Blomberg. Kinderlachen steigt zum blauen Himmel über dem lang gestreckten Gebäude empor, dem roten Ball hinterher: In die Flüchtlingsunterkunft am Lehmbrink sind die ersten Familien eingezogen.
Vor der gläsernen Eingangstür spricht Hausmeister Jörg Berten mit einer Blombergerin, die ganz spontan vorbei gekommen ist, aber ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte: „Ich möchte mal schauen, wie ich helfen kann“, sagt sie. Später wird sie Spielzeug und dicke Jacken vorbeibringen.
Der Hausmeister lächelt: „Gehen Sie nur rein, die Familien wohnen unten“, sagt er. Gleich vis á vis der Treppe öffnet auf das Klopfen Eman Khatib die Zimmertür. Die 35-jährige Syrerin trägt ein langes Gewand und ein Kopftuch, sie spricht ein wenig Englisch.
„Come in“ bittet sie freundlich hinein in ein vollgestopft wirkendes Zimmer mit fünf Betten und einem Tisch in der Mitte. Die Betten mit der pink-lilafarbenen Bettwäsche sind ordentlich gemacht, an der Wand steht ein dreiflügeliger Kleiderschrank – das ist alles.
Seit wenigen Tagen lebt die Rechtsanwältin Emad mit ihrem Mann sowie den drei Kindern Shahd (12), Sana (10) und Mohamad Zakania (7) in diesem Zimmer. Warum hat sie Syrien verlassen? – „Die Bomben fielen, der IS hat uns bedroht – wir mussten weg“, erzählt sie knapp auf Englisch. Ihr Mann ist gerade nicht da. Aber mit ihm wäre die Verständigung ohnehin schwierig: „Er spricht außer Arabisch nur Französisch.“ Wenige Tage hat die Familie in einer kleinen Wohnung am Marktplatz 6 gewohnt. Das hatte zwei Vorteile: „Mein Mann und ich haben nicht im selben Zimmer geschlafen wie die Kinder“, und, was für sie noch wichtiger war: „In unserer eigenen Wohnung kann ich mein Kopftuch abnehmen. Hier geht das nicht“, sagt die Muslima.
Das gilt auch für Natalia Prosel aus dem Zimmer gegenüber. Die hat es noch schwerer: Ihr Mann ist noch in Syrien, sie ist mit der 15-jährigen Zainab (15) und Nadia (10) allein geflohen.
Während ihre Kinder draußen herumtollen, wirken die Mütter etwas verloren. Sie haben viele Fragen: „Wir wissen noch so wenig, aber wir haben noch keine Möglichkeit, Deutsch zu lernen und keine Ahnung, wie es weitergeht. Können Sie uns nicht helfen?“ Immerhin hat „Paul“, der von der Stadt eingesetzte Dolmetscher, ihnen bei der Ankunft das wichtigste erklärt. Ansonsten werden sie Geduld haben müssen, ergibt eine Nachfrage bei Rüdiger Winter, Fachbereichsleiter für Soziales bei der Stadtverwaltung: „Den bisherigen Anspruch, jedem Neuankömmling sozusagen vom ersten Tag an Deutschunterricht zu ermöglichen, können wir derzeit nicht halten. Aber wir kümmern uns drum.“ Auch er spürt, dass sich die Dinge verkomplizieren, je mehr Flüchtlinge in die Nelkenstadt kommen: „Zurzeit sind wir ja schon damit beschäftigt, eine weitere Unterkunft zu beschaffen für die Zeit, wenn die am Lehmbrink vollgelaufen ist.“
Doch wie läuft der Alltag für die Frauen in der neuen Unterkunft? – In Teilen schwierig: Für die Küchenausstattung haben auch die Familien nur einen Topf und eine Pfanne sowie pro Person jeweils eine Tasse, eine Besteckgarnitur und einen Teller bekommen. „Das ist ein wenig schwierig“, sagt Eman. Wer Familienalltag mit drei Kindern kennt, weiß, wovon sie redet. Eine ofenfeste Teekanne und Handtücher hat sie sich selbst besorgt.
Das größte Problem allerdings ist der fehlende Kühlschrank. Im Hängeschrank in der Küche hat jede Familie ihre wenigen Vorräte verstaut – auch Käse und Milch. „Es ist vorgesehen, dass die Bewohner täglich frisch einkaufen“, sagt Fachbereichsleiter Rüdiger Winter dazu. Auf Nachfrage der LZ räumt er allerdings ein, dass das nicht praktikabel ist, wenn es um die Haltbarkeit von Milch geht oder um Essensreste. „Wir werden eine Lösung dazu finden“, verspricht er.
Dass es durchaus zu Spannungen bei gemeinsamer Kühlschranknutzung kommen kann, hat Jörg Berten in anderen Unterkünften erlebt. Der Hausmeister macht sich auch Gedanken über das Stromnetz, das durch viele Kühlgeräte belastet werde. Hauseigentümer Alexander Langemann ist da entspannt: „Technisch gesehen, wäre das kein Problem.“
Kommentar: Ohne Kühlschrank geht es nicht
von Marianne Schwarzer
Manch einer weiß es aus WG-Zeiten oder kennt das aus dem Büro: Wenn man sich den Kühlschrank mit anderen Menschen teilen muss, dann kann es schon mal Spannungen geben. Aber vor lauter Willen zur Deeskalation eine Unterkunft für 140 Menschen unterschiedlicher Herkunft gar nicht erst mit Kühlschränken auszustatten, ist ganz sicher zu kurz gedacht.
Wohlgemerkt: Am Lehmbrink 13 in Blomberg dürfen sich die Bewohner ihr Essen selbst zubereiten. Das ist an sich gut, denn so sind sie nicht gänzlich zur Untätigkeit verdammt und sie können sich ein wenig heimischer, selbstbestimmter fühlen. Doch müssen sie mit ihrem knappen Budget auskommen: Täglich frisch einzukaufen, können sie sich gar nicht leisten. Aber auch nicht, dass ihnen die Milch oder der Käse schlecht werden, weil sie die Dinge nicht kühlen können.
„Wir werden eine Lösung finden“, verspricht Fachbereichsleiter Rüdiger Winter. Das ist gut: Je schneller, desto besser. Auf eine Salmonellenvergiftung in der Notunterkunft kann die Stadt bestimmt verzichten.
MSchwarzer@lz.de
In Anlehnung das Bundesinfektionsschutzgesetz haben die ostdeutschen Länder einen Rahmenhygieneplan, der auch 20 bis 30 Liter Kühlraum pro Bewohner einer Unterkunft für Flüchtlinge oder Obdachlose festschreibt. In NRW fehlt ein solches Regelwerk, jedoch überwacht das Kreisgesundheitsamt die Hygiene in solchen Einrichtungen. Zum Thema Kühlschrank war gestern dort jedoch niemand zu erreichen.