Von Lemgo nach Kiew: Wie Tatiana täglich im Krieg ihr Leben riskiert

Lemgo. Tatiana Waseiko riskiert ihr Leben. Wieder und wieder - auch, wenn sie Menschen aus umkämpften Gebieten in der Ost-Ukraine holt. &bdquo;Meine Berufung“, wie sie sagt, während Klaus Kröker übersetzt. &bdquo;Lieber sterbe ich mit erhobenem Haupt, als mit dem Gefühl, Schuld auf mich zu laden.“

Emotionale Worte, die um so mehr Stärke bergen, weil sie eben nicht so dahin gesagt sind, sondern bedrückende Realität. Jeden Tag kann es passieren, dass eine Rakete oder Drohne die 41-Jährige trifft, so wie Tausende andere Ukrainer, die dennoch nicht bereit sind, sich dem russischen Angriffskrieg zu unterwerfen.

Alte bleiben allein zurück Gerade hat Tatiana etwas Ruhe, sitzt auf dem Sofa von Klaus Kröker in Hörstmar. Vor Kurzem erst hat er einen Hilfstransport für den Verein &bdquo;Starke Ukraine“ nach Kiew begleitet. Ein Sattelschlepper, prall gefüllt mit dem Nötigsten, was die Menschen in dem kriegsgebeutelten Land brauchen. Zuvor hatte Kröker bereits den Kontakt zu Tatiana Waseiko gesucht. Die Mutter von zwei Kindern hat 2022 in Kiew den Verein &bdquo;Mischok“ gegründet und damit auf die größte Not reagiert.

Damals flohen die Menschen vor allem aus dem Osten der Ukrainer und viele dachten, sie würden bald zurückkehren. Zurückblieben die Alten und Kranken, die sich nur noch schlecht selbst versorgen können. Vor allem ihnen gilt die Fürsorge von Tatiana. Mit drei festen Helfern im Verein versucht sie, diese Menschen aus den umkämpften Gebieten zu evakuieren. Auch verletzte Soldaten bringt sie immer wieder von der Kriegsfront nach Kiew.

In der Hauptstadt werden sie behandelt, erhalten nach Möglichkeit neue Unterkünfte, wie Klaus Kröker erzählt, während Tatiana auf dem Handy nach einem Video sucht. Die Bilder sind erschütternd: Sie zeigen den jüngsten Einsatz, als sie mit zwei Fahrern einen verletzten Soldaten aus dem Kriegsgebiet im Osten holen will. Eine Drohne trifft das Auto, das Video offenbart das Ausmaß der Zerstörung. Tatiana erleidet einen Hörsturz, kommt ansonsten wie durch ein Wunder glimpflich davon, anders als der Fahrer: Er ist schwer verletzt, verbrannte Haut und großflächige, tiefe Wunden sind auf den Fotos zu sehen.

Plüschtiere, wo Kinder starben Das Auto ist stark beschädigt, doch der Motor springt noch an. Kurzerhand setzt sich Tatiana ans Steuer, einen Führerschein hat sie nicht - doch wie sonst sollen sie weiterkommen.

Und dann sind da auch die vielen Bilder, die Klaus Kröker vor Ort aufgenommen hat. Bilder aus Kiew und aus dem Osten des Landes, den sie besuchten, um die Hilfsgüter zu verteilen: Zerstörte Häuser, Plüschtiere, die Orte markieren, an denen Kinder starben. Menschen, die anpacken und wieder aufbauen - so, wie Tatiana ganz selbstverständlich sagt: &bdquo;Die Russen machen kaputt, aber wir bauen wieder auf.“

In Kiew sammelt sie die Hilfsgüter, die sie dann übers Land verteilt. Und sie kümmert sich auch in der Hauptstadt um Menschen, die alleine sind. &bdquo;Gerade Ältere sind nach Angriffen manchmal so verstört, dass sie sich in ihrer Wohnung verschließen und niemanden mehr reinlassen. Wir lassen dann Nahrungsmittel mit einem Korb vom oberen Stockwerk auf den Balkon herab.“ Und dann sind da auch noch die vielen Haustiere, die zurückgeblieben sind. Auch ihnen versucht sie zu helfen, schafft Zugänge zu den Wohnungen, verteilt Nahrung oder nimmt die verlassenen Vierbeiner auf.

Die Nacht im Parkhaus verbracht &bdquo;Es war mir wichtig, die Hilfsgüter vor Ort an vertrauenswürdige Menschen zu übergeben“, erzählt Klaus Kröker, Vorsitzende des Vereins &bdquo;Starke Ukraine“. Tatiana Waseiko sei ihm empfohlen worden und vor Ort erlebte er, wie unermüdlich sie für ihre Landsleute im Einsatz ist. Und er erlebte selbst, wie nah der Tod auch in Kiew ist. Nachts um 23 Uhr war das, als die Raketen einschlugen, sie ins unterirdische Parkhaus flüchteten und dort bis zum Morgengrauen ausharrten. &bdquo;Manchmal bleibt es ruhig über Wochen“, erzählt Tatiana vom Leben in der ukrainischen Hauptstadt. Dann wieder schlagen täglich Raketen und Drohnen ein. Immer nachts oder am frühen Morgen - wenn die Menschen zu Hause in ihren Betten liegen.

Medizin, Reifen, Kerzen, Taschenlampen, Powerbanks oder auch Generatoren werden dringen benötigt. Auf dem Handy zeigt Tatiana die offizielle Grafik, die über Stromausfall informiert. Bis zu 16 Stunden pro Tag werde der mittlerweile abgeschaltet und auch im Winter müssen die Ukrainer immer länger ohne Strom und Gas aushalten, weil die Russen die Kraftwerke zerstören.

Wer muss das Land verlassen? Der Krieg zermürbt und doch: &bdquo;Die meisten Ukrainer sind nicht bereit, Land abzugeben“, ist Tatiana überzeugt und es verwundert kaum, dass sie wenig Hoffnung in die Friedensverhandlungen setzt. Putin könne man einfach nicht trauen: Erst wolle er ein Stück der Ukraine, dann das ganze Land und im Anschluss die angrenzenden Staaten. &bdquo;Der macht nicht Halt.“ Und so sei der Rückhalt für Staatsoberhaupt Selenskyj in der Bevölkerung groß. &bdquo;Er kämpft und hat das Land nicht verlassen“.

Mit Klaus Kröker ist sie nach Lemgo gekommen und trifft hier auf Ukrainer, die ihre Heimat verlassen haben. Nicht bei allen kann sie das nachvollziehen, gefährlich sei es im Osten und in der Mitte des Landes, anders sehe es im Westen aus. Und doch wolle sie in Lippe möglichst viele ihrer Landsleute erreichen, bevor es nach einer Woche für sie zurück nach Kiew geht.

Ob der Krieg denn bald ein Ende findet? Tatiana kann nur müde lächeln, zu viele Hoffnungen wurden in den vergangenen Jahren zerstört: &bdquo;Wunder passieren“, sagt sie lakonisch. Was helfen würde? Ihre Antwort kommt prompt: F16 Kampfflugzeuge.

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