EU lässt Pharmakonzerne blechen - zahlen die Lipper schon bald weniger Abwassergebühren?

Kreis Lippe. Karl kommt. Das klingt nach einem harmlosen Bekannten. Meint aber die Kommunalabwasserrichtlinie. Die wurde von der EU im Dezember auf den Weg gebracht. Deutschland muss nun binnen 30 Monaten ein Gesetz daraus machen, das bis in die lippischen Kommunen durchschlägt. Und Karl hat es derart in sich, dass in einigen Klärwerken die Nerven bereits blank liegen - auch und gerade in Lippe, wo sich Einzelne mit ihren Rieseninvestitionen der vergangenen Jahre eigentlich sicher wähnten.

Was geht das alles den einfachen Bürger an? Ganz einfach: Muss in eine Kläranlage investiert werden, sind das Kosten, die am Ende auf jeden Kubikmeter Schmutzwasser umgelegt werden.

Pharmabranche soll zahlen Und noch etwas kommt dazu: Karl sieht vor, dass die Pharma- und Kosmetikbranche 80 Prozent der Kosten trägt, die für eine Extra-Reinigungseinheit anfallen, die die EU künftig mehr Kommunen vorschreiben will, um die Gewässerqualität zu steigern. Stichwort: Verursacherprinzip.

Klingt eigentlich gut und fair, bedeutet aber nach der Prognose der Pharmalobby, dass Tabletten & Co. teurer werden. Dann zahlen am Ende doch der Bürger und die Krankenkassen die Zeche für die sogenannten vierten Reinigungsstufen der Kläranlagen. Das sind die, die nur für Antibiotika, Kosmetika, Kontrastmittel & Co. benötigt werden, die Menschen ausscheiden oder von der Haut abwaschen.

Auf Kosten der Bürger in Lemgo, Barntrup und Augustdorf Schwenk von Brüssel nach Lippe: Hier zahlen die Bürger in Lemgo, Barntrup und Augustdorf bereits seit einigen Jahren für die vierte Reinigungsstufe. Die drei Kommunen haben in Lippe als Einzige getan, was viele andere Städte und Gemeinden laut EU-Wunsch noch vor sich haben. Nämlich für Millionensummen die Spezialtechnik ergänzt.

Das taten sie (noch) nicht auf Rechnung der Pharma- und Kosmetikindustrie, sondern haben schön selbst bezahlt. Weil die Investitionen zwar auf gewissen Nachdruck (Stichwort: Wasserqualität) aber offiziell freiwillig waren, wie Juliane Koeper, Sprecherin bei der Bezirksregierung, sagt, gab es für Barntrup, Lemgo und Augustdorf immerhin einen satten 70-Prozent-Zuschuss aus Düsseldorf. Auch Steuergeld, aber keine Abwassergebühren. Damit bleiben &bdquo;nur“ 30 Prozent der Baukosten plus laufende Betriebskosten an den Bürgern hängen.

Abwassergebühr soll steigen Nur 30 oder immerhin 30 Prozent? Angesichts der Pläne der EU, die Kosten für die vierte Reinigungsstufe auf die Pharma- und Kosmetikbranche umzuschichten, stellt sich die Frage: Gucken die drei lippischen Kommunen, die in Vorleistung gegangen sind, nun in die Röhre, während für alle anderen die Wirtschaft blechen muss?

Eine Frage, die natürlich auch Olaf Hagenow umtreibt. Immerhin beziffert der Technik-Chef des Lemgoer Straßen- und Entwässerungsbetriebes die Kosten für die vierte Stufe auf 2,1 Millionen Euro. Reine Baukosten für die Ozonbehandlung, die sich die Stadt Lemgo vom Bürger über die Abwassergebühr wiederholt. Betriebskosten on top. Da die Lemgoer Politiker in den vergangenen Jahren die Gebühren nicht angetastet haben, wird es wohl bald so weit sein müssen. Denn 2024 fuhr die Kläranlage ein Defizit ein.

Bürgermeister fordert Fairness ein Barntrup hat sogar 5,8 Millionen Euro in die entsprechende Aufrüstung des Klärwerks gesteckt - 3,4 Millionen davon kamen vom Land. In Barntrup verrichtet ein Aktivkohlefilter (statt Ozon) sein Werk. Trotzdem hätten die in Barntrup traditionell sehr hohen Abwassergebühren gegenüber 2020 gesenkt werden können, betont Bürgermeister Borris Ortmeier. Und das im Gegensatz zu anderen Kommunen, die teils 30 Prozent draufgeschlagen hätten. Nicht ohne Grund spricht Ortmeier aber auch von einem &bdquo;Kraftakt“, für den man nicht zuletzt beim Personal gespart habe.

Für den Fall, dass auf EU-Offensive künftig Pharma- und Kosmetikbranche einspringen, fordert Borris Ortmeier unmissverständlich, &bdquo;dass auch die partizipieren, die den Weg zur vierten Reinigungsstufe schon gegangen sind“. Die Zeit, auf die EU zu warten, habe Barntrup nicht gehabt, erklärt Ortmeier. &bdquo;Wir mussten die Qualität unseres Klärwerks verbessern“, erinnert sich das Stadtoberhaupt an Vorbereitungen und Entscheidungen in den Amtszeiten seiner Vorgänger Herbert Dahle und Jürgen Schell.

Filteranlage funktioniert tadellos Zu der Entscheidung stehe er voll und ganz, sagt Ortmeier. Denn: Messungen belegen laut dem Bürgermeister, dass das Wasser der Bega, in das die Kläranlage einleitet, nach der Einleitungsstelle besser sei als vorher. Sprich: Die Bega verlässt Barntrup sauberer, als sie hineingeflossen ist.

Auch Olaf Hagenow vermerkt für die Alte Hansestadt Lemgo ein &bdquo;Interesse, sollte die Industrie Verantwortung für laufende Kosten übernehmen“. Mit einer großen Rückverrechnung auch für teilgeförderte Baukosten rechnet Hagenow dagegen nicht.

&bdquo;Experten tappen im Dunkeln“ Dazu komme, dass noch niemand wisse, wohin die Reise genau geht, sagt Klärwerksleiter Axel Krüger aus Lemgo: &bdquo;Selbst Experten tappen im Dunkeln.“ Kompliziert wird es auch dadurch, dass lediglich ein Teil der Stoffe analysiert werde. Ein Test auf 30.000 Stoffe wäre möglich, aber unbezahlbar, sagt Axel Krüger.

Tatsächlich checkt Lemgo auf sechs Parameter. Zweimal im Jahr. Künftig, so stellt sich die EU das vor, könnte es laut Krüger das 10- oder 20-Fache an Prüfungen geben. Und ob die 2022 in Betrieb genommene vierte Reinigungsstufe am Ende &bdquo;Karl-konform“ ist? Darauf würde Krüger auch nicht setzen. Langfristig steigende Abwassergebühren? Darauf könnte man die Wette wagen ...

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