Hostienfrevel in Blomberg: Warum die Diebin nicht Adelheid Pustekoke heißt

Blomberg. Auf dem Blomberger Marktplatz steht ein Denkmal: Eine schlanke Frau kippt über dem Brunnen eine Schale mit Hostien aus. Der Name der Frau ist Adelheid Pustekoke, der Brunnen heißt Alheyd-Brunnen. Und auch Stadtführerin Christiane Klotz schlüpft immer wieder in die Rolle der Bürgerin Alheyd. Doch jetzt hat der Historiker Prof. Dr. Ulrich Meier ein Buch mit neuesten Forschungsergebnissen veröffentlicht. &bdquo;Ein folgenschwerer Diebstahl. Der Blomberger Hostienfrevel“ lautet der Titel. Darin beschreibt Meier die Umstände des Diebstahls im Jahre 1460. Und er kommt zu einem erstaunlichen Schluss – den Diebstahl habe es gegeben, aber die Täterin sei wohl eine andere.

Die Geschichte Wer sich mit der Geschichte der Stadt befasst, stößt schnell auf den Namen Alheyd (Pustekoke). Sie galt bislang als die Frau, die 1460 zu Ostern 45 gewandelte Hostien aus der Martinikirche gestohlen haben soll; ein Schwerverbrechen zu jener Zeit. Aus Angst vor Verfolgung warf sie die Hostien anschließend in einen Brunnen. Ergriffen, vor Gericht gestellt und verbrannt wurde sie trotzdem. Am Brunnen jedoch ereigneten sich danach etliche Wunder – Blomberg wurde zum Wallfahrtsort.

Der Hostiendiebstahl &bdquo;Im Europa des 15. Jahrhunderts war der Hostiendiebstahl eine gar nicht so seltene Straftat. Auch dass sie zu Ostern stattfand, war nicht ungewöhnlich. Zu Ostern gingen die Menschen zur Beichte, der Pfarrer benötigte viele geweihte Hostien für seine Messe“, erläutert der Historiker Meier. Der Pfarrer habe sich auch schon mal verzählt, vor allem wenn er, wie in Blomberg 1460, neu am Ort war. Wurde der Hostiendieb erwischt, sei ein peinlicher Prozess gefolgt, in dem die Anwendung von Folter erlaubt gewesen sei. Meier: &bdquo;Kirchen- und Hostiendiebstahl wurde, wenn es zweifelsfrei bewiesen werden konnte, wie die Tötung eines Klerikers mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen bestraft.“

Die besonderen Umstände &bdquo;Die Tat geschah in einer schweren Zeit. Nach dem mittelalterlichen Klimaoptimum warf gerade in den Jahren um 1460 die ,Kleine Eiszeit´, die heute mitverantwortlich gemacht wird für die Hexenverfolgungen der Neuzeit, ihre Schatten voraus“, sagt Meier. 1460 sei in Norddeutschland nämlich nicht nur ein Pest-Jahr, sondern auch eine Zeit der Wetterkatastrophen gewesen. In den Braunschweiger Annalen heißt es: &bdquo;Im selben Jahr am Ostertag hat in der Stadt Blomberg eine gewisse Frau geweihte Hostien, die am Altar der Pfarrkirche übrig waren, gestohlen [] Zur selben Zeit wurde dort durch Hagel und Sturm die Saat in einem Gebiet von 5 Meilen Länge und Breite geschädigt“. Eine Fläche von etwa 40 mal 40 Kilometern.

Die Verfolgung Außergewöhnlich waren laut Meier auch die Verfolgung der Täter und der Prozess. Gleich nach Ostern 1460 habe es eine tagelange Verfolgungswelle gegeben, die sehr an die Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit erinnere. Träger der Verfolgung sei vor allem der Blomberger Klerus gewesen, der damals etwa 20 Priester und Altaristen umfasste. Der Prozess gegen mehrere Tatverdächtige habe in der Blomberger Burg stattgefunden. Das Hochgericht tagte mehrfach im Keller des Saalbaus – mit einem tödlichen Ende: Die Täterin sei im Mai vor dem Heutor hingerichtet worden.

Die Wallfahrt Am Brunnen, in den die Täterin die gestohlenen Hostien warf, geschahen unglaubliche Wunder. &bdquo;Man sah himmlische Erscheinungen und Lichter, Kranke erfuhren Heilung. Sogar eine Totenerweckung hielt man schriftlich fest – dieses Wunder musste allerdings später zurückgenommen werden“, berichtet Meier. So sei ein Wallfahrtsort entstanden, dessen Einzugsgebiet ganz Nordeuropa erfasste: Vom Ärmelkanal über Dänemark bis ins Baltikum nach Tallinn.

Die mehr als 20 hochrangigen Ablässe von Päpsten, Kardinälen und Bischöfen, welche die 1462 über den Wunderbrunnen gebaute Kapelle und das ab 1468 gebaute Kloster &bdquo;Zum Heiligen Leichnam“ erhielten, waren auf prächtige Pergamente geschrieben. Meier: &bdquo;Keine andere Kirche in Westfalen erhielt mehr Ablässe.“ Einiges spreche dafür, dass die Ablässe noch im 17. Jahrhundert in der Sakristei der Klosterkirche aufbewahrt worden seien. Bis zur Reformation seien die im Kirchenraum medial präsenten Ablässe attraktive Werbemittel und zugleich wichtige Informationsquelle für Einwohner und Pilger gewesen, die an den Wunder-Brunnen des Hl. Leichnams zogen.

Der falsche Name Bis weit ins 17. Jahrhundert hinein gehörten die Tat von 1460, aber auch die Täterin und die Wallfahrt laut Meier zum obligaten Stoff der Chronisten, zum üblichen &bdquo;Narrativ“ norddeutscher Geschichte. Erst der aus einer Lemgoer Patrizierfamilie stammende Gerhard Kleinsorge ist es nach Meiers Recherchen gewesen, der um 1580 der Täterin, die bisher nur &bdquo;ein Weib“ oder &bdquo;eine Frau“ genannt wurde, einen Vornamen gegeben habe: &bdquo;Adelheid“. Johannes Piderit, Lippischer Chronist und Blomberger Pfarrer, habe diesen Namen dann 1627 übernommen. Viele Geschichtsschreiber seien jedoch bei der anonymen Namensgebung geblieben und sprachen von &bdquo;einer Frau“. &bdquo;Die Namensgebung von Kleinsorge und Piderit hat demnach die allermeisten Fach-Historiker nicht überzeugen können“, schließt Meier daraus.

Im Jahr 1843 habe Moritz Leopold Petri offenbar als erster den Nachnamen ,Pustekoke’ ins Spiel gebracht: Seine Spekulation stützte sich, so Meier, auf eine Lemgoer Quelle von 1443. &bdquo;Darin taucht zudem eine Schale aus Amethyst auf. Die war ebenfalls Gegenstand des gerichtlichen Vergleichs und Erbstück der Familie einer Witwe namens Adelheid Pustekoke.“ Es könnte ja sein, mutmaßt Petri, dass dieses Erbstück unrechtmäßig in den Blomberger Klosterbesitz gelangt sei. Dann hätte die Schale das eigentliche Ziel des Diebstahls von 1460 gewesen sein können; und dann wäre die Täterin vielleicht die in der Quelle von 1443 genannte Witwe Adelheid Pustekoke gewesen, die 45 Hostien nur zufällig mitgestohlen worden.

&bdquo;Die Annahme ist ziemlich schräg und unhaltbar. Nicht allein, weil die Witwe 1460 immerhin 17 Jahre älter war, sondern auch, weil es das Kloster 1460 noch gar nicht gab. Petri nahm seine Assoziation ebenso spontan, wie er sie hatte, sofort wieder zurück. Er schließt resigniert: ,Indeß sind das Alles bloß Vermuthungen’“, so Meier.

Fazit der Forschungsergebnisse Doch der Name und die Schale waren offenbar Inspiration für Hans Gerd Ruwe, den Erschaffer der Skulptur auf dem Marktplatz-Brunnen von 1989: &bdquo;Alheyd Pustekoke“ wirft dort die Schale mit den 45 Hostien in den Brunnen. Und was meint Historiker und Autor Ulrich Meier dazu? &bdquo;Adelheid Pustekoke und ihre Schale dürften auch künftig in Blomberg lebendig bleiben. Dagegen kann niemand anschreiben. Es wird wohl sein wie beim Rattenfänger von Hameln. Den gab es ja auch nicht, aber im Hamelner kollektiven Gedächtnis bleibt er präsent und als Touristik-Konzept unverzichtbar.“

Und vielleicht sei es leichter, mit diesem Opfer alteuropäischer Justiz Mitgefühl zu empfinden, wenn es nicht anonym sei. Ergo könne der erfundene Name von Gästeführern gerne weiter genutzt werden. &bdquo;Erklärt werden aber muss unbedingt, dass die Diebin von 1460 definitiv nicht Adelheid Pustekoke hieß“, findet Ulrich Meier. Christiane Klotz will die Alheyd als Blomberger Bürgerin bei ihren Stadtführungen weiter verkörpern. Allerdings erkläre sie den Gästen schon seit geraumer Zeit, dass Alheyd wohl nicht für den Hostienfrevel verantwortlich sei, denn Meiers Forschungsergebnisse habe sie bereits vor der Veröffentlichung des Buches gekannt.

Das Buch Im Verlag für Regionalgeschichte ist das Buch von Ulrich Meier unter dem Titel &bdquo;Ein folgenschwerer Diebstahl - Ermittlungen und Quellen zum Blomberger Hostienfrevel von 1460 und zur Wallfahrt nach Blomberg“ erschienen - ISBN: 978-3-7395-1514-4, Preis: 14,90 Euro.

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