Ehemals Wohnungsloser berichtet: So soll sein Leben in Bielefeld besser werden

Bielefeld. In der kleinen Einzimmerwohnung in Bielefeld stehen lediglich ein Bett und ein Kühlschrank. Auf der Fensterbank vor der halb heruntergelassenen Jalousie: zwei Marmeladen, eine Packung Margarine und eine mit Eiern. In einer zur Vase umfunktionierten Dose versuchen drei Stängel eines Busches zu überleben. Neben dem Waschbecken in der kleinen angrenzenden Küche steht das gespülte Geschirr und trocknet.

Marcus Thiele (Name von der Redaktion geändert) lebt erst seit knapp drei Monaten in dieser Wohnung. Zuvor war der 37-Jährige ein Dreivierteljahr wohnungslos in Bielefeld. Seine neue Unterkunft hat er über das Projekt &bdquo;Housing First“ des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) gefunden. Jetzt will er sich in Ostwestfalen-Lippe ein besseres Leben aufbauen – auch für seine Tochter.

Im Zuge seines Projektes fördert der LWL seit 2022 den Neubau, die Sanierung, den Erwerb und die Vermietung von Wohnraum für wohnungslose Menschen. LWL und LWL-Sozialstiftung stellen bis 2027 sechs Millionen Euro bereit. &bdquo;Erst wenn Menschen ein festes Dach über dem Kopf haben, können sie ihr Leben wirklich in die Hand nehmen“, sagt Sozialdezernent Takis Mehmet Ali. Beim LWL sind von den derzeit 100 geförderten Wohnungen 67 vermietet. Die Übrigen befinden sich noch im Bau oder Umbau.

Thiele wurde in Sambia geboren Thiele lebt nun in einer der Wohnungen. Es soll sein Zuhause auf Dauer werden, nach einem turbulenten Leben, das ihn über verschiedene Kontinente und Länder geführt hat. Geboren ist er in Sambia, der Heimat seiner Mutter. Er selbst hat die deutsche Staatsbürgerschaft von seinem Vater, über den er kaum etwas weiß. Er ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, als Thiele gerade sechs Jahre alt war. &bdquo;Ich glaube, wenn mein Vater nicht gestorben wäre, wären wir früher nach Deutschland gekommen und unser Leben wäre besser gewesen“, sagt Thiele heute.

Es ist nicht der letzte Schicksalsschlag in seinem Leben. Mit 16 Jahren zieht er zu seiner Schwester nach London, kurz darauf stirbt sie an Krebs. Auch seine zweite Schwester erliegt früh einer Krankheit. Sein Bruder ist die einzige Verwandtschaft, die er noch hat. Er lebt in Thieles Heimatort, gesehen hat er ihn seit vier Jahren nicht mehr. &bdquo;Die Reise kostet zu viel Geld und mein Bruder kann nicht herkommen, weil er sich nicht gut bewegen kann.“

Nur mit einem Rucksack kam T. nach Bielefeld An seine Londoner Zeit hat er nur wenige gute Erinnerungen. &bdquo;Gefallen hat es mir dort nie“, sagt er. In der britischen Hauptstadt arbeitete er in einem Supermarkt. Einen Schulabschluss hat er nicht – &bdquo;den konnte meine Mutter nicht bezahlen“.

Nachdem sich seine Freundin Ende 2024 von ihm getrennt hat, beschloss er, sein Leben grundlegend zu ändern, in einem fremden Land ganz neu anzufangen. Das Ziel: Bielefeld.

Dort hatte er einen Bekannten seiner Schwester schon mehrfach besucht – und immer hatte es ihm gefallen. Jetzt also der Umzug: ohne Sprachkenntnisse, Job und eigene Wohnung. Bei sich hatte er lediglich die Kleidung an seinem Körper und einen Rucksack.

Zahl der Wohnungslosen in NRW steigt Thiele zählte dann zu den knapp 118.000 Menschen (Stand Januar), die wegen Wohnungslosigkeit in Nordrhein-Westfalen in überlassenem Wohnraum, Sammelunterkünften oder Einrichtungen für Wohnungslose untergebracht waren. Laut dem Statistischen Landesamt waren dies 12.765 Menschen mehr als im Vorjahr. Alleine in Ostwestfalen-Lippe waren zu dem Stichtag 13.315 Menschen wohnungslos.

Auf die Frage, warum er ohne eine Unterkunft nach Bielefeld gezogen ist, sagt Thiele: &bdquo;In London war mir zu wenig Natur.“ In Bielefeld sei er schnell im Wald und er habe sich rund um die Stadt schon fast alles erwandert. &bdquo;Das Stresslevel hier ist viel geringer“, sagt er. &bdquo;So sollen meine Kinder mal aufwachsen.“

Thiele ist Vater eines zweijährigen Mädchens. Ihre Mutter hat er vor zwei Jahren im Urlaub auf den Philippinen kennengelernt. Die beiden leben noch dort und er unterstützt sie mit dem wenigen Geld, das ihm zur Verfügung steht.

Thiele will seine Tochter nach Bielefeld holen Nach Thieles Ankunft ließ ihn der Bekannte seiner Schwester auf seinem Sofa schlafen und verwies ihn an den Bielefelder Sozialdienst. Über die Einrichtung in der Viktoriastraße bekam Thiele dann eine Postadresse. Er ist inzwischen beim Jobcenter angemeldet und darüber auch krankenversichert. Über den Sozialdienst lernte Thiele. &bdquo;Housing First“ kennen, bewarb sich auf eine Wohnung und konnte gute zwei Monate später tatsächlich einziehen.

Aktuell besucht er jeden Tag einen Sprachkurs. &bdquo;Ohne Deutsch geht hier nichts“, sagt er. Die Unterlagen des Jobcenters zum Beispiel seien auf Deutsch. Wenn er die nicht rechtzeitig einreiche, bekomme er kein Geld mehr, sei nicht mehr krankenversichert und verliere auch die Wohnung wieder.

Alle ein bis zwei Wochen besucht ihn ein Sozialarbeiter. Er unterstützt ihn etwa beim Ausfüllen der Unterlagen oder bei der Endabrechnung des Energieversorgers. Nur wer bereit ist, eine solche Unterstützung anzunehmen, qualifiziert sich für eine der Wohnungen.

Sollte Thiele dort ausziehen, kann eine andere wohnungslose Person einziehen. Erst mal aber will er bleiben, Deutsch lernen und sich eine Arbeit suchen oder die Schule beenden. Sein größter Wunsch für 2026 ist, dass er seine Tochter und deren Mutter auch nach Bielefeld holen kann.

Ehemals Wohnungsloser berichtet: So soll sein Leben in Bielefeld besser werden

Schutzlos auf der Straße: Film über obdachlose Frauen

Die Herberge zur Heimat in Detmold wird 140 Jahre alt

Mord aus Verzweiflung? Prozess gestartet

Verwahrloste Jungen in Norditalien gefunden

Rauchfackel vor Stadion gezündet: Arminia-Fan aus Bünde darf Pokalfinale nicht sehen

Wohnungsbrand in Bielefeld: Person rettet sich durch Sprung aus vier Metern Höhe

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus

0,99 € im ersten Monat

Angebot: Jahresabo nur 99 €