefert wird - so etwas ist nicht unüblich und geschieht, etwa weil der Kunde die Ware aus logistischen Gründen noch gar nicht haben möchte. Es gelten strenge Vorschriften, wann solche Geschäfte als Umsatz verbucht werden dürfen. Es soll nicht geschehen, dass eine Firma ihre Jahreszahlen mit vorgezogenen Buchungen aufbläht und sich dadurch in besserer Verfassung zeigt, als sie es tatsächlich ist.
Nun prüft die Kanzlei weitere Geschäfte über insgesamt 25 Millionen Euro. Nach der Bekanntgabe des Prüfverfahrens der Bonner Finanzkontrolleure sackte der ohnehin schon auf Talfahrt befindliche Gerresheimer-Aktienkurs weiter ab. Binnen eines Jahres hat eine Gerresheimer-Aktie etwa zwei Drittel ihres Wertes verloren. Das Unternehmen möchte weiterhin mit der Bafin vollumfänglich kooperieren, «um eine vollständige und transparente Klärung zu erreichen».
Früher Bierflaschen, heute Medizinverpackungen
Der einstige Bierflaschen-Hersteller mit einer längst geschlossenen Glashütte im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim hat sich auf Medizinprodukte spezialisiert. Die Verpackungen aus Glas und Kunststoff werden für Hustensäfte, Augentropfen, Nasensprays, Asthmainhalatoren, Impfstoffe, Kosmetika sowie als Insulin-Pens benutzt. Große Werke sind in Bünde in Ostwestfalen und in Pfreimd in der Oberpfalz. Der Verwaltungssitz ist am Düsseldorfer Flughafen, insgesamt hat Gerresheimer 13.600 Mitarbeitende.