Erbrechen und immense Schäden: Warum die Retzer neues Hochwasser so fürchten

Bad Sazuflen-Retzen. Wer sich die Aufnahmen ansieht, die Karl-Heinz Fasse auf seinem Handy gespeichert hat, fühlt sich unweigerlich an den Film Titanic erinnert. Zu sehen sind Wassermassen, die ein Fenster eindrücken und ins Innere schießen. Das Wasser in Fasses Fall ist eine brackige Brühe, die in Sekunden seinen Keller in Retzen flutet. Fasse (74) schätzt den Schaden auf 70.000 bis 80.000 Euro, vielleicht mehr, die das Unwetter vom 14. August in seinem Mehrfamilienhaus in der Albrecht-Bicker-Straße verursacht hat.

Auch wenn die Schadenshöhe bei ihm besonders hoch ausfällt, da unter anderem die Heizung zerstört wurde, haben viele Retzer mit den Folgen des Hochwassers zu kämpfen. Im Starkregenkonzept der Stadt Bad Salzuflen ist der Ortsteil (knapp 1500 Einwohner) mit der Kategorie &bdquo;extrem hohes Schadenspotenzial“ priorisiert. Noch vor dem letzten Unwetter hat die Stadt eine sogenannte Profilräumung des Rhienbachs veranlasst, wie die Pressestelle im Rathaus auf Anfrage mitteilt. Nun soll der Volkhausenbach folgen - für viele Hochwasser-Geschädigte zu spät.

Sabine Weber hat unmittelbar nach dem Unwetter eine WhatsApp-Gruppe gegründet, in der sich Betroffene zusammenfinden. &bdquo;Mittlerweile hat die Gruppe etwa 50 Mitglieder aus etwa 30 bis 40 Haushalten“, sagt Weber. Bei ihr selbst habe das Wasser im Garten an der Papenhauser Straße bis zur Hüfte gestanden: Der Volkhausenbach, der ihr Grundstück teilt, war übergelaufen.

Versiegelte Flächen

Bei Starkregen laufe das Wasser vom Hünderser Berg runter in den Ortsteil, da die zum Großteil versiegelten Flächen - das Kompostierwerk wird von den Retzern genannt - es nicht aufhalten. &bdquo;Diesmal hat nur noch ein Zentimeter gefehlt, dann wäre es bei uns durch die Terrassentür ins Wohnzimmer gelaufen“, sagt Sabine Weber.

Bei Christian Hillbrink, der in einem Zweifamilienhaus in der Straße Beiningshof wohnt, stand das Wasser 60 Zentimeter hoch im Keller. &bdquo;Waschmaschine, der Trockner und sogar mein Mähroboter sind kaputt“, berichtet er. Der Schaden sei bei der Versicherung eingereicht. &bdquo;Aber irgendwann nimmt einen ja auch keine Versicherung mehr“, fürchtet er. Etwa jedes fünfte Haus in Retzen sei betroffen gewesen, schätzt er.

Seit September vergangenen Jahres sei es das vierte Hochwasserereignis in wenigen Monaten gewesen. &bdquo;Und es wird jedes Mal schlimmer“, schildert Sabine Weber ihren Eindruck. Als Ursache machen die Retzer, die auf Einladung Webers zum Pressetermin zusammengekommen sind, den Klimawandel aus, aber nicht nur. Die Verrohrung der Bachläufe unter den Straßen, die das Wasser eigentlich weitertransportieren sollen, seien im Durchmesser viel zu klein und zudem etliche Jahrzehnte alt. Zum Teil habe sich der Schlamm in ihnen wie Beton verhärtet.

An der falschen Stelle Ein noch zu bauendes Regenrückhaltebecken am Ende des Dorfes sei zudem an der falschen Stelle geplant, sagt Sabine Weber. &bdquo;Bis alles dort ankommen würde, würden wir alle zum wiederholten Male von der Schlamm-Lawine niedergemäht werden“, sagt sie.

Beim vergangenen Hochwasser am 14. August ist der Keller, in dem sich das Schlafzimmer von Bettina und Dirk Klawon befindet, überflutet worden. Auch eine eilig aus den Angeln gehobene und als Barrikade genutzte Tür habe das Wasser nicht mehr stoppen können, sagt Dirk Klawon, der Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr in Holzhausen ist. Wenn Hochwasseralarm sei, könne er nicht mehr ausrücken, um anderen zu helfen, da er selbst aufpassen müsse. Auch in Retzen war die Feuerwehr mit einem Großaufgebot vor Ort, später half auch der städtische Bauhof mit.

Schlechtes Gefühl &bdquo;Man hat schon ein schlechtes Gefühl, in den Urlaub zu fahren und das Haus alleine zu lassen“, sagt Sabine Weber. Zunehmend mische sich offenbar auch eine Art Klärschlamm unter das Wasser, berichten die Retzer. Einige seien bei den tagelangen Aufräumarbeiten beim Wegschaufeln der Brühe krank geworden. Von Übelkeit und Erbrechen ist die Rede.

&bdquo;Man fühlt sich von der Stadt alleine gelassen“, sagt Beate Buschmann, die seit 30 Jahren in der Korl-Biegemann-Straße wohnt. Beim vergangenen Hochwasser habe sie weder die Haustür noch den Wintergarten aufmachen können, weil das Wasser davorstand.

&bdquo;Herbststürme stehen vor der Tür“

Sie habe sich bereits mehrfach an die Stadt gewandt – in der Vergangenheit ohne Erfolg. Doch kurz nach dem Hochwasser sei nun Bürgermeister Dirk Tolkemitt vor Ort gewesen, um sich der Kritik zu stellen. &bdquo;Er hat gesagt, dass die Stadt etwas unternimmt und will im Oktober Maßnahmen präsentieren. Ich hoffe, dass er zu seinem Wort steht“, sagt Sabine Weber.

Die Stadt bestätigt gegenüber unserer Redaktion für Oktober angesetzte Treffen. Dort sollen &bdquo;weitere Maßnahmen besprochen werden“, so die Pressestelle im Rathaus. Sabine Weber: &bdquo;Wir vertrauen darauf, dass der Bürgermeister kurzfristig Maßnahmen umsetzt, denn die Herbststürme stehen vor der Tür.“

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