Nach eineinhalb Jahren hat der Landtags-Untersuchungsausschuss zur NRW-Justizaffäre seinen mehr als 400 Seiten starken Abschlussbericht vorgelegt. Sondervoten zeigen: Die Bewertungen klaffen je nach politischem Lager weit auseinander. Die NRW-Justizaffäre war aus der umstrittenen Besetzung der Spitze des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts in Münster entstanden.
Der Ausschuss habe zentrale Umstände aufgeklärt, betont sein Vorsitzender Klaus Voussem (CDU). Eine fehlerhafte Beurteilung des NRW-Innenministeriums habe maßgeblichen Einfluss auf die Auswahlentscheidung gehabt, die dann korrigiert worden sei.
Eine gezielte politische Steuerung oder rechtswidrige Einflussnahme auf das Auswahlverfahren habe der Ausschuss dabei nicht festgestellt. Das Verfahren sei allerdings nicht transparent genug dokumentiert worden.
«Verschwörung» oder nur «fehlerhafte Beurteilung»?
Die Opposition von SPD und FDP sieht das ganz anders. Sie sieht sogar eine «von langer Hand geplante Verschwörung am Werk», mit der der beste Bewerber ausgestochen worden sei.
Eine Duz-Bekannte von NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) hatte sich während eines Abendessens mit dem Minister bei einem Italiener in Bonn nach der Präsidentenstelle erkundigt. Sie war damals Abteilungsleiterin im NRW-Innenministerium und hatte der Justiz vor vielen Jahren den Rücken gekehrt.
Trotz Ablauf der Bewerbungsfrist hatte sie sich danach noch beworben, war - nach mehrfacher Überarbeitung der Besetzungsempfehlung und Änderung der Kriterien im Justizministerium - an den übrigen Bewerbern vorbeigezogen und hatte schließlich den Zuschlag des Kabinetts erhalten.
Einer der unterlegenen Bewerber, Bundesrichter Carsten Günther, klagte gegen die Entscheidung. Er berichtete eidesstattlich von fragwürdigen Gesprächen. So sei er von mehreren Seiten zur Rücknahme seiner Bewerbung aufgefordert worden. Die Grünen wollten eine Frau auf der Stelle, habe es geheißen.
«Ämterpatronage und Günstlingswirtschaft»
Günther erhob schwere Vorwürfe: Die Auswahlentscheidung sei rechtswidrig und von Ämterpatronage und Günstlingswirtschaft geprägt, obwohl das Grundgesetz eine Bestenauswahl vorsieht. Er klagte sich durch die Instanzen: Deutliche Kritik der Verwaltungsrichter in erster Instanz an einer «manipulativen Verfahrensgestaltung» schienen die Vorwürfe der Vetternwirtschaft und der politischen Einflussnahme zu bestätigen.
Dann hob das OVG die Entscheidung auf - es sah keine wesentlichen Fehler. Doch das Bundesverfassungsgericht hob wiederum die Entscheidung des OVG teilweise auf. Die Richter in Karlsruhe sahen Anhaltspunkte für eine «Vorfestlegung» und rügten, dass denen nicht ausreichend nachgegangen worden sei.
Im Untersuchungsausschuss sorgte dann der von der Opposition beauftragte Gutachter Jürgen Lorse für einen Paukenschlag: Die siegreiche Kandidatin hatte von Innen-Staatssekretärin Daniela Lesmeister ausschließlich Bestnoten erhalten, obwohl diese erst zwei Monate ihre Vorgesetzte war. Der langjährige Vorgesetzte war nicht gefragt worden. Dies sei so nicht zulässig und rechtswidrig.
NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) stoppte daraufhin das Verfahren. Der Kabinettsbeschluss wurde aufgehoben. Die Bewerberin aus dem Innenministerium zog schließlich ihre Kandidatur zurück und trat eine Stelle in einem Bundesministerium an. Inzwischen ist Günther Präsident des Oberverwaltungsgerichts.
Ergebnis des Untersuchungsausschusses
Die Oppositionsfraktionen SPD und FDP stellten ein mehr als 70-seitiges Sondervotum für den Schlussbericht vor. Der Untersuchungsausschuss habe zum ersten Mal in der Landesgeschichte zur Aufhebung eines «offenkundig rechtswidrigen Kabinettsbeschlusses» geführt. Das Sondervotum liest sich wie eine detaillierte Bestätigung der Vorwürfe Günthers.
Bei der Frage nach den Konsequenzen verweist die Ausschussmehrheit aus CDU und Grünen auf die Empfehlungen der beiden Gutachter Ulrich Battis und Markus Ogorek. Battis regt einheitliche ressortübergreifende Beurteilungsstandards für die gesamte Landesverwaltung an.
Auch wenn der Untersuchungsausschuss sich auf keinen gemeinsamen Nenner einigen konnte, hatte er dennoch erhebliche Wirkung, wie Werner Pfeil, FDP-Obmann, festhielt: «Mit allen Irrungen und Wirrungen, die dieser Fall hat, hat letztlich doch der Beste gewonnen.»
Unversöhnliche Debatte
Unversöhnlich verlief die Landtagsdebatte zum Abschlussbericht: Gregor Golland (CDU) sagte, die Vorwürfe der Opposition seien unbelegt geblieben. Die Opposition habe lediglich Steuergeld verschwendet und Verschwörungstheorien geschaffen.
Für die FDP entgegnete Werner Pfeil: «Die permanente Leugnung von Herrn Golland lässt einen sprachlos zurück. Der Ausschuss hat einen Polit-Thriller aufgedeckt und der Kronzeuge kommt von der CDU. Es gab eine Absprache. Wer das leugnet, verkennt die Realität.» Nadja Lüders (SPD) sagte, der Untersuchungsausschuss habe eines erreicht: «Die Würde der Justiz ist wiederhergestellt.»