Zahnbürsten und Klangvasen: Musikfest in Detmold zeigt immer gleicher Popmusik die Zähne

Detmold. Während Populärmusik von Wiederholung lebt, hat sich die &bdquo;Neue Musik“ bewusst vom wiederkehrenden Puls gelöst. Musik sollte &bdquo;musikalische Prosa“ entwickeln, Wiederholungen galten als verpönt. Das 16. &bdquo;Hörfest Neue Musik“ hat unter der Überschrift: &bdquo;im_puls“ ganz im Zeichen von Puls und Rhythmus gestanden. Der Verlust des gleichmäßigen Schlags, bildete das Spannungsfeld, welches das Hörfest mit Neugier, Mut und Witz in vier Konzerten ausgelotet hat.

Das Eröffnungskonzert in der Martin-Luther-Kirche mit dem &bdquo;Ensemble Horizonte“ unter Leitung von Jörg-Peter Mittmann führte in die Dialektik von Bewegung und Stillstand ein. Unter dem Motto &bdquo;Anstoß. Raum. Distanz“ spannte das Programm einen eindrucksvollen Bogen von der völlig pulsfreien Ästhetik Morton Feldmans über minutiös-mechanische Rhythmen in Jörg-Peter Mittmanns Zyklus &bdquo;Gegenstücke“ bis zum geheimnisvollen Atem des Universums in Jean-Luc Darbellays &bdquo;Orma galattica“. In der Musik von Mijin Oh und Simon Steen-Andersen wurde das humoristische Potential des Themas berührt, während die Uraufführung von Valerio Sannicandros &bdquo;pulsare.fluire“ dessen gedankliche Tiefe auslotete.

&bdquo;Keine Bedeutung nur Klang“ Am Freitagabend verlagerte sich das Festival in den Detmolder Hangar 21, wo rund 80 Gäste dem Konzert unter dem Motto &bdquo;Energie“ lauschten. Das junge Trio &bdquo;Track 3“ aus Frankfurt – mit Taavi Orro (Klarinette) aus Estland, Elijah Spies (Viola) aus USA und Shan-Chi Hsu (Klavier) aus Taiwan – präsentierte ein elektrisierendes Programm zwischen klanglicher Experimentierlust und feinsinniger Präzision.

Den Auftakt bildete die Uraufführung von Hanurij Lees &bdquo;Stuff#2B“ (2025), einem Auftragswerk für &bdquo;Track 3“. Der erst 19-jährige koreanische Komponist sagt: &bdquo;Meine Musik hat keine Bedeutung – nur Klang.“ Und genau so klang es: ein Feuerwerk aus Zupfen, Klopfen, Reiben und Atmen. Klaviersaiten wurden mit Fingern gezupft, die Bratsche mit dem Holz des Bogens gestrichen, die Klarinette perkussiv genutzt. Trotz aller Klangexperimente blieb das Werk erstaunlich rhythmisch, fast tänzerisch – wie eine surreale Suite des 21. Jahrhunderts.

Elektrische Zahnbürste als Instrument Ein Höhepunkt des Abends war das Viola-Solo von Elijah Spies in &bdquo;Libro per Nobuko“ des Norwegers Per Nørgårds – ein intimer Dialog zwischen Ton und Atem. Ursula Mamloks &bdquo;Rhapsody“ (1989) brachte einen Moment klassischer Klarheit. Das Trio agierte kammermusikalisch perfekt aufeinander abgestimmt: expressiv, feinnervig und voller Spannung bis zum zarten Verklingen des letzten Tons.

Beeindruckend erklang Franck Bedrossians &bdquo;Pour les corps électriques“ (2018) für Klavier solo. Mit elektrischen Zahnbürsten, Plektren und schwarzen Handschuhen entfachte Shan-Chi Hsu ein atemberaubendes Spektakel zwischen Klangskulptur und Performance. John Cage hätte seine helle Freude am mit Alufolie und Klebeband präparierten Klavier gehabt.

Abends stand das Schlagzeug in all seinen klanglichen und rhythmischen Facetten im Zentrum. Die &bdquo;Detmold Percussion Group“, bestehend aus Miyaka Yotsumoto, Sheng-Yuan Wang, Ayami Okamura, Ying Hua, Thomas Fritzler, Dan deSimone und Kostadin Delinikolov (Elektronik) – präsentierte ein spannungsvolles Programm, das von archaischen Trommelklängen bis zu elektronischen Klangexperimenten reichte.

3000 Jahre alte Musik Die Musiker verwandelten den Hangar 21 in eine akustische Landschaft, in der sich Natur, Mythos und moderne Klangkunst begegneten. Im Zentrum stand das monumentale Werk &bdquo;Earth and the Great Weather“ des US-amerikanischen Komponisten John Luther Adams (geb. 1953). Adams, der lange in Alaska lebte und sich in Umweltschutzorganisationen engagiert, vertont in seiner Musik Naturklänge. Sein Schlagzeugquartett &bdquo;Drums of Fire, Drums of Stone“ ließ ferne Gewitter und archaische Erdkräfte durch den Raum grollen – ein vibrierendes Naturschauspiel aus Klang, Rhythmus und Energie.

Ein faszinierendes Gegenstück dazu bildete das &bdquo;Hurrian Hymn: Song of Clay“: ein über 3000 Jahre altes Lied aus der Stadt Ugarit (circa 1400 v. Chr.), das in einem Arrangement von Kostadin Delinikolov und der Detmold Percussion Group erklang. Mit Wasser gefüllte Klangvasen und große Trommeln sorgten für ungewöhnliche Effekte, während die Musiker sich im Raum verteilten und die Akustik des Hangars raffiniert ausnutzten. &bdquo;Claremont“ (2012) von Christopher Cerrone schuf einen zarten Ausklang. Auf Flaschen geblasene, sphärische Töne verschmolzen mit elektronischen Flächen. Samstag klang das Hörfest in der Martin-Luther-Kirche aus, wo unter anderem Werke des Detmolder Komponisten Martin Christoph Redel aufgeführt wurden.

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