„Eine neue Blockbildung wäre schmerzhaft“

Herr Grefe, wir erleben eine Reihe globaler Krisen, die mit Protektionismus und teils auch mit Nationalismus einhergehen. Was bedeutet das für Deutschland und unsere Wirtschaft?

HARALD GREFE: Der Welthandel hat auch in Ostwestfalen für deutlichen Wohlstandsgewinn gesorgt, tritt seit mehr als zehn Jahren aber auf der Stelle. Die Globalisierung stockt, immer mehr Staaten schotten sich ab. Aus unserer Sicht ist das besorgniserregend – Protektionismus trifft uns als Exportnation besonders. Das gilt auch für die ostwestfälische Wirtschaft. Eine Studie hatte ja gezeigt, dass in Ostwestfalen 316.000 der 930.000 Arbeitsplätze direkt und indirekt vom Export abhängen, also fast ein Drittel aller Jobs in allen Branchen.

Befürchtet wird eine neue Zweiteilung der Welt: Hier der Westen, auf der anderen Seite Chinesen und Russen. Wie weit ist dieses Decoupling schon?

Dieser Prozess hat einen Schub bekommen durch den russischen Überfall auf die Ukraine. Vorher war die Zweiteilung vor allem in dem geopolitischen Konflikt zwischen den USA unter Führung von Ex-Präsident Donald Trump und China zu erkennen. Mit diesem Konflikt haben wir umzugehen gelernt, er war auch erwartbar, weil die Chinesen in vielen Bereichen am Führungsanspruch der Amerikaner kratzen. Die Chinesen sind wirtschaftlich sehr erfolgreich, es geht darum, wer die Nummer eins in der Welt ist. Aber klar ist auch, dass wir viele Probleme dieser Welt nur gemeinsam lösen können. Etwa die Bewältigung der Klimakrise, die Abkehr von fossilen Energieträgern oder die Bekämpfung von Viren bedingen internationale Zusammenarbeit.

Ist der Streit um Menschenrechte im Konflikt zwischen China und den USA vorgeschoben?

Nein, die Menschenrechtsverletzungen und das Autokratische des chinesischen Systems sind zuletzt deutlicher geworden. Dass Präsident Xi sich auf Lebenszeit zum Präsidenten küren ließ, war zuvor lange undenkbar, auch China hatte Checks und Balances. China ist ein riesiger Absatzmarkt, doch mit Tendenzen zum Überwachungsstaat. Wir sollten aber nicht von einem Reich des Bösen sprechen, ebenso wenig wie in Russland. Man muss unterscheiden zwischen Staatsführung und Bevölkerung.

Es gab schon einmal eine Zweiteilung der Welt in Ost und West im Kalten Krieg. Deutschland wurde damals Exportweltmeister. Gibt es heute Unterschiede?

Die politisch hervorgerufene Blockbildung ist erst mit der deutschen Wiedervereinigung aufgelöst worden. Die Welt hat sich danach stärker globalisiert. Die Armutsquote ist weltweit von mehr als 30 auf 12 Prozent gesunken, die Globalisierung hat die Verhältnisse in China und vielen Ländern der dritten Welt stark verbessert. Die Welt ist heute vernetzter. Deutschland zum Beispiel ist ein rohstoffarmes Land, auch wir profitieren stark vom internationalen Warenaustausch. Die Abkopplung von China, über die manche Regierungspolitiker nach meinem Geschmack zu offensiv sprechen, ist eine Illusion. Wir werden die Abhängigkeit sicher reduzieren können. Aber die Reduzierung hat Grenzen. Und sie hat ihren Preis. Wenn wir nur noch mit Freunden Handel treiben wollen, die unsere Werte teilen, wird es schwierig – selbst in Europa gibt es unterschiedliche Werte.

"Risiko, dass Teil deutscher Wertschöpfung in USA verlagert wird" Bringt uns eine neue Blockbildung in eine schwierige Lage?

Wenn wir jetzt eine neue Blockbildung bekämen, wäre das für uns nicht komfortabel. Es würde zu Wohlstandsverlusten führen. Das klingt harmlos und abstrakt, aber es wäre sehr schmerzhaft. Wir spüren durch die Inflation jetzt schon Wohlstandsverluste: Dadurch wird Verzicht nötig, und am Ende verlieren wir auch Arbeitsplätze. Bisher mussten wir uns zwischen Ost und West, zwischen China und den USA, nicht knallhart entscheiden. Und das ist gut so. Wir sind nämlich viel zu stark mit Asien verbunden, um leichthin sagen zu können, wir verzichten auf Asien.

Sie haben Differenzen auch innerhalb der EU angedeutet, mit rechts orientierten Regierungen in Ungarn und Polen und jetzt auch in Italien. Sind die Interessen am gemeinsamen Handel stark genug, um diese Differenzen zu überbrücken?

Seit dem Überfall der Russen auf die Ukraine zeigt der Westen sich sehr geschlossen. Die Gemeinsamkeiten sind spürbarer geworden. Nach dem Brexit musste man Sorgen haben, dass die EU auseinanderbricht. Die Gefahr ist erst einmal gebannt, auch, weil der Brexit den Briten gezeigt hat, dass man einen hohen Preis zahlen muss, wenn man aus der Europäischen Union austritt. Zumal die Briten viel mehr von einer guten Verbindung zur EU abhängig sind. Die Achse Deutschland-Frankreich ist etwas angeschlagen - da kann man nur hoffen, dass die Verbindung wieder stärker wird.

Es herrscht Skepsis, ob Deutschland mit Erneuerbaren Energien seine Wirtschaftsleistung aufrechterhalten kann. Droht uns wirtschaftlicher Niedergang ohne billiges Gas und Atomkraft?

Energie ist das Grundnahrungsmittel für die Industrie. Wenn das teuer wird, muss man befürchten, dass der Standort Deutschland wirtschaftlich ins Hintertreffen gerät. Der Strom in Deutschland ist fünfmal so teuer wie in den USA und dreimal so teuer wie in Frankreich. Das führt irgendwann zu Konsequenzen. Die Amerikaner zum Beispiel machen eine starke Ansiedlungsförderung, auch die deutsche Industrie ist eingeladen, mehr in den USA zu investieren. Das wird auch passieren, nicht zuletzt, weil sich Amerika zum größten Absatzmarkt für deutsche Firmen entwickelt hat. Das Risiko ist gestiegen, dass ein Teil der deutschen Wertschöpfung in die USA verlagert wird. Da geht es nicht um eine plötzliche vollständige Abwanderung, aber in den Chefetagen wird jetzt über die Investitionen und die Aufstellung für die Zukunft nachgedacht. Jenseits der Energiekosten bin ich aber überzeugt, dass der Standort Deutschland und gerade auch Ostwestfalen gestärkt aus den Krisen hervorgehen werden.

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