Sternekoch Tim Raue im Gespräch: „Heute sind die Rebellen Veganer“

Die Karriere von Sternekoch Tim Raue war nicht vorgezeichnet. Ein Gespräch mit ihm über den Wert und Qualität von Essen und wie man sichdurchboxt.

Was kostet ein gutes Schnitzel?

Ich habe erst vor ein paar Tagen das beste Schnitzel meines Lebens gegessen. Das Fleisch innen saftig und zart. Für die Panade ein sehr ausgesuchtes Brotmehl, und jedes Schnitzel einzeln in einer Sauteuse,..

einem pfannenartiger Topf

... mit Öl und dann einem Löffel Butter gemacht. Dazu ein perfekter Kartoffelsalat mit einem Hauch Kürbisöl und einen rahmigen Gurkensalat. Das kostet rund 36 Euro.

Und wenn die Mehrwertsteuer angehoben wird, kommt das noch oben drauf?

Welcher Ökonom kann sich leisten eine Steuererhöhung nicht 1:1 weiterzugeben?

Aber dann bleiben womöglich Gäste weg, werden Restaurants schließen müssen.

Ich bin Tim Raue, ich spreche über mich. Ich spreche generell nicht über andere - und wenn, dann nur gut. Das ist etwas, was mir meine Großmutter beigebracht hat. Aber Essen kostet, es hat einen Wert.

Sie reisen rund um den Globus, auf der Suche nach authentischen Gerichten. Aber was wäre denn in Deutschland authentisch?

Ich bin mit der asiatischen Küche bekannt geworden. Und dann bin ich immer wieder gefragt worden: Wenn ich bei Dir zu essen komme, was gibt es dann? Da ist mir klar geworden, dass ich auch Gerichte nationaler Identität anbieten muss und kann. Für mich ist das eine Kindheitserinnerung par excellence: der Garnelencocktail aus dem KaDeWe, dem Kaufhaus des Westens. Da hatte ich zum ersten Mal alles in einer Schale vereint, Süße, Säure, Schärfe, Kühle, Texturen, Aromen. Das hat mich unfassbar begeistert. Aber natürlich gehören auch die Königsberger Klopse meiner Großmutter dazu, ich mache sie am besten vom Kalb.

Gibt es so etwas wie eine deutsche Esskultur?

Natürlich! Nur haben wir aufgrund des Zweiten Weltkrieges ein Problem mit nationaler Identität und darum auch kein gesundes Verhältnis dazu. Das bedeutet, dass wir in der Kochausbildung zum Beispiel alles auf Französisch lernen und relativ wenig über unsere eigenen Wurzeln. Darum tun wir uns auch schwer, eine Schweinshaxe mit Sauerkraut auf eine moderne, zeitgemäße Art zu interpretieren. Anders als in Frankreich sind wir nicht stolz auf unsere Produkte.

Was würde Stolz ändern?

Unsere französischen Nachbarn würden auch nie auf die Idee kommen, irgendeine Butter zu nehmen, wenn sie die Qualität aus der Bretagne haben können. Da haben wir in Deutschland ein Nachholbedürfnis. Wir brauchen ein besseres Bewusstsein für gute Ernährung. Aber die junge Generation ist der 15 Meter langen Wurstregale im Supermarkt ja bereits überdrüssig.

Vegan ist besser?

Sich vegan zu ernähren, das ist natürlich ein Teil Rebellion. In meiner Jugend wollten die Rebellen Punker sein, heute sind die Rebellen Veganer. Sie haben einen anderen Bezug zu dieser Erde, essen weniger Fleisch, um das Klima nicht zu belasten, Tiere zu schonen. Da können wir Älteren durchaus lernen.

Fleischlose Gerichte sollten auf jede Speisekarte?

Ich habe vier Restaurants auf Kreuzfahrtschiffen. Früher haben vielleicht 4 Gäste pro Jahr nach Vegetarischem gefragt, heute essen sieben Prozent unserer Gäste dort vegetarisch oder vegan. Wer heute noch darauf verzichtet, vegane Gerichte anzubieten, der lädt viele aus, also muss man sich fragen: Möchte ich diese Gäste oder nicht?

Gibt es weniger und mehr beliebte Gäste?

Ich versuche meinen Gästen immer mitzugeben: Wenn du eine Unverträglichkeit oder eine Allergie hast, dann sei so nett, und äußere sie im Vorfeld, weil dann die Küche auf dich Rücksicht nehmen kann. Das ist wie bei einer Einladung zu Hause. Wenn alle schon da sitzen, du alles gekocht hast, du dich auf den Abend freust und der Erste sagt: &bdquo;Ich kann keine Haselnüsse essen", der Zweite: &bdquo;Ich keinen Koriander", und der Dritte hat eine Glutenunverträglichkeit, dann kommst du ins Schwimmen.Das ist blöd.

Dann wird der Ton in der Küche rau?

Gastronomie ist ein Job, in dem du meistens zu viel Arbeit in zu kurzer Zeit zu verrichten hast - mit zu wenig Mitarbeitern. Warum gibt es diese Reservierungszeiten um 18 Uhr, 18.15 Uhr oder 18.30 Uhr? Das ist keine Spaßnummer und keine Zurechtweisung, sondern man möchte alle 15 Minuten zum Beispiel zehn Gäste haben. Kommen die einen eine Viertelstunde früher oder später, werden aus zehn gleich 20 Gäste und aus zehn Bestellungen 20. Und dann gibt es in der Küche dieses Gefühl, in der Scheiße zu sein - und das ist man dann mit beiden Füßen.

Hört sich nicht gut an.

Dann entsteht Stress. Und in diesem Stress ist es dann wie auf dem Fußballplatz auch, da sagst du dann nicht Hallihallo, du hast mir hier auf den Fuß getreten, und das finde ich aber nicht gut. Sondern du sagt: Du Arschloch, wenn du das nochmal machst, dann sense ich dich um! Dann wird es klar und eindeutig. Das ist so. Solange da keiner beleidigt wird, ist das ein Umgang mit Stress, der wichtig ist, weil der auch raus muss. Sonst trägt man ihn mit nach Hause. Und dann ertränkt man ihnvielleicht mit einer Flasche Wein.

Finden Sie dafür noch Leute?

Wir können heute nicht mehr aus dem Fundus schöpfen wie vor fünf oder zehn Jahren. Da hatten wir so viele Bewerber, dass wir uns entscheiden konnten, wen wir nehmen. Ich glaube, es ist entscheidend, ein authentischer, ehrlicher Arbeitgeber zu sein. Ich bin auch kein Freund von zu viel Streicheleinheiten.

Ihre Idee von Arbeit?

Ich bin kein Anhänger der 4-Tage-Woche. Ich sehe auch keinen Sinn darin, nur sechs Stunden am Tag zu arbeiten. Wir sagen beim Probearbeiten ganz ehrlich, welches Investment, welches Engagement wir uns von den Mitarbeitern erwarten, damit sie Teil des Ganzen werden. Sie können sich bei uns weiter entwickeln. Das funktioniert bisher gut.

Wer Erfolg haben will, muss fleißig sein?

Man muss gar nichts. Ich bin dankbar, dass ich arbeiten darf. Ich arbeite sechs Tage die Woche von sehr früh morgens bis sehr spät abends. Ich komme aus blanker Armut. Am liebsten wäre ich Architekt oder Innendesigner geworden. Aber leider habe ich das Schulsystem in Deutschland nicht verstanden. Mir wurde gesagt, ich könne als Maler und Lackierer, als Landschaftsgärtner oder als Koch anfangen.

Koch war nur eine Notlösung?

Als Kind hatte ich immer Hunger. Wenn du in der Küche stehst, hast du zumindest was zu futtern, dachte ich. Und mit der Wucht, die ich auf der Straße gelernt habe, wo Fleiß mehr als Talent galt, habe ich mich dann durchgesetzt. Ich konnte zwei Schichten am Tag runterackern, während die anderen bei acht oder neun Stunden fertig waren. Und dann habe ich an mir weiter gearbeitet, bis ich besser kochen konnte. Klar habe ich heute auch Momente, wo das für mich Stress ist. Mir mehr Zeit zu nehmen, und herunterzukommen, daran arbeite ich immer noch. Aber Sie werden von mir kein Jammern hören, Jammern finde ich das Letzte, das bringt niemanden weiter. ?Für mich gehört zum Leben dazu

sich durchzuboxen?

Nie aufgeben, immer reflektieren, sich Fehler einzugestehen, ja. Das ist keine typische deutsche Sache. Auf die Fresse fallen und besser informiert aufzustehen, macht mir aber wirklich Freude.

Sie haben irgendwann sogar Sterneküche für den Hund gemacht – sind Sie dafür belächelt worden?

Nicht nur belächelt, da haben sich Kollegen lustig gemacht. Das ist mir aber egal. Wichtig ist mir heute etwas anderes. Erst vor zwei Jahren habe ich meine Ausbildereignungsprüfung gemacht. Übrigens das einzige, dass ich jemals in meinem Leben mit einer glatten Eins abgeschlossen habe. In dem Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, hat 8 Uhr nichts gegolten, da bist du gekommen, wann du wolltest. Also nie zu früh, eher anderthalb Stunden zu spät. Und das geht im Ausbildungsbetrieb überhaupt nicht. Ich möchte nachfolgende Generationen prägen, ihnen eine sehr, sehr gute Ausbildung geben.

Sie haben den Verein KPC, kurz für Kiez, Perspektiven und Chancen.

Damit engagiere ich mich in meinem Berliner Kiez, in Kreuzberg. Wir wollen dort Schülerinnen und Schülern aus der 9. und 10. Klasse die Möglichkeit geben zu lernen, wie sie sich bewerben, also jemanden in die Augen zu gucken, die Hand zu geben, einfache gesellschaftliche Normen. Die Hose ist hoch und hängt nicht auf halb acht.

Kochen Sie eigentlich noch für sich selbst?

Nein, schon seit Jahrzehnten nicht mehr, aber ich habe im Kühlschrank immer eine Packung Speiseeis. Ich liebe Speiseeis.

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