Düsseldorf/Hannover. Wegen Lücken in der Unterrichtsversorgung an Grundschulen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen lassen sich die Landesregierungen immer neue Notlösungen einfallen, um den Personalmangel auszugleichen.
In Niedersachsen beginnen einige Gymnasiallehrer aufgrund von Abordnungen das neue Schuljahr an Grundschulen. Auch in NRW arbeiten die Bezirksregierungen mit Zwangsversetzungen. Zudem kommen immer mehr Quereinsteiger zum Einsatz und ein Erlass der abgewählten rot-grünen Landesregierung ermöglicht Gymnasiallehrern Bewerbungen für Stellen an Grundschulen. Die Gewerkschaften befürchten, dass sich die Notlösungen zu Dauerlösungen entwickeln, und fordern eine Ausweitung der Studienkapazitäten, um die Ursache des Lehrermangels zu beheben.
Trotz Lehrermangels an vielen Schulen in Niedersachsen sind zum heutigen Beginn des Schuljahres bei der Agentur für Arbeit noch 1.700 Pädagogen als arbeitssuchend oder arbeitslos gemeldet. Das niedersächsische Kultusministerium geht davon aus, dass das damit zu tun habe, dass einige Lehrer sich bewusst nicht bewerben, etwa um auf eine später freiwerdende Stelle an ihrer Wunschschule zu warten, erklärt Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD).
Wenige Tage vor dem heutigen Beginn des neuen Schuljahres in Niedersachsen haben Gymnasiallehrer per E-Mail von ihrer befristeten Versetzung erfahren, erklärt der Landesvorsitzende des Philologenverbandes, Horst Audritz. Ein Sprecher des Kultusministeriums bestätigt die Abordnungen: „Eine auskömmliche Unterrichtsversorgung und die Sicherung des Pflichtunterrichts haben für die Landesregierung höchste Priorität." Die Grundschule habe hierbei Vorrang, weil es einen Anspruch auf eine verlässliche Betreuung bis 13 Uhr gebe.
Auch in NRW in den Regierungsbezirken Münster, Düsseldorf und Köln wurden in diesem Jahr Gymnasiallehrer an Grundschulen zwangsversetzt. In OWL war das bislang nach Angaben der Bezirksregierung Detmold nicht der Fall. Die Personalausstattungsquote an Grundschulen im Bezirk liegt laut Sprecher Andreas Moseke bei 105 Prozent. Ausstattungsquoten von über 100 Prozent auf dem Papier belegen jedoch nicht, dass Schulen ausreichend mit Lehrkräften versorgt sind, heißt es vom Verband Bildung und Erziehung (VBE). „Schulen sind trotz dieser Werte häufig unterbesetzt, zum Beispiel aufgrund von Ausfällen", erklärt VBE-Vorsitzender Udo Beckamnn.
Zwangsversetzungen bewerten der VBE und auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) als problematisch. „Abordnungen sorgen bei allen Beteiligten für viel Stress und Unruhe", sagt Beckmann. „Zwangsversetzungen sollten das letzte Mittel der Wahl sein, um Notsituationen zu überbrücken, weil diese Maßnahmen das Problem des Personalmangels nicht lösen, sondern nur von Schule zu Schule verschoben werden", erklärt die stellvertretende Vorsitzende der GEW in NRW, Maike Finnern.
„Auch der Erlass der abgewählten Landesregierung, der Bewerbungen von Gymnasiallehrern an Grundschulen ermöglicht, wird das Problem Lehrermangel nicht lösen." Finnern moniert zudem, dass Gymnasiallehrer nicht für die Pädagogik in der Grundschule ausgebildet wurden. „Das gilt auch für Quereinsteiger, die in NRW bereits nach dreitägiger Schulung vor einer Klasse stehen und dann berufsbegleitend ausgebildet werden. Das ersetzt jedoch weder Studium noch Referendariat", ergänzt Beckmann.
Deshalb fordern der VBE und die GEW ein Maßnahmenbündel, das das Problem des strukturell bedingten Personalmangels löst. „Die Studienkapazitäten müssen erhöht werden und alle Länder sollten für die Schulform Grundschule ausbilden", fordert Beckmann. „Zudem sollte die Bezahlung von Grundschullehrern angepasst werden und mehr für den Lehrberuf, insbesondere der Grundschullehrer, geworben werden", ergänzt Finnern.
Das NRW-Schulministerium kündigt auf Anfrage eine Werbekampagne für den Lehrerberuf an. „Kurzfristig setzen wir auch auf den Seiteneinstieg", erklärt ein Sprecher.